Janina hat geschrieben:Tanja, vlt. schreibst du mal, worauf du hinaus möchtest?
Ich finde es wichtig, Begriffe, die man selbstverständlich braucht, zu hinterfragen. Wörter können Bedeutungen transportieren, die einem nicht bewusst sind; ich kann z.B. das Weben eines Pferdes als “Stalluntugend” bezeichnen, dann steckt in dem Wort die Bedeutung, das Pferd verhält sich falsch, sogar unmoralisch; benutze ich dagegen den Begriff “haltungsbedingte Stereotypie” ist das Verhalten eine Reaktion auf die falsche Haltung und damit nicht ein Fehler des Pferdes, sondern des Menschen.
Janina hat geschrieben:Grund für jegliches Testen ist meiner Ansicht nach das Streben nach Sicherheit.
Da kann ich jetzt gar nicht folgen.
Janina hat geschrieben:Was dabei jetzt im einzelnen in einem Pferd vorgeht, kann niemand sagen und wird auch von Pferd zu Pferd und Situation zu Situation unterschiedlich sein, macht für mich aber in der Konsequenz auch keinen Unterschied (auch wenn das vlt. hart klingt).
Sollte es aber. Wenn ich zum Beispiel bei einem Pferd, das öfter nach mir schnappt, dies als Autoritätsverletzung bestrafe, ohne nach den Gründen zu fragen, bewirke ich möglicherweise das Gegenteil von dem was ich will. Ein Pferd kann schnappen, weil es high auf Testosteron ist, weil es sich gegen den unpassenden Sattel wehren will, weil ich es massiv überfordert habe etc. Ich kannte ein Pferd, das auf Grund früherer schlechter Behandlung und eines massiven Satteldrucks (grosser weisser Fleck auf dem Widerrist) beim Satteln regelmässig schnappte. Das Pferd war in der Herde deutlich subdominant, beim Reiten war es sehr bemüht alles richtig zu machen. Die Besitzerin löste das Problem, indem sie ihn erst aufzäumte und dann sattelte, er kaute dann wie wild auf dem Gebiss rum statt zu schnappen.
Janina hat geschrieben:Andererseits denke ich schon, dass "testen" das richtige Wort ist und die Anfragen seitens des Pferdes sehr viel mit der Dominanzfrage zu tun haben.
Meines Erachtens wird die “Dominanzfrage” überbewertet. Fast alles, was wir vom Pferd verlangen ist ausserhalb dessen, was ein anderes Pferd von ihm verlangen würde. Unter Pferden spielt Dominanz dann eine Rolle, wenn es um den Zugang zu Ressourcen geht, wir streiten uns aber normalerweise nicht mit dem Pferd um die beste Stelle zum Grasen, den Vortritt beim Brunnen oder einen Sexualpartner. Um mal das Beispiel Grasen zu nehmen: Wenn ich das Pferd daran hindere, an einer bestimmten Stelle zu grasen, könnte ich das noch als Dominanzverhalten meinerseits verstehen (das ist mein Stück Gras und nicht deins, auch wenn ich offensichtlich nicht davon fresse). Wenn ich aber das Pferd gleichzeitig daran hindere, von mir wegzugehen und 20 m weiter den Hügel hinauf zu grasen, ist das aus Pferdesicht kein sinnvolles Verhalten mehr. Kein Pferd legt einem anderen ein Stück Eisen ins Maul, treibt es über ein Hindernis, obwohl ein Weg daran vorbeiführt, verlangt einen Galoppwechsel bei X ...
Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einer Bekannten, die ihr Pferd jahrelang allein ritt, und neuerdings eine Reitbeteiligung hat. Sie beklagte sich, ihr sonst so kooperatives Pferd habe angefangen, die RB zu “testen”. Ja um Himmels willen, wie soll sich denn das Pferd verhalten? Die RB bewegt sich anders, spricht anders, riecht anders als die Besitzerin. Sie hat eine andere Figur, d.h. sie sitzt nicht gleich auf dem Pferd, wirkt mit den Schenkeln nicht genau am gleichen Ort ein wie die Besitzerin. Das Timing der Hilfen ist anders, möglicherweise verlangt sie auch ein etwas anderes Tempo als die Besitzerin etc. Kurz, die zwei haben schlicht noch keine klare gemeinsame Sprache, das Pferd versteht nicht so recht was es soll und versucht, irgendwie mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Dazu kann auch gehören, dass es auf das unklare Kauderwelsch der RB mal gar nicht mehr reagiert.
Das ist ähnlich, wie wenn ich versuche, jemandem, der schlecht Deutsch kann, Anweisungen zu geben, z.B. bei der Arbeit (“ich Chef, du Ausländer”, die Rangordnung ist für beide Seiten klar). Wenn dann was anderes als erwartet rauskommt, hat mich die Person nicht “getestet”, sondern schlichtweg nicht recht verstanden, was sie eigentlich tun sollte.
Vermutlich richtet das Erklärungsmuster “Dominanz” mehr Schaden an, als dass es hilft, Probleme zu lösen.
Tanja Xezal