Warum wirken Hilfen? Reflexe oder erlernte Signale?

Rund um die klassische Reitkunst

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Rosana
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Warum wirken Hilfen? Reflexe oder erlernte Signale?

Beitrag von Rosana »

Folgender Beitrag stammt aus dem Thread zum Widerrist anheben und ich möchte mich dazu gerne weiter austauschen:
saltandpepper hat geschrieben:Max, das hast du sehr schön beschrieben !
Vielleicht darf ich noch ein paar Gedanken dazu ergänzen ?:
Je länger ich mich mit Reiten beschäftige, um so wichtiger erscheint mir, immer zu betonen, daß jegliche Hilfe NICHT DIREKT den gewünschten Effekte BEWIRKT, sondern lediglich eine Kommunikationsinstrument dem Pferd gegenüber darstellt.

In soweit wirkt eine Parade mitnichten AUF DIE HINTERBEINE, sondern die richtig, für das Pferd verständliche Parade, SETZT DAS PFERD UM, INDEM ES mit den Hinterbeinen entsprechend agiert:
Auch das mag man wieder als Korintenkackerei :wink: sehen, aber für mich zieht dieser Grundgedanke Vieles nach sich :

Gehe ich davon aus, daß ICH ein Pferde treibe- sprich es laufen mache, und es läuft nicht wie gewünscht, so verstärke ich automatisch die Intensität meines Treibens.
Gege ich hingegen davon aus, daß ich DAS PFERD mit einer treibenden Hilfe auffordere, SELBST ZU LAUFEN, versteht es sich von selbst, daß ich meine Anspräche ANDERS gestalte, um dem Pferd eine Variation und damit eine Möglichkeit zum Verständnis zu bieten.

Nicht ICH mache das Pferd laufen, sondern DAS PFerd läuft.
Ebenso :
Nicht ICH Mache das Pferd BIEGEN, sonder DAS PFERD biegt SICH.

Nicht ICH manche die Hinterbeine des Pferdes unter den Schwerpunkt, sondern DAS PFERD schwingt SEINE Beine SELBST dorthin.

Somit muß das Streben innerhalb des Reitens doch darin bestehen, die gewünschten Dinge dem Pferd möglichst verständlich zu vermitteln. Eben, damit es die Anfragen wie gewünscht beantworten KANN.

Ganz ganz viele Fehler in der Einwirkung des Reiters passieren aus dem Denkansatz heraus, daß der Reiter meint die Dinge DIREKT bewirken zu können. Genau aber das kann er nicht, er kann sie nur INDIREKT bewirken, denn Ausführender ist DAS Pferd.
Er kann, um es in Neindorffs Worten zu sagen :" die passende Ansprache finden", oder in den Worten von Herrn Karl : " es nutzt nichts, einem, der kein Englisch versteht etwas auf Englisch zu erklären, und wenn er es nicht versteht, dann auf Englisch zu brüllen..."

Man kann ein Pferd weder anschieben mit dem Sitz, noch schließen, man kann es weder bremsen mit dem Zügel, noch kann man iregndwie die Hintrbeine irgendwohin TUN. Man kann nur DEM PFERD vermitteln, WAS ES SELBST tun soll.

Wem das jetzt zu philosophisch war, der möge es einfach überlesen.... 8)
Grüße S&P
Ich finde das garkeine Korinthenkackerei, denn es macht wirklich einen großen Unterschied, ob ich der Ansicht bin, dass ich meinem Pferd die Hilfen erst erklären muss, oder ob es aus Widersetzlichkeit nicht wie gewünscht reagiert.

Ich hatte vor vielen Jahren mal eine heftige Diskussion mit anderen Reiterinnen darüber, ob Hilfen beim Pferd (auch) Reflexe auslösen oder ob sie ausschließlich erlernte Reaktionen darauf zeigen.
Es gibt Reitlehrer, die behaupten, das z.B. eine treibende Hilfe einen Reflex im Muskel auslösen, der sich dann zusammenzieht und dazu führt, dass das Hinterbein stärker angehoben wird.
Ich hielt das damals für ziemlichen Unsinn. Denn wenn man sich auf ein ungerittenes Pferd setzt und die Schenkel anlegt, passiert alles mögliche, nur geht das Pferd meistens nicht vorwärts.

Dagegen kann man einem Pferd ja alle möglichen Signale beibringen um ein und die selbe Sache zu tun: Beispielsweise Rückwärts gehen auf Druck auf die Brust, ein Stimmkommando, Gewichtsverlagerung im Sattel, Zügelhilfe und und und...

Andererseits gibt es natürlich schon Hilfen, die näher liegen als andere, also beispielsweise Gewichtsverlagerungen oder auch ein biegender Schenkel. Beim Einreiten von Rosana wundere ich manchmal, dass sie auf bestimmte Hilfen richtig reagiert, wo ich mir gar nicht bewusst bin, ihr diese gezielt beigebracht zu haben. Hier handelt es sich wohl um eine Mischung daraus, dass die gewünschte Reaktion fürs Pferd auf diese Hilfe einfach nahe liegt, zum anderen man es "unbewusst" beibringt, indem man die Hilfe sofort aussetzt, sobald das Pferd richtig reagiert hat.

Was sagen andere dazu?
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Ich glaube, die treibende Schenkelhilfe muss vom Pferd erlernt werden. Die Handhilfen machen sich die Reflexe im Unterkiefer (Lockerung, Animieren zum Schlucken und "Abkauen") zunutze. Auch Gewichtshilfen werden vom Pferd verstanden. Ganz einfaches Beispiel: Du hast einen schweren Rucksack auf dem Rücken, und der verrutscht nach links. Du wirst unwillkürlich dem Rucksack folgen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Viele Grüße
Sabine
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Aber jene genialen Reiter, Oliveira allen voran, sagte man nach, dass sie fast unvorbereitete Pferde nach kurzer Zeit in schweren Lektionen führen konnten. Diese Pferde bauten sicher nicht schneller Kraft auf als unsere - jene Reiter waren wohl nur in der Lage, sich rascher verständlich zu machen. Um die Übungen auszuformen und zu vollenden braucht ein Pferd sehr sicher dann doch Kraft und somit einen Konditions- und Muskelaufbau. Aber die ersten Andeutungen der Übungen
Eigentlich sind alle Lektionen, wenn man sie nur einmalig ausführt, lediglich eine Sache von Gleichgewicht und Koordinationsvermögen. Reitgenies vermögen das Pferd so gut in die richtige Position zu bringen, dass Pferde die gewünschte Lektion tatsächlich schon sehr schnell ausführen können. Ich glaube, viele Genies forderten darüber hinaus vom Pferd nach dem Aufwärmen nur eine Lektion, einige wenige Male ausgeführt und beließen es nach guter Ausführung für diese Reiteinheit, die manchmal höchstens 1/4 Std. lang dauerte (Das alles ist purer Baucherismus, oder? :roll:) Übrigens galt dies nicht nur für NO, sondern auch deutsche Reitmeister (ich weiß jetzt nur nicht, ob es Lörke oder Stensbeck oder ein Dritter war?) waren in der Lage, bereits 5jährige Pferde in allen GP-Lektionen zu arbeiten, ohne dass sie langfristig Schaden genommen haben.

Ganz besonders bewundernswert finde ich bei NO den Sitz, mit dem er vermutlich jedes Pferd "knacken" konnte. Der Sitz war (obwohl er nie schön oder elegant ausgesehen hat, oft hat er einen Buckel gemacht) so unglaublich effektiv, dass Hände und Beine nur noch "assistiert" haben.

Aber da wir alle keine Genies sind, müssen wir etwas gründlicher an den Basics arbeiten, die notwendige Kraft und Kondition bei unseren Pferden aufbauen und langsam an Gleichgewicht, Koordination und Geraderichtung arbeiten - auch bei uns Reitern, denn wir haben die gleichen Probleme wie unsere Pferde :wink:

Übrigens hat mein Rocki schon als Remonte Traversalen angeboten. Ich habe sie einfach ab und zu mitgenommen, ohne jedoch den Grad der Stellung/Biegung, der Abstellung oder des Seitwärts zu bestimmen. Erst im Alter von etwa 7 Jahren habe ich mit ihm ernsthaft angefangen, an den Traversalen zu arbeiten. Das gleiche gilt für die Galopptraversalen, die ich seit etwa 2 Jahren (Rocki ist jetzt 10) immer mal vielleicht 1x in der Woche, manchmal nur einmal in 4 Wochen, rechts und links einmalig abgefragt habe. Wichtig war mir dabei, dass er einfach eine Idee vom Seitwärts im Galopp bekommt, auch wenn die Seitwärtsbewegung nur minimal war. Erst jetzt ist die Galoppade so weit, dass ich langsam anfangen kann, gründlicher an der Ausführung zu arbeiten. Für ihn ist das eine entspannte Art des Lernens, denn zu dem Zeitpunkt, an dem wir wirklich anfangen, an der Ausführung der Lektion zu feilen, kennt er sie bereits seit geraumer Zeit und geht positiv an etwas erhöhtere Anforderungen innerhalb der Lektion heran. Für ihn und sein Lernverhalten ist dieses Vorgehen sehr wichtig.
Viele Grüße
Sabine
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saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Nun, es gibt beides Rosana. Es gibt Hilfen, die sich Reflexe zu Hilfe nehmen und es gibt Hilfen, die konditioniert sind- und es gibt auch Mischformen davon.
Z.B. die Schenkelhilfe : das Pferd zum Schub veranlassen ist der konditionierte Teil, denn dafür , diesen Teil der HH-Bewegung auszulösen, liegt derSchenkel einfach an der falschen Stelle. ABER, das Bein in der Schwungbeinphase zum vermehrten Durchschwingen zu bringen, dazu kann man sich des Reflexes der Bauchmuskulatur bedienen.
( auch das ist btw. wieder so ein Punkt, in dem die Vertreter der deutschen Klassik und z.B. ein Herr Karl so trefflich aneinander vorbeidiskutieren !)
- esge beschrieb diesen Teil der Schenkeleinwirkung so treffend in der Wiederristhebe-Diskussion kürzlich in ihrem Bericht über einen besonders gelungenen und beglückenden Ritt auf ihrem Lusitano.

Das "Biegen" ( rsptve. Veränderung der Schulterbalance) über den Schenkel dagegen, Rosana, ist für das Pferd nach meiner heutigen Auffassung eine die ganze Ausbildung erschwerende Sache.

Einer der Punkte die für das Pferd viele Erschwernisse nach sich ziehen : in der deutschen Reiterei wird schlicht ZU VIEL auf den Schenkel gelegt : Treiben, Schwungentfaltung, Verwahren, Biegen, Weichen lassen der HH, Weichen lassen der VH, Halten, Rückwärtsrichten.... All das soll ein einzelner Körperteil übernehmen und all das soll das Pferd mit seiner Kontaktfläche = Flanke differenziert unterscheiden und umsetzen können ?!
Kann das funktionieren ?
Ja, es kann, ABER : Voraussetzungen hierfür sind
- zum Ersten ein Reiter, der absolut differenziert und punktgenau seinen Schenkel koordinieren kann, absolut losgelassen sitzt, denn nur so ist der Schenkel "Sitzunabhängig" und genau weiß, was er wie bewirken soll/kann. - Also ein sehr weit fortgeschrittener Reiter ! und
-zum Zweiten der Faktor "Zeit" in der Ausbildung des Pferdes. Schließlich ist die Unterscheidung eine komplexe Angelegenheit.
Ich vermute heute, daß das laute Rufen nach "genügend Zeit" in der Grundausbildung zum großen Teil darauf beruht, daß die Pferde schlicht nicht mental in der Lage sind, eine so schwierige "Sprache" schnell zu lernen.

Und damit kämen wir wieder zu esges Gedanken aus der "Wiederrist-heben- Diskussion" : spielt wirklich die "Kraft" und die "Koordinationsfähigkeit" in der Ausbildung eine so bedeutende Rolle, wie es ihnen immer zugeschrieben wird ?
Ich denke nein, es ist eher die Fähigkeit des Pferdes, zu verstehen, was wir da oben drauf wollen, was so viel Zeit braucht.
In soweit, je einfacher- je besser.
Und daher finde ich das Ausbildungssystem, wie Herr Karl es lehrt so genial : es ist FÜR DIE PfERDE leicht ! Hach, das mußte jetzt sein !( :D freut sich über das Wort zur Légèreté im neunen Jahr)

Trotzdem, um denen, die sich jetzt wieder aufregen erst gar keine Angriffsfläche zu bieten :
Ja, natürlich geht es auch anders !
Ja, natürlich ist das andere System "nicht schlechter"- aber es ist eben schwieriger und daher braucht es dafür NOCH MEHR Zeit, als das der Légèreté :wink: ( würde jetzt irgendjemand vermuten, daß ich begeisterter Freund der Légèrté bin ??? ---neeeeiiiin :oops: - unschuldig guckt)
:lol: :lol: :lol: S&P
esge
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Beitrag von esge »

Nochmal zum treibenden Schenkel:

Ja! Der Schenkel berührt in der Tat einen Reflexpunkt, der den Bauchmuskel dazu bringt, sich zusammen zu ziehen. Bloß dient das kein bisschen dem Vorwärts. Was tut ein unvorbereitetes PFerd stattdessen? Richtig, es bleibt stehen, überempfindliche Charaktere kicken nach dem Schenkel, bzw. später nach dem Sporn. Genau diesen Reflex bedient nämlich dieser Punkt: Er zieht das Hinterbein nach vorwärts aufwärts.

Dass die komischen Zweibeiner damit meistens das Gegenteil meinen - nämlich Bauchmuskel muss sich entspannen, damit der Abschub des Hinterbeins (Zusammenziehen des Rückenmuskels) erfolgen kann, das muss das junge Pferd erst lernen.

Ähnlich ist es ja mit den Zügelhilfen. Ziehen am Zügel bewirkt erstmal, dass das Pferd dagegen zieht. Das es dem Druck auf seinen Laden nachgeben soll, muss es erst lernen.

Wie lernt nun ein Pferd (jedes Lebenwesen)?
Durch Erfolg und Misserfolg.

In der klassischen Konditionierung unterscheidet man vier Formen:

Positive Belohnung
Negative Belohnung
Negative Strafe
Positive Strafe

Dabei bedeutet "positiv" nicht in unserem Sinne positiv, sondern lediglich, dass etwas hinzugefügt wird.

Bei der positiven Belohnung füge ich also z.B. ein Leckerli oder eine Streicheleinheit hinzu. Bei der negativen Belohnung lasse ich etwas weg, was zuvor unangenehm war, z.B der Druck des Gebisses aufs Pferdemaul. Reiterhilfen basieren fast ausschließlich auf negativer Belohnung (sofern gut geritten wird. Ansonsten tummeln sich auch noch munter negative Strafe, z.B. Weglassen von Ruhephasen und positive STrafe, Gertenhieb, beim Reiten). Eigentlich etwas ärmlich, oder? Schließlich muss das Pferd alle Sinne ständig offen haben, um erraten zu können, was wir wollen könnten. und wenn es gut ausgeht, kriegt es dafür weniger Druck. Fast ein Wunder, dass sie mit uns zusammenarbeiten wollen, oder?
Loslassen hilft
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

saltandpepper hat geschrieben:Nun, es gibt beides Rosana. Es gibt Hilfen, die sich Reflexe zu Hilfe nehmen und es gibt Hilfen, die konditioniert sind- und es gibt auch Mischformen davon.
Ja, das denke ich inzwischen auch - mal wieder so ein Fall, wo es einfach kein schwarz und weiß gibt, gell? :wink:
saltandpepper hat geschrieben:Z.B. die Schenkelhilfe : das Pferd zum Schub veranlassen ist der konditionierte Teil, denn dafür , diesen Teil der HH-Bewegung auszulösen, liegt derSchenkel einfach an der falschen Stelle. ABER, das Bein in der Schwungbeinphase zum vermehrten Durchschwingen zu bringen, dazu kann man sich des Reflexes der Bauchmuskulatur bedienen.
Ah - das war mir nicht klar! Wieder einmal ein Fall, wo es sehr sinnvoll ist, die Dinge sehr DIFFERENZIERT zu betrachten...
saltandpepper hat geschrieben:Das "Biegen" ( rsptve. Veränderung der Schulterbalance) über den Schenkel dagegen, Rosana, ist für das Pferd nach meiner heutigen Auffassung eine die ganze Ausbildung erschwerende Sache.
Oh das ist ja interessant, magst du das noch mal genauer erklären? Ist natürlich schon wieder ein neues Thema, aber wenn es in ein paar Sätzen geht, gehts vielleicht auch hier?



saltandpepper hat geschrieben:Und damit kämen wir wieder zu esges Gedanken aus der "Wiederrist-heben- Diskussion" : spielt wirklich die "Kraft" und die "Koordinationsfähigkeit" in der Ausbildung eine so bedeutende Rolle, wie es ihnen immer zugeschrieben wird ?
Ich denke nein, es ist eher die Fähigkeit des Pferdes, zu verstehen, was wir da oben drauf wollen, was so viel Zeit braucht.
Ist es nicht auch hier wieder eine Kombination aus beiden? Also das Pferd muss verstehen, was wir eigentlich wollen, aber es muss auch körperlich dazu in der Lage sein und das braucht halt Übung? Nur als ein Beispiel: Galoppieren mit Reiter oben drauf in der Reitbahn (Kurven!). Klar kann ich es irgendwie in den Galopp jagen. Aber vernünftig Galoppieren mit Reitergewicht und dann um die Kurve, dafür braucht es doch erst mal eine gewisse Balance und auch Kraft, die man erst trainieren muss, oder?
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cicero
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Beitrag von cicero »

Rosana hat geschrieben:
saltandpepper hat geschrieben:Das "Biegen" ( rsptve. Veränderung der Schulterbalance) über den Schenkel dagegen, Rosana, ist für das Pferd nach meiner heutigen Auffassung eine die ganze Ausbildung erschwerende Sache.
Oh das ist ja interessant, magst du das noch mal genauer erklären? Ist natürlich schon wieder ein neues Thema, aber wenn es in ein paar Sätzen geht, gehts vielleicht auch hier?

DAS würde mich auch interessieren!
Was wäre denn deiner Meinung nach (oder Meinung der klass. Profis) sinnvoller als der Schenkel zum Biegen?

Vielleicht wisst ihr das alle auch, aber ich bin erst dabei, mich mit Klassischem Reiten zu beschäftigen und habe dazu noch nichts gelesen.
horsman
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Beitrag von horsman »

esge schrieb:

"Bei der negativen Belohnung lasse ich etwas weg, was zuvor unangenehm war, z.B der Druck des Gebisses aufs Pferdemaul. Reiterhilfen basieren fast ausschließlich auf negativer Belohnung (sofern gut geritten wird. "

Gut geschrieben und der Grund dafür, dass und wie die main fixe funktioniert (und ebenso der Ausbindezügel). Das Pferd belohnt sich selbst, wenn es nach gibt. Ganz wichtig ist aber, dass die Hand nicht zurück zieht. Das hört sich leichter an, als es ist, besonders, wenn die Hand eine höhere, freie Position ein nimmt. Ein Ausbindezügel in in diesem Punkt sehr präzise.
First a relaxed mind, then a relaxed horse.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Aber vernünftig Galoppieren mit Reitergewicht und dann um die Kurve, dafür braucht es doch erst mal eine gewisse Balance und auch Kraft, die man erst trainieren muss, oder?
Rosana, wenn Dich solche Fragen wirklich interessieren, solltest Du Dich einmal mit Baucher und seinen Erben befassen, denn da wird eine völlig andere Gedankenwelt offenbar: sie gehen nämlich (sehr simpel ausgedrückt) davon aus, dass, wenn man ein Pferd in die richtige Balance bringt, dieses jede Lektion innerhalb kürzester Zeit ausüben kann.

Sie haben es fertiggebracht, Pferde nur im Halten oder Schritt auszubilden (und nie zu traben oder galoppieren) und trotzdem haben Dritte bescheinigt, dass eben diese Pferde sich, sobald man sie das erste Mal angetrabt oder angaloppiert hat, in völligem Gleichgewicht bewegt haben.

Diese Ausbildung machten sie nicht in kraftraubender Kilometer-Reiterei, sondern oft in sehr kurzen, aber häufigen Lernsequenzen.

Baucher muss ein absolut genialer Reiter gewesen sein, der ein unglaubliches Feeling für die richtige Gleichgewichtsverteilung und das richtige Timing gehabt hat. Von den sehr modernen Ansätzen, was Lernverhalten und osteopathische Grundsätze betrifft, völlig abgesehen. Er war seiner Zeit weit voraus, hatte aber leider einen sehr wenig eloquenten Schreibstil und hat darüber hinaus seine Lehre im Laufe seines Lebens mehrfach überarbeitet, was zur Verwirrung beigetragen hat.
Das Problem an seiner Lehre ist, dass sie nur für sehr fortgeschrittene Reiter oder wahre Meister geeignet ist ("das Rasiermesser in der Hand des Affen").

(Das Verdienst von Philippe Karl ist es, diese sehr komplexe Lehre auf einige wenige einfache Nenner herunterzubrechen, und zwar so, dass sehr durchschnittliche Reiter ihre Pferde ausbilden können und sie dennoch nicht verderben werden. Und dass diese Schule trotzdem noch auch für sehr fortgeschrittene Reiter interessant bleibt.)

Diese Schulen mögen Dich völlig abstoßen, weil sie jeder Deiner bisherigen reiterlichen Überzeugungen entgegengesetzt sind - und trotzdem ist es hochinteressant, sich rein theoretisch damit zu befassen, auch wenn man's nie nachmachen will :wink:
Viele Grüße
Sabine
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cinnamon
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Beitrag von cinnamon »

esge hat geschrieben:Nochmal zum treibenden Schenkel:

Ja! Der Schenkel berührt in der Tat einen Reflexpunkt, der den Bauchmuskel dazu bringt, sich zusammen zu ziehen. Bloß dient das kein bisschen dem Vorwärts. Was tut ein unvorbereitetes PFerd stattdessen? Richtig, es bleibt stehen, überempfindliche Charaktere kicken nach dem Schenkel, bzw. später nach dem Sporn. Genau diesen Reflex bedient nämlich dieser Punkt: Er zieht das Hinterbein nach vorwärts aufwärts.
bestätigenkann :D
ich bin mein nimmermüdes rennmuli ein zeiterl mit sporen geritten um genau diesen punkt gezielt zu bedienen. das tierchen ist mir mit bewaffnung regelrecht eingepennt, während ein normales schenkelanlegen üblicherweise erstmal fluchtreflexe auslöste.

@ horsmän: dabei agiert das pferd aber aus reiner meidemotivation.
gimlinchen
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Beitrag von gimlinchen »

ich habe vor paar jahren einen kurs von mark rashid besucht. darin hat er hier und da ein wenig erzählt und eine aussage hatte mir gefallen: er hat eine (gut reitenden) dame dazu gebracht, komplett ohne "hilfen", nur auf gedankenbilder zu reiten. sie hatte vorher probleme, ihr pferd zu halten (großes warmblut mit wahnsinnshals...) - nach 15 Minuten ritt sie am entspannten zügel. nicht lose, das hätte nicht zu den lektionen gepasst (dressur, schwere lektionen) seine aussage: Man muss am ende nur denken, am anfang dem pferd helfen, zu verstehen was man will und ihm helfen es zu tun. am zügel irgendetwas tun und mit den schenkeln herummachen "just makes the rider feel important."
Wichtigtuerei....

Ich finde das einen interessanten gedanken :-), weil er den fokus wegnimmt vom eigenen athletischen anstrengen auf das konzentrieren auf gedankenbilder
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

cicero hat geschrieben: DAS würde mich auch interessieren!
Was wäre denn deiner Meinung nach (oder Meinung der klass. Profis) sinnvoller als der Schenkel zum Biegen?

Vielleicht wisst ihr das alle auch, aber ich bin erst dabei, mich mit Klassischem Reiten zu beschäftigen und habe dazu noch nichts gelesen.
Cicero und Rosana, das sprengt den Rahmen dieser Diskussion. Aber ihr könnt ja noch eine neue Diskussion zum Thema "Biegung und wie erreichen" aufmachen, wenn ihr wollt....

Rosana, ja, die Sache mit der Kraftentwicklung, der Geschicklichkeit und dem Verständnis des Pferdes sehe ich auch so. Klar braucht das Pferd Kraft, klar braucht es Geschicklichkeit im Balancieren- wie ein Tänzer auch- viel, viel gute Gymnastik, dennoch ist denke ich das Hauptproblem, daß das Pferd diese Dinge oft nicht willenskräftig ausführt. Ein Tänzer weiß, was was er will ud strebt aus eigenem Willen diszipliniert und zielgerichtet dorthin. Dafür schindet er sich, dafür trainiert er, dafür kämpft er auch.


Ein Pferd hingegen hat das ganz andere Probleme :
1.) was will denn der Reiter von mir ???
2.) der Sinn ist dem Pferd nicht begreiflich und folglich auch nicht das Ziel.

In soweit sind 2 Dinge massiv behindernd :
-Reiter und Pferd müssen eine gemeinsame Sprache finden und
-zweitens ist das Ziel ja NICHTt SEIN EIGENES ( warum um alles in der Welt, sollte ein Pferd z.B. im Kreis galoppieren oder auf der Stelle traben ?), sondern das des Reiters und folglich kennt es weder Ziel noch weg dorthin.
Es muß sich also blind ins Blaue führen lassen.....

Keine guten Voraussetzungen für Motivation !!!

Da also das Ziel z.B. eine bestimmte Lektion- für das Pferd keinen Anreiz bieten KANN, muss der Reiter andere Anreize schaffen wie z.B. das Eifern nach Lob und Belohnung, positives, verbessertes Köpergefühl und natürlich auch die Möglichkeit, sich selbst in den Übungsablauf und dessen Gestaltung einzubringen.

Eine weiter- für mich allerdings nicht in Erwägung zu ziehende - Möglichkeit ist das Arbeiten über negative Motivation : Druck und Strafe. Im Grunde die Faktoren Unbehagen, Schmerz und Angst.
Und damit natürlich wie weiter vorne geschrieben- reine VERMEIDUNGSmotivation.

Sicher wäre es anmaßend zu behaupten, ich selbst könnte immer und gänzlich auf negative Motivation verzichten, aber, wie heißt es so schön: der Weg ist das Ziel- ich bin bestrebt, sie zu vermeiden, wo immer dies möglich ist und ständig auf der Suche, Möglichkeiten zu finden, die diese Form der "Bearbeitung" des Pferdes überflüssig machen.

Für mich nimmt dabei die Verständlichkeit für das Pferd bei meiner Arbeitsweise, mit die wichtigste Rolle ein :
Je einfacher das Pferd begreifen kann, was ich will, um so weniger Mißverständnisse und damit "gefährliche Situationen" im Hinblick auf den Einsatz negativer Motivation sind vonnöten.

Je mehr ich dem Pferd die Möglichkeit schaffe, sich willenskräftig selbst einzusetzen,
- weil es verstanden hat, was es soll und
-sich somit selbst einbringen kann und
-selbst engagieren,
um so leichter kann ich mich zurücknehemen und das Pferd nur noch hinlobend leiten, in SEINEM eigenständigen Handeln.

DAS ist für mich das Ziel, das ich mir für meine Arbeit mit Pferden gesteckt habe. Dahin strebe ich. Auch wenn es mir nicht immer gelingen will- ( sch....philosophie - blöder menschlicher Faktor :lol: ) es gelingt doch immer wieder, immer öfter - immer besser. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen !
DER WEG IST DAS ZIEL !
Zuletzt geändert von saltandpepper am Mo, 03. Jan 2011 11:18, insgesamt 4-mal geändert.
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Beitrag von Rosana »

Max1404 hat geschrieben: Diese Schulen mögen Dich völlig abstoßen, weil sie jeder Deiner bisherigen reiterlichen Überzeugungen entgegengesetzt sind - und trotzdem ist es hochinteressant, sich rein theoretisch damit zu befassen, auch wenn man's nie nachmachen will :wink:
Hi Max, danke für die Anregung, ich bekomme tatsächlich immer mehr Lust darauf. Das Stodulka-Buch reizt mich schon länger.

Ich war vor vielen Jahren (ca. 10) schon mal bei einem Vortrag von Karl und auch bei einem Kurs zum Zuschauen. Der Vortrag hat mich damals sehr fasziniert, der Kurs eher abgeschreckt. Sein Reitkunst Buch habe ich und auch größtenteils gelesen.
Letzten Monat durfte ich bei einem Ausbilderkurs von Bea Borelle zuschauen (vermittelt durch ein Forumsmitglied hier) und DAS war wirklich toll. Ich habe dort viele der Legerete-Konzepte angefangen zu verstehen und tolle Anregungen für mich bekommen.
Auch bei Susanne Lohas war ich schon zum Zuschauen, dort ging es zwar eher um Bodenarbeit, aber Aktion/Reaktion habe ich dort z.B. kennengelernt.

Ich kuck mir sowieso eigentlich alles an, was ich nur kriegen kann (von NH über WEstern bis Feldenkrais oder Solinski) und habe bisher noch überall irgendwas mitnehmen können.
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Beitrag von esge »

Wichtig, wichtig, die Feststellung, dass die Motivation des Reiters und die des Pferdes leider meist nicht dieselbe ist. Warum um Himmels Willen sollte ein Pferd sich motiviert fühlen, in einem 800 qm großen Sandkasten Kringel zu drehen? Am Ende auch noch tagaus, tagein. Es gibt dann die Auffassung, dass man einem Dressurpferd möglichst wenig andere Abwechslung bieten sollte, damit es für die eine Stunde Kringeldrehen am Tag gefälligst dankbar ist. Na danke schön.
In der Tat ist aber ein Weidepferd, das halbwegs artgerecht mit Kumpels lebt häufig noch schwerer zum kringeln zu motivieren.

Ich habe vor einigen Jahren mal in Wiesbaden am Abreiteplatz gestanden. Erst Dressur, dann Springen. Ich will nichts über die Reiterei an sich dort sagen (überwiegend grusel und doppelgrusel) aber eins fiel mir auf: Die Springpferde wirkten durch die Bank motivierter auf mich, schienen häufig wirklich Spaß an den knochenbrechenden Sprüngen zu haben, druff und drübber, juchhu! Bei den Dressurpferden konnte ich kein einziges entdecken, das tun wollte, was es tun sollte.

Wir behaupten, dass Dressur die Mutter aller Reiterei ist, quasi lebensnotwendig für jedes gerittene Pferd - und haben damit ausgerechnet die Sparte gewählt, die dem Pferd scheinbar am schwierigsten schmackhaft zu machen ist.
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Beitrag von esge »

Also, womit können wir unsere Pferde denn nun motivieren, irgendwann selbst Lust auf Dressur zu bekommen?

obwohl ich überzeugte Keksfütterin bin (für außergewöhnliche Taten, neue Abläufe) kann das ja nun nicht die einzige Möglichkeit sein.
Da werden gern Pausen angeführt. Aber vorsicht: Nicht jedes Pferd fühlt sich von einer Pause belohnt! Streicheln, dito. Manche mögen es, manche nicht.

Am besten funktioniert eigentlich immer das, was für das Tier selbstbelohnend ist. Mein Hund bspw möchte beim Ballwerfen und Apportieren kein noch so feines Leckerli zugesteckt bekommen. Ihre größte Belohnung ist das Apportieren an sich. Der Vorgang ist selbstbelohnend: Jedes mal wenn sie den Ball/Stock/Apportel bringt, fliegt es erneut. Gerne 200 Mal, wenn es nach meinem Hund geht.

Es wäre also das Ziel, unseren Pferden Reiterei so zu vermitteln, dass der Vorgang an sich selbstbelohnend ist.

Mit einem kurzbeinigen, äußerst gewerkschaftlich veranlagten hafi wollten wir gern die halbe Pirouette beginnen. Puh, zääääääh! also ließ ich die Reiterin im Schritt die Viertellinie reiten, dann gen Wand wenden und in der Wendung hast was, gibste was, angaloppieren.
Nach dem 3. Mal hatte hafi die Übung begriffen und bekam einen Riesenspaß daran. Hey, rumwerfen und loswetzen, ein tolles Spiel!!! Der Vorgang war selbstbelohnend geworden. Nein, das ist noch keine halbe Pirouette, aber der Drang nach vorn war nun da, die anderen Elemente bereits früher aufgebaut und jetzt kann man was draus machen.
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