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alter oder neuer Gueriniere?

Verfasst: Mo, 09. Jun 2008 19:48
von Guppy
Ich wollte mal von euch wissen, wer "Reitkunst oder gründliche anweisung" also den Originaltext gelesen hat und ob die leichter verständliche Fassung von Branderup genauso sinnvoll ist oder ob hier entscheidende teile weggelassen wurden? kann mir da jemand helfen?

Verfasst: Di, 10. Jun 2008 00:57
von Gawan
Ich habe zwar nicht den ganzen Guérinière im Original gelesen, konsultiere aber bei Unklarheiten den französischen Text, da es Stellen gibt, die jeder Übersetzer nach seinem (Miss)Verständnis interpretiert (Übersetzen bedeutet immer auch Interpretieren). Zwei Beispiele für das Problem des Übersetzens aus der Beschreibung des Sitzes (Markierungen von mir):

Original:
"Immédiatement après avoir placé la main de la bride, il faut s'asseoir juste dans le milieu de la selle, la ceinture & les fesses avancées, afin de n'être point assis près de l'arçon de derriere: il faut tenir ses reins pliez & fermes, pour résister au mouvement du Cheval."

Übersetzung Knoell:
"Gleich darauf, nachdem man die Zügelhand gestellt hat, muss man sich genau in die Mitte des Sattels setzen, mit hervorgebrachtem untern Theil des Leibes und Gesässes, damit man nicht bei die hintern Sattelpauschen zu sitzen komme. Die Lendenwirbelsäule muss man gebogen und stäte halten, um der Bewegung des Pferdes zu widerstehen."

Übersetzung Branderup/Kern:
"Gleich nachdem man die Zügelhand in Position gebracht hat, muss man sich genau in die Mitte des Sattels setzen, mit etwas nach vorne geschobenem Unterkörper und Gesäss, damit man nicht an den hinteren Sattelpauschen sitzt. Die Lendenwirbelsäule muss man natürlich gebogen und entspannt halten, um der Bewegung des Pferdes zu folgen".

Hier ist die Übersetzung Knoells näher am Original. Wer mal nach dem Ausdruck "reins pliés" googelt, wird feststellen, dass damit in den Textbeispielen meist ein runder Rücken wie beim Bücken beschrieben wird, und nicht eine natürlich gebogene Wirbelsäule. Wollte man es ganz genau nehmen, müsste man in Texten aus der Zeit Guérinières nach Belegen suchen, um sicher zu sein, was er damit meinte. Das "natürlich" in Branderups Übersetzung ist ganz klar eine Ergänzung, die so nicht im Original steht. Entsprechend heikel sind auch die Ausdrücke "fermes" und "résister". Nicht dass ich genau verstünde, was Guérinière damit meinte ...

Original:
"A l'égard des jambes, (...): leur vraie position est d'être droites & libres du genou en bas, près du Cheval sans le toucher, les cuisses & les jarrets tournez en dedans, afin que le plat de la cuisse soit, pour ainsi dire, colé le long du quartier de la selle."

Knoell:
"Was die Schenkel (...) anbelangt, (...) Ihre wahre Stellung ist, dass sie von dem Knie bis nach unten gerade und ungezwungen gehalten werden, dass sie nahe am Pferde liegen, ohne es jedoch zu berühren, und die Dickbeine nebst den Knien herum und nach innen gewendet werden, damit der flache Theil des Schenkels, längst den Satteltaschen, gleichsam wie angeleimt seye;"

Branderup / Kern:
"In der richtigen Haltung fallen die Schenkel vom Knie gerade und locker nach unten, so dass sie nahe am Pferd liegen, ohne es jedoch zu berühren. Die Oberschenkel und die Knie werden etwas nach innen gedreht, damit die flache Seite wie angeleimt an den Sattelpauschen liegt."

Heikel ist hier das Wort "jarret", das laut meinem Larousse "Kniekehle" bedeutet. Drehe ich nämlich die Knie nach innen, so wie ich es im Tattersaal gelernt habe, komme ich zum Knieschluss, das kann aber kaum gemeint sein, da Guérinière weiter unten sagt, man solle die Fersen leicht nach innen drehen (also die Fusspitzen nach aussen), was kaum zu bewerkstelligen ist, wenn man gleichzeitig die Knie nach innen drehen will. Dreht man dagegen die Kniekehlen nach innen (also die Knie nach aussen! offener Sitz!), kommen auch die Fersen nach innen.

Also im Zweifelsfall bleibt einem nichts anderes übrig, als seine Nase in das Original zu stecken.

Tanja Xezal

Verfasst: Di, 10. Jun 2008 06:22
von Junito
Mit dem Übersetzen ist das so eine Sache. Es reicht nicht nur, Wörterbücher zu konsultieren. In diesem Fall ist eben noch mehr Recherche notwendig. Ein guter Anhaltspunkt sind eventuell auch Stiche aus dieser Zeit, auf denen der damalige Stil dargestellt wird.

Das Problem ist, dass einzelne Vokabeln ohne weiteres unterschiedliche Bedeutungsnuancen haben können, was im Textzusammenhang den Sinn völlig entstellen kann. Wir erlauben uns durchaus, den Verfasser im Zweifelsfall zu fragen. Leider ist das bei Guerniere nicht mehr möglich.

Verfasst: Di, 10. Jun 2008 07:32
von Anchy
Ein großes Problem bei Übersetzern, welche selbst eine Reitdoktrin vertreten. Sie neigen dazu , den Text für die Untermauerung ihrer eigenen Lehre zu interpretieren :wink:

Dies ist ganz normal und auch die Branderupsche Übersetzung wird sich davon nicht frei machen können.

Wenn man der Sprache selbst nicht mächtig ist , kann man nur vergleichen und sich selbst seinen Schluß ziehen, der auch nicht stimmen muß.

Liebe Grüße
Anchy

Verfasst: Di, 10. Jun 2008 12:27
von horsman
Vergiss den Branderup. Das ist nur halber Kram.
Teilweise völlig sinnverdreht.
Nimm das Orig. aus dem Olms-Verlach.

Verfasst: Di, 10. Jun 2008 19:11
von Guppy
okay, danke für eure antworten, dann werd ich mal das original bestellen.

Verfasst: Mo, 20. Apr 2009 18:24
von glovedrider
Es gibt noch eine Übersetzung aus den 40ern. Leider habe ich die bei ebay nicht gekauft. Hab die nie wieder gesehen.
Anklammernde Knie kann es bei G. nicht geben, weil der auch auf Kniedruck geritten hat, zumindest in seinem Buch