Reitkunst vs. Handwerk

Rund um die klassische Reitkunst

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esge
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Beitrag von esge »

Ich finde es völlig legitim, sich mit seinem Pferd, in das man viele Stunden und Jahre der Arbeit gesteckt hat, in der Öffentlichkeit zu zeigen und/oder zu messen. Es ist eine Typfrage, ob man lieber immer im stillen Kämmerlein reitet oder halt auch mal rausgeht. Auch die, die gern rausgehen, reiten dafür noch immer Stunden um Stunden im stillen kämmerlein. Anders funktioniert das Rausgehen auch nicht.

Ich persönlich kann es schon gut hören, wenn ich von völlig Außenstehenden zu hören kriege: Hey, das war aber eine schöne Vorführung, das habe ich mir gern angesehen. Egotrip halt :roll: Aber irgendwie, hm, ihr könnt mich der Vermenschlichung beschuldigen, habe ich meist auch das Gefühl, dass mein Pferd diese Situationen auch genießt. Schon bei Kursen geht er inzwischen so huldigend an den Zuschauerbänken vorbei, betont lässig und zählt ab, ob auch angemessen viele Fans gekommen sind. ehrlich, ich glaube, der findet sich in solchen Augenblicken ziemlich toll. Und bei Shows geigt er mir gehörig die Meinung, wenn ich im Eifer des Gefechts mal grob werden sollte. Da kriege ich einen Warnschuss vor den Bug und dann benimmt sich die Alte da im Sattel wieder. Insofern Horsemän, kann man sowohl daheim als auch in der Show mit dem A... in sein Pferd hören. Ob man es tut, ist immer eine Charakterfrage, hat aber nichts mit der Lokalität zu tun.

Reitkunst - so sehr ich mich diesem Thema auch verschrieben habe - aber gelegentlich reite ich auch einfach um auf primitiver Ebene Spaß zu haben. Sei das in einem Tieffluggalopp im Wald oder halt auf einer Show.
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@Esge, manchmal habe ich Traummomente, wenn ich im stillen Kämmerlein reite und keiner zuschaut - und ich ärgere mich dann, dass es keiner gesehen hat oder dass keiner die Kamera draufgehalten hat. :lol: Ich bin also ganz genau auf dem selben Egotrip wie Du! :P

Ich denke, wir alle wollen von Zeit zu Zeit einmal Bestätigung von außen haben. Die einen benötigen es vielleicht etwas mehr, die anderen etwas weniger. Es tut einfach gut, wenn einem jemand spontan sagt "wow, das sieht toll aus". :D

Eines darf man nie vergessen: die wenigste Zeit verbringen wir mit Kunst. Der Großteil der Arbeit besteht aus Handwerk.

Und ansonsten stimme ich Saltandpepper in allem zu. 8)
Viele Grüße
Sabine
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Jen
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Beitrag von Jen »

Ich finde es auch völlig legitim, dass man seine Freude mit anderen teilen möchte. Schliesslich sind wir ja auch alle in einem Forum, wo wir uns über unser liebstes Hobby austauschen. Mir persönlich ist der Wettbewerbsgedanke halt auch eher zuwider, da will der eine besser als der andere sein und da fängt dann der Ehrgeiz und auch der Stress an, dass man "bestehen" will/muss. Ich hab das ja schon nur im Hundesport gesehen, wo vor den Prüfungen die Stimmung im Verein plötzlich etwas gekippt ist und man einfach etwas anders drauf war. Ich kann mich da selber gar nicht ausschliessen. Manche brauchen das vielleicht, um ein Ziel vor Augen zu haben, manche geniessen das vielleicht sogar, aber für viele ist es einfach Stress pur und trotzdem kann man es sich das oft nicht eingestehen. Deshalb habe ich für mich beschlossen, dass der gemeinsame Austausch auf einer anderen Ebene stattfinden soll, nämlich in gemeinsamen Workshops und Reitkursen, wo man sich unter Gleichgesinnten austauschen kann, Trost und Lösungen bei Problemen finden und sich über die Fortschritte gemeinsam freuen kann. Das kommt für mich bezüglich dem "Kunstgedanken" näher, als ein Wettbewerb, wo es schlussendlich immer um ein "messen" geht. Um eine standardisierte Ausführung und das widerspricht sich für mich mit Kunst. Horsmäns Aussage gefällt mir diesbezüglich sehr gut:
es ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Schaffendem und dem Medium.
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

@saltandpepper:
sorry, wenn du so differenziert das mit dem Ehrgeiz meinst, habe ich es so genau nicht rausgelesen, mein Fehler. :? Wollte dich auch nicht angreifen, sondern nur diese Form des Ehrgeizes auch als solchen erwähnen. :wink:
horsmän hat geschrieben:Warum um alles in der Welt kann man nicht einfach nur reiten, weil man Freude am Reiten und am Pferd selbst hat und dieses für sich kultivieren und perfektionieren mag. Fingen wir nicht alle mal deswegen an? Wozu muss man sich vorzeigen? Egotrip? Wozu dabei in einen Wettstreit treten? Einfach nur der Reiter und das Pferd - mehr nicht. Wenn jemand dabei zuschauen mag weil es denjenigen interessiert oder sogar fasziniert, ok, dann schafft man Öffentlichkeit dadurch, dass man ihn willkommen heißt. Und wenn nicht, dann eben nicht. So seh ich das.

.
Oh das KANN man ja - aber Kunst lebt auch davon gezeigt zu werden! Wie arm wäre unsere Welt, wenn jeder Dichter nur für sich selber schreiben würde, schauspielinteressierte nur im Probenraum aufführen würden, Musikbands sich nicht der Öffentlichkeit zeigen würden.


Offen übrigens noch das Thema, dass die alten Reitmeister vermeintlich nur für sich im Kämmerlein geritten sind! :)
Fiorella
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Beitrag von Fiorella »

Finchen hat geschrieben:
Offen übrigens noch das Thema, dass die alten Reitmeister vermeintlich nur für sich im Kämmerlein geritten sind! :)
Wenn mich nicht alles täuscht, haben doch Steinbrecht und Baucher Pferde für den Zirkus ausgebildet.

Das ist nun nicht gerade das stille Kämmerlein, und so ziemlich das genaue Gegenteil von Kunst als Selbstzweck. :wink:
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Fiorella, richtig, danke für den Hinweis! Der Zirkus war früher die Plattform, auf dem die Meister ihre Kunst gezeigt haben! :D

Nunja, es wurde keine bis auf den letzten Zentimeter durchchoreografierte Kür gezeigt, wie es heute der Fall ist, sie waren sicherlich etwas freier in der Ausgestaltung ihres Programms, aber sie werden schon ihr "Programm" gezeigt haben. Und das (zahlende) Publikum wird erwartet haben, dass bestimmte Lektionen oder Schulsprünge gezeigt wurden. Man wäre sicherlich verwundert gewesen, wenn Herr XYZ mit seinem Pferd v/a geritten wäre, anstatt Pi/Pa und Kapriolen zu zeigen (weil es zu diesem Zeitpunkt rein reiterlich besser angebracht gewesen wäre) :wink: :lol: :wink: Nix für ungut! :) :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Junito
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Beitrag von Junito »

Noch früher wurden die "Schulpferde" - sprich die Rösser, die diese Lektionen zeigen konnten, für die adligen Herren ausgebildet. Damit diese einerseits zuverlässig im Krieg funktionierten.

Aber auch, um in Friedenszeiten sich vor Publikum produzieren zu können und möglichst gut auszusehen.
Pferde sind wie guter Sekt - es braucht Zeit und Erfahrung, damit sie perlen können.
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Fiorella hat geschrieben:
Finchen hat geschrieben:
Offen übrigens noch das Thema, dass die alten Reitmeister vermeintlich nur für sich im Kämmerlein geritten sind! :)
Wenn mich nicht alles täuscht, haben doch Steinbrecht und Baucher Pferde für den Zirkus ausgebildet.

Das ist nun nicht gerade das stille Kämmerlein, und so ziemlich das genaue Gegenteil von Kunst als Selbstzweck. :wink:
Danke für die Zustimmung - ich hatte horsemän etwas provozierend (wieder) gefragt, weil er abgestritten hat, dass die Reitmeister ihre Künste in der Öffentlichkeit präsentiert haben. :wink:
esge
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Beitrag von esge »

Entscheidend ist nicht, wo man reitet, sondern wie. Ob mit dem Pferd oder gegen das Pferd.Von den Sportreitern, die ihr Pferd von einem Wettkampf zurückziehen, weil sie befinden, dass es aus irgendwelchen Gründen gerade nicht fit dafür ist, hört man natürlich nichts. Aber ich bin sicher, es gibt sie zuhauf - die Reiter, die auch im Sportgeschehen pro Pferd agieren.
Und umgekehrt deale ich leider gerade mit einem Fall, wo man ein Pferd als "nicht als Freizeitpferd tauglich" befindet, weil man es ja nach den Grundlagen der Reiterei anständig über den Rücken und in Dehnungshaltung reiten muss, anstatt sich einfach draufsetzen zu können wie auf ein Moped um "Spaß" zu haben. Ein "Freizeitpferd" muss es aushalten können, wenn man es benutzt, ohne sich um die wesentlichen Grundsätze der Reiterei zu bemühen.
Ich finde es völlig legitim, wenn jemand gar keine Lust hat, die Kunst zu erreichen. Aber ist es wirklich zuviel verlangt, dass Leute, die sich ein eigenes Pferd kaufen, sich ums Handwerk bemühen? :evil:
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

esge hat geschrieben:Entscheidend ist nicht, wo man reitet, sondern wie. Ob mit dem Pferd oder gegen das Pferd.Von den Sportreitern, die ihr Pferd von einem Wettkampf zurückziehen, weil sie befinden, dass es aus irgendwelchen Gründen gerade nicht fit dafür ist, hört man natürlich nichts. Aber ich bin sicher, es gibt sie zuhauf - die Reiter, die auch im Sportgeschehen pro Pferd agieren.
Und umgekehrt deale ich leider gerade mit einem Fall, wo man ein Pferd als "nicht als Freizeitpferd tauglich" befindet, weil man es ja nach den Grundlagen der Reiterei anständig über den Rücken und in Dehnungshaltung reiten muss, anstatt sich einfach draufsetzen zu können wie auf ein Moped um "Spaß" zu haben. Ein "Freizeitpferd" muss es aushalten können, wenn man es benutzt, ohne sich um die wesentlichen Grundsätze der Reiterei zu bemühen.
Ich finde es völlig legitim, wenn jemand gar keine Lust hat, die Kunst zu erreichen. Aber ist es wirklich zuviel verlangt, dass Leute, die sich ein eigenes Pferd kaufen, sich ums Handwerk bemühen? :evil:
Den Daumen-hoch-Smiley bräuchte ich jetzt wieder. :lol:

Ja, ich bin sicher, die Sportreiter gibt es auch!
Nein, es ist nicht zuviel verlangt, dass sich jeder Reiter um das körperliche Wohl des Pferdes beim Reiten bemüht, und wie du sagst, wenigstens grundlegende handwerkliche Ansätze sollten angestrebt werden, absolut richtig!
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