Reitkunst vs. Handwerk

Rund um die klassische Reitkunst

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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Sehr schön nachzulesen ist das bei Harry Boldt. Dort stehen viele Beispiele, in denen Olympiareiter sich fertig ausgebildete Pferde von anderen ausgeliehen oder gekauft haben. Und ich denke es dürfte auch in den Hallen der Meister auch so gewesen sein, dass sie die Pferde nicht unbedingt für sich ausgebildet haben, sondern für ihre Arbeitgeber. Da ist für mich auf jeden Fall nichts verwerfliches.

Was mir da in diesen Diskussionen auf der Zunge liegt ist die Frage: wer entscheidet, ob es Reitkunst ist und ob der Reiter nach den Regeln der Reitkunst ausbildet. Und ob ich, nur weil ich mit meinen Pferden an Wettbewerben teilnehme nicht mehr "klassisch" reite und meine Reiterei nicht als Kunst bezeichnen kann.
Liebe Grüße, Sabine

Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich an ihnen orientieren

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horsman
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Beitrag von horsman »

Weil Wettbewerb "Reitkunst" unmöglich macht, es schließt sich gegenseitig aus. Und mit "Reikunst" meine ich nicht ausgesprochen kunstvolle schwierige Lektionen, sondern einfach einen anderen Weg, den ein Reiter wählt. Diese Zeilen hier find ich in dem Zusammenhang durchaus lesenwert.
http://www.grand-ecuyer.de/2010/04/01/reiten-kunst/
Sicherlich kann man lange drüber philosophieren.

Nochmal: man kann es einem Wettbewerbsreiter nicht verübeln, wenn er alles legal erlaubte tut was zum Erfolg führt. Das ist nur zielstrebig und somit konsequent.
Zuletzt geändert von horsman am Mi, 29. Feb 2012 16:02, insgesamt 2-mal geändert.
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Mearas
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Beitrag von Mearas »

zu Livias Post oben: Die Erkenntnis, daß das Turnierreiten häufig vor allem mit sportlichem Ehrgeiz und Geld zu tun hat, kam mir schon vor fast 30 Jahren - und ich habe schon nach den ersten Anfängen die Teilnahme quittiert. Und das war in den niedrigeren Klassen.

Als ich vor zwei Jahren nach längerer Pause mein Pferd kaufte und in einem "Turnierstall" unterstellte, bekam ich sofort die ganze Breitseite zu hören: Wer keine Turniere reitet, kann nichts. Wer kein hochgezüchtetes Warmblut mit langer Abstammung hat, kann auch nichts und wird nie etwas. Mit einem Knabstrupper war ich nicht nur Exot, sondern offensichtlich auch nicht in der Lage, "vernünftig" zu reiten.
Und das ist nur die Basis des Elends. Ja, da werden Pferde verkauft und gekauft, nur damit das Gereit auf Turnieren erfolgreicher wird. Die Reitweise überdenken - seltenst. Aber alle behaupten im Falle eines Falles gern, sie reiten nach der HdV 12 .... darüber übrigens hübsch nachzulesen in der derzeitigen Ausgabe der Dressurstudien.

@Josatianma: Ja, genau: Wer entscheidet, was Kunst ist und was nicht? Sind es die Turnierreiter? Oder sind es die, die daheim im stillen Kämmerlein sich um das gesunde Reiten zum Wohle des Pferdes bemühen, sich fortbilden und entsprechende Trainer suchen und sich über geringste Fortschritte freuen, ohne gleich den Gaul tauschen zu wollen? Ich fürchte, auch hier entscheidet die Masse, die schön gebogene Hälse und spektakuläre Tritte bejubelt, ohne erkennen zu können, was wirklich dahinter steht.
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Medusa888
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Beitrag von Medusa888 »

Es gibt aber auch die Reiter, die sowohl auf dem Turnier als auch im heimischen Stall um korrektes Reiten nach klassischen Grundsätzen bemüht sind.
Die werden irgendwie völlig aus der Diskussion rausgelassen.
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horsman
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Beitrag von horsman »

Medusa
sicherlich gibt es welche, die auch im Wettbewerb so standhaft bleiben, die Wertnote hinter die augenblickliche Notwendigkeit der klass. Dressur zu stellen. In letzter Konsequenz hieße das aber doch, dass sie bei einer kleinen aufkommenden Verspannung in einer von der Aufgabe geforderten Lektion die Aufgabe gar nicht weiter reiten würden, sondern zu einer geeigneteren Vor- / Folgeübung gehen würden. Ein solcher Reiter würde wohl niemals eine Aufgabe beenden :wink:

Desweiteren würde sich ein Reiter der Reitkunst nicht dem Urteil von Richtern stellen, weil lediglich sein Pferd ihm das Urteil vermittelt.

Und letztlich denke ich sind nach klass. Grundsätzen ausbilden und sich der Reitkunst widmen immer noch zwei Paar Schuhe sind.
Zuletzt geändert von horsman am Mi, 29. Feb 2012 17:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Medusa888
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Beitrag von Medusa888 »

horsmän hat geschrieben:Medusa
sicherlich gibt es welche, die auch im Wettbewerb so standhaft bleiben, die Wertnote hinter die augenblickliche Notwendigkeit der klass. Dressur zu stellen. In letzter Konsequenz hieße das aber doch, dass sie bei einer kleinen aufkommenden Verspannung in einer von der Aufgabe geforderten Lektion die Aufgabe gar nicht weiter reiten würden, sondern zu einer geeigneteren Vor- / Folgeübung gehen würden. Ein solcher Reiter würde wohl niemals eine Aufgabe beenden :wink:
Na siehst Du, dann haben wir doch einen gemeinsamen Nenner! :wink:

Natürlich würde ich auf einem Turnier in einer Prüfung aber nicht zu einer geeigneteren Vorübung zurückkehren. Vielmehr würde ich mein Augenmerk darauf legen, nur Prüfungen zu absolvieren, die mein Pferd beherrscht. Im Klartext bedeutet das für mich, dass ich meinen jungen, jetzt 6-jährigen Friesen seit über zwei Jahren (bis auf besagte drei Ausnahmen) nicht auf Turnieren vorstelle, weil er es aufgrund seines enormen Wachstums nicht kann. Das finde ich pferdegerecht, also klassisch. Ich finde es genauso pferdegerecht, dass ich zwei von drei Prüfungen locker zu Ende geritten habe um am Ende die Hand zu heben. Dadurch hat mein Pferd an Erfahrung gewonnen, ich musste nicht grob werden um die Lektionen auf den Punkt zu reiten, und alles ist gut.
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Beitrag von horsman »

Medusa888 hat geschrieben:[
Na siehst Du, dann haben wir doch einen gemeinsamen Nenner! :wink:

Natürlich würde ich auf einem Turnier in einer Prüfung aber nicht zu einer geeigneteren Vorübung zurückkehren. Vielmehr würde ich mein Augenmerk darauf legen, nur Prüfungen zu absolvieren, die mein Pferd beherrscht.
Nee, da sind wir nicht auf einem Nenner, sondern genau konträr.
Ein Pferd "beherrscht" Übungen / Prüfungen nicht irgendwann, sondern mit fortschreitender Entwicklung führt es sie mit immer höher werdenden Qualität (was die 6 Punte der Skala angeht) aus.

Wenn Du glaubst, ein Pferd "beherscht" die und die Übung und nun kannst Du sie vorzeigen, bist du schon in die Falle getappt, die Lektionen der Lektionen wegen zu zeigen anstatt sie zum permantem Fortschritt zu nutzen.

Das genau macht den Unterschied aus, auf den ich hinaus wollte.
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Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Hörschen, man kann Leute auch absichtlich missverstehen. Sie schrieb mitnichten, dass das Pferd eine "Übung" (was auch immer das sein soll) beherrscht, sondern eine Prüfung. Sprich, dass es den für diese Prüfung nötigen Ausbildungsstand hat oder besser noch eine Klasse drüber. Was daran nun wieder verwerflich sein soll, entzieht sich wie so oft meinem Verständnis. Liegt sicher daran, dass ich auch schon mal Turniere reite und deshalb per se keinen Wert auf eine korrekte Ausbildung lege :roll:
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Hmm, Horsmän, das halte ich gerade ein wenig für Wortklauberei: Ein Pferd beherrscht eine Lektion dann, wenn genau Deine Kriterien erfüllt sind: "mit fortschreitender Entwicklung führt es sie mit immer höher werdenden Qualität aus". Das ist in meinen Augen exakt das Gleiche in Seegrün.
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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Mearas hat geschrieben:
@Josatianma: Ja, genau: Wer entscheidet, was Kunst ist und was nicht? Sind es die Turnierreiter? Oder sind es die, die daheim im stillen Kämmerlein sich um das gesunde Reiten zum Wohle des Pferdes bemühen, sich fortbilden und entsprechende Trainer suchen und sich über geringste Fortschritte freuen, ohne gleich den Gaul tauschen zu wollen? Ich fürchte, auch hier entscheidet die Masse, die schön gebogene Hälse und spektakuläre Tritte bejubelt, ohne erkennen zu können, was wirklich dahinter steht.
Mmmmmh, lese ich das jetzt negativ wird im Prinzip dem Turnierreiter generell unterstellt, dass er sich nicht um gesundes Reiten bemüht und sich entsprechende Trainer sucht.

Genau so ist aber bei mir nicht und so erlebe ich es auch nicht in meinem Umfeld. Ich bin stolz darauf, dass mein Friese mit seinen 15 Jahren von Osteopathen eine sehr guten Zusatnd bescheinigt bekommt. In der Auswahl meiner Trainer bin ich überkritisch. Und da fällt Ber Uch so manch ein so genannter Trainer Us dem klassischen Bereich durch, wei es scheinbar zum guten Ton gehört jedes Pferd zu piaffieren, obwohl die Grundlagen überhaupt nicht gegeben sind.

Klar kann ich eine Prüfung nicht abbrechen, wenn ich eine aufkommende Verspannung verspüre, aber ich kann mir eventuell merken, warum es dazu gekommen ist, und kann zu Hause im Training daran arbeiten, dass diese in der nächsten Prüfung nicht auftritt.

Mich ärgert es, dass ich das Gefühl habe, nur weil ich Spass daran habe Turniere zu starten, mein Reiten nicht als Kunst zu sehen.

Was möchte Kunst: das Publikum erfreuen. Dazu habe ich auf einer der vorigen Seiten schon ein persönliches Erlebnis beschrieben.

Joseph Beuys soll Kunst machen - na ja, wer das als Kunst empfindet :D
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

@Horsemän:
mal als Idee... haben nicht die "klassichen Reitmeister" auch ihre "Künste" zur Schau gestellt? Und wurden da nicht womöglich auch die Lektionen aneinandergereiht gezeigt, statt immer bei z.B. Verspannungen zur davorliegenden Vor-Übung zurückzukehren?

Dass leider wohl die klassischen Ausbildungswege (noch) nicht oder nicht mehr gefragt sind im Turnierzirkus, hier also mit eher weniger Erfolg zu rechnen ist, das ist ein anderes Thema. Wobei ich persönlich meine, dass es grade aus diesem Grund viiiiiel mehr Reiter aus dem "klassischen Lager" braucht, die auf Turnieren starten, und wieder und wieder zeigen, dass es anders geht, als so häufig dort zu finden momentan!
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Beitrag von horsman »

Ich denke gerade nicht, dass Kunst die Absicht verfolgt das Publikum zu erfreuen, sondern es ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Schaffendem und dem Medium.

Die Showauftritte großer Reitmeister halten sich meines Wissens auch eher in Grenzen.

Ich will aber auch gar nicht so viel von Kunst reden, weil es oft einen falschen Zungenschlag bekommt und jeder nach großen Künstlern schreit. Ich denke nur, dass der sportliche Wettbewerb nicht die richtige Umgebung ist, wo feines, schönes, gutes reiten (und damit meine ich nicht in Schönheit zu sterben) gedeihen kann.
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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Ich denke nur, dass der sportliche Wettbewerb nicht die richtige Umgebung ist, wo feines, schönes, gutes reiten (und damit meine ich nicht in Schönheit zu sterben) gedeihen kann.
Und genau da gehen unsere Meinungen auseinander. Auch im Wettbewerb kann feines, schönes und gutes Reiten gedeihen.
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Ielke
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Beitrag von Ielke »

Josatianma hat geschrieben:
Und genau da gehen unsere Meinungen auseinander. Auch im Wettbewerb kann feines, schönes und gutes Reiten gedeihen.
...dem schliesse ich mich an!
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

horsmän hat geschrieben:Ich denke nur, dass der sportliche Wettbewerb nicht die richtige Umgebung ist, wo feines, schönes, gutes reiten (und damit meine ich nicht in Schönheit zu sterben) gedeihen kann.
Ich sehe das insofern genaus als daß die schönsten Momente meist dann entstehen, wenn man in sich selbst versunken mit dem Pferd eins wird.
Und das ist halt am Turnier mit dem ganzen Drumherum schon verdammt schwer und erfordert sehr viel ... Übung? Vertrautheit? Einigkeit? Mir fehlt grad das richtige Wort.
Aber nur dann wird man zum Tanz kommen, der den Schmelz ausmacht - vorher ist es vielleicht "nur" die perfekte Ausführung.
Es grüsst ottilie
~~~~~~~~~
Wo die Kraft anfängt, hört das Gefühl auf (Moshe Feldenkrais)
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