Einhändig reiten - warum?

Rund um die klassische Reitkunst

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anettchen
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Einhändig reiten - warum?

Beitrag von anettchen »

Hallo Ihr lieben, ich war nun bei einem Branderup Kurs zuschauen und habe gesehen, daß hier fast alle Reiter einhändig geritten sind mit Gerte oder Stock in der anderen Hand. Klar, die Gerte wird zur Hilfegebung genutzt, aber warum einhändig mit Kinnkette? Also doch recht scharf gezäumt. Ich lerne gerade nach P. Karl mit breiter teilweise hoher Führung, was dem ja gerade widerspricht... Wir stehen noch völlig am Anfang mit unserer Maus. Die Inhalte von Herrn Branderup gefielen mir wiederrum recht gut... weiche Hand, immer vorgeben den Hals, langer Hals, Hankenbiegung, Vortreten der HH... Vielleicht kann mir hier einer erklähren was es mit der Einhändigkeit zu Beginn der Ausbildung auf sich hat... dachte das kommt dann, wenn das Pferd recht weit ausgebildet ist?!
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Colloid
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Beitrag von Colloid »

Hallo Anettchen,
Einhändiges Reiten (ich denke auf blanker Kandare) ist erst ein Thema, wenn das Pferd sehr weit ausgebildet ist, nicht am Anfang der Ausbildung. Man kann im Laufe der Ausbildung aber auch mal auf Trense einhändig reiten um bspw. zu sehen, wie gut das Pferd am Außenzügel steht oder ob und wie häufig man Paraden innen braucht, um die Stellung zu erhalten, aber noch nicht als "Selbstzweck".
Das Pferd lehnt sich an den Reiter an. Wenn die Abstimmung zwischen Pferd und Reiter ideal ist, wird das Mittel der Anlehnung, der Zügel, fast entbehrlich.
Richard Hinrichs
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stromboli20
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Beitrag von stromboli20 »

Wie Colloid gesagt hat, wird das einhändige Reiten auf Kandare erst am Ende einer Ausbildung angestrebt. Ich denke, diese Art zu Reiten leitet sich vor allem von der Kriegsreiterei ab, bei der eine Hand für die Waffe benötigt wurde. Dazu muss man aber bereits ein Pferd haben, dass sich eigentlich Zügelunabhängig mit feinsten Hilfen in jede gewünschte Richtung formen lässt.
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Cat_85
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Beitrag von Cat_85 »

stromboli20 hat geschrieben:Ich denke, diese Art zu Reiten leitet sich vor allem von der Kriegsreiterei ab, bei der eine Hand für die Waffe benötigt wurde.
Genau. Und da Branderup sehr auf Tradition steht, mag er eben auch einhändiges Reiten auf blanker Kandare mit Gerte nach oben. Sieht toll aus und hat was.
heike61
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Beitrag von heike61 »

hallo anettchen,

was genau meinst du damit:

...........einhändig mit Kinnkette? Also doch recht scharf gezäumt.........

grüße
Wenn du weitergehst, ändert sich deine Perspektive!
anettchen
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Beitrag von anettchen »

Ich kenne die Zäumung nicht.. es ist keine übliche FN Kandarre mit Unterlegtrense, hat aber Hebel, also Hebelwirkung, schön geschwungen, Kinnkette... Die Pferde nahmen das auch gut an und die Ausbildung ging auf" weiche Hand" Halsdehnung u.s.w. aber eben einhändig, d.h. die Zügel waren immer dicht zusammen, entgegen der Leher P.K. "breite Führung der Hände" um die Schulter frei zu bekommen. Also ich meine: eine Hand führt beide Zügel , eine Hand führt die Gerte... Vielen Dank für Eure schnellen Antworten!!!
Meine Zusatzfrage: Wie komme ich dahin? Wann weiß ich wann ich einhändig reiten kann? warum habe ich keinen auf Trrense einhändig reiten sehen? geht das nicht? Ist die Trense zu indirekt, zu schwach?
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Colloid
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Beitrag von Colloid »

Die von dir beschriebene Zäumung ist eine blanke Kandare, also ohne Unterlegtrense. Diese darf nur einhändig geführt werden! (beidhändiges Führen kann zur Verkantung der Kandare führen)
Wie kommt man dahin? Muss man dahin? ;) Man muss in der Lage sein, ein Pferd nur über Sitz und Schenkel zu führen. Also Üben, Üben...
Wer einhändig auf blanker Kandare reitet, sollte meiner Meinung nach dies auch auf Trense können. 8)
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Richard Hinrichs
LordFado

Beitrag von LordFado »

Die Kandare ist sicher eine S-Kandare gewesen - also schon nach fN aber selten gesehen heutzutage. (google-Bildersuche: S-Kandare)

Thema Kinnkette: entgegen dem allgemeinen Irrglauben sind kandaren MIT geschlossener Kinnkette humaner fürs Pefrd als ohne/mit zu lockerer Kette. Durch die Habelwirkung des oberen Aufzugs zieht es das Gebiss nach oben Richtung Backenzähne. Die Kinnkette "blockiert" das hochrutschen ab einem bestimmten Punkt (30-45° zur Maulspalte) und Verhindert damit die schmerzhafte berührung mit den Zähnen, zudem stellt sie ein Einwirken auf die Zunge und die Laden sicher und verhindert auch zu starken Druck aufs Genick (der ebenfalls durch den hebel der oberen Aufzüge zustande kommt).
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Beitrag von anettchen »

Danke, das hilft mir weiter... mir hatte es den Anschein, daß Branderup-Schüler auf blanker Kandarre reiten "müssen".. zu fragen gab es zum Ende des Kurses nicht wirklich die Möglichkeit und zudem wär es mir schon peinlich gewesen zu fragen :oops: :oops: :oops: denn nur eine Schülerin ritt auf Kappzaum plus Kandarre und daher beidhändig. Es ist schon faszinierend, wie verschieden klasische Reitweise ausfallen kann! Absolutes Neuland für mich, aber ich versuche mich zu aklimatisiern... so zwischen DRA II und Parelli (meine Erfahrungswerte :lol: ) versuche ich Neuland zu finden...
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Plondy
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Beitrag von Plondy »

Müssen tun sie dies nicht, jedoch wird es schon als erstrebenswert angesehen. Denke das hier auch Traditionsgründe eine Rolle spielen.

Wobei dann auch eigentlich die Zügel in die linke Hand gehören, denn mit rechts wurde meist das Schwert geführt.

Viele Grüße Tanja
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Jen
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Beitrag von Jen »

Zuerst mal zur Frage: warum einhändig?

Die einhändige Reiterei kommt aus der Gebrauchsreitweise, eine Hand führt das Pferd (meist die linke, da die meisten Leute Rechtshänder sind), damit die andere Hand frei für Waffe, Hirtenstock, Lasso etc. ist.

Nur die kandare eignet sich für das einhändige Reiten, weil es eine Stange ist und sich einhändig weniger verkantet. Die Trense als gebrochenes Mundstück ist nicht dazu geeignet einhändig geritten zu werden. Es gibt auch gebrochene Kandaren, diese werden jedoch auch nciht in anlehnung geritten, sondern am losen Zügel und nur geklingelt (andere Reitweise).

Früher wurde das Pferd auch nur ganz kurz in der Grundausbildung zweihändig und vierzüglig geritten, meist Kappzaum/Caveçon od Serreta + Kandare, wie man es auch heute noch bei der Gebrauchsreiterei in Spanien, Portugal, Frankreich sieht.

die vierzüglige bzw. zweihändige Führung wurde eines Königs/Edelmanns als nicht würdig angesehen, denn die einhändige Führung ist weitaus anspruchsvoller als die zweihändige Führung und sieht auch anmutiger und stolzer aus. Sie bedingt, dass das Pferd am Sitz schon sehr gut ausgebildet ist und gerade das schulmässige Reiten (Schule im Sinne von Hoher Schule) hat ja ein sehr gut ausgebildetes Pferd als Ziel. Wenn keine Waffe oder Gebrauchsgegenstand in der "freien" Hand getragen wurde, sondern die Gerte, wurde diese aufrecht getragen: einerseits als Zeichen der Überflüssigkeit (plump gesagt: "schau her, ich muss meinem Pferd nicht drohen, damit es läuft"), sowie ist es möglich falls doch eine einwirkung nötig ist, die Gerte auf beiden Seiten einzusetzen, ohne die Hand zu wechseln.

Die Trense ist historisch erst später in den alltäglichen Gebrauch aufgenommen worden, wo reiterlich nicht sehr gut ausgebildete Rekruten für die Militärreiterei verhältnismässig schnell und einfach ausgebildet werden mussten. Der Pferdetyp hat sich dem veränderten Verwendungszweck angepasst. Statt kurze, kompakte, wendige Pferde (iberischer Typ) für den Kampf Mann zu Mann auf kleinem Raum wurden rechteckige, raumgreifende Pferdetypen (Warm- und Vollblut) für lange Strecken geradeaus ausgebildet, also nicht mehr für den Einzelkampf, sondern für das Heer. weder die Zeit noch das "personal" für das schulmässige Reiten blieb. Dieses wurde nur noch von den ranghohen Offizieren und Generälen (und wie die alle heissen) betrieben.

Dieser kurze (wenn auch sehr oberflächliche) historische Ausflug soll einfach verdeutlichen, dass das Reiten auf Trense und das Reiten auf blanker Kandare grundsätzlich verschieden ist.

Natürlich hat sich die Reiterei im Verlaufe der Zeit immer weiter entwickelt und die Grundausbildung auf Trense, um dann später auf Trense-Kandare-Kombi zu wechseln hat sich aus verschiedenen Gründen durchgesetzt, die von der etwas veränderten Ausbildungsart abhängen. Aber auch hier ist es wichtig zu wissen, dass das Reiten auf kandare nicht einfach zum Ziel hat: ein schärferes Gebiss reinzuhängen, damit man "feiner" Reiten kann, sondern die Kandare hat eine grundsätzlich andere Wirkung als die Trense. Würde jetzt aber zu weit führen, wurde auch im Forum schon paar mal besprochen. Wichtig aber zu wissen, dass dieses "moderne Reiten" sich vorwiegend an die spätere Militärreiterei (Heer) orientiert und nicht an die kampfkunst.

Nun zu Branderup:
Er orientiert sich (nicht nur, aber vorwiegend) auf die Zeit der Kriegsreiterei, sowie höfischer Reitkunst. also das schulmässige Reiten bzw. akademische Reiten. Akademisch wird es genannt, weil es damals in der Blütezeit der Reitkunst die Reitakademien gab, wo das Reiten und andere Künste von Grund auf gelehrt wurde. Dieses Reiten zielt auf ein durchgymnastiziertes, wendiges, geschmeidiges Pferd ab, welches sich in höchster Versammlung (also auf kleinem Raum) gut bewegen kann. Diese Reiterei wird im Endeffekt(!) auf blanker Kandare geritten. Der AusbildungsWEG allerdings führt auch über die 4 Zügel (entweder Kappzaum-Kandare oder Trense-Kandare).

Zu Branderup Schülern:
LEIDER neigen viele Schüler dazu, den Wechsel von 4-Zügeln auf einhändig blank geführt, sehr schnell zu vollziehen. Damals in den Akademien wurde das vielleicht auch so gemacht, nur handelte es sich da um ein anderes Kaliber von Reiter als wir Freizeitreiter es sind. Schliesslich hatten die damals nichts anderes gemacht als Reiten zu studieren und Reiten zu lernen/lehren. Dieser schnelle Wechsel wird heute nicht wirklich von BB so verlangt! LEIDER sagt er dazu nichts, wenn es jemand doch tut. Er sagt aber auch nichts, wenn jemand nur mit dem Halfter kommt. Er sagt aus Prinzip nichts zur Ausrüstung, er sagte mir einmal, dass er davon ausgehe, die Person habe sich was dabei gedacht. Er geht davon aus, dass die Reiter selber merken, wenn etwas nicht klappt und dies dann dementsprechend auch ändern. Seine Hinweise auf andere Ausrüstung sind oft sehr dezent, so dass sie oft kaum richtig ankommen. Das finde ich sehr schade und war auch immer einer meiner grössten Kritikpunkte an seinem Unterricht. Ansonsten finde ich sehr vieles sehr gut an seinem Unterricht. ich selber bin 8 Jahre bei ihm geritten und habe immer entweder nur mit Trense oder dann mit einer Kappzaum-Kandaren-Kombi geritten. Ich habe nur auszugsweise im Unterricht kurzzeitig auf 4:0 Oder blanke Kandare (im Schritt und Trab) gewechselt, um mal zu spüren, wohin es gehen sollte und wo noch "Löcher" bei mir und meinem Pferd sind. Das ist sehr gut, um sich selber zu schulen. allerdings sehe ICH es NICHT als AusbildungsWEG sondern als AusbildungsZIEL.
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
anettchen
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Beitrag von anettchen »

Jen, Du bist ein Schatz! Vielen Dank für diese ausführliche Antwort!!! Eben das mit dem Ziel dachte ich mir auch!!! Stimmt, Her Branderup hat eine sehr höfliche Art, still, nichts Lautes und egal ob mit oder ohne Sattel - es kam, wie es kam und alle bekamen die gleiche Aufmerksamkeit! :D
Wenn Du mir jetzt noch vielleicht einen Link zur Wirkungsweise von Kandarre contra Trense reinstellen könntest?! Siehst Du, ich dachte schon die einhändige Kandarre wäre sozusagen Pflicht... nun bin ich schlauer und dankbar dafür!!! :love: :love: :love: Wir werden weiterhin auf Trense reiten und und freuen, wenn sie immer weniger notwendig wird :wink:
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equispirit
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Beitrag von equispirit »

Ich kenne das aus der Westerreiterei und auch sonstwoher, ...

(leider sieht die realität total anders aus, verkehre zur zeit in einem westernturnierstall und da kommt mir das kalte grausen, rollkur mit blanker kandarre, kurzes martingal und Noseband)

... wenn man ohne Trense reiten könnte, dann darf man die blanke kandarre benutzen.
Wenn man damit dochmal mit dem Pferd kommunizieren will, dann klingelt man nur oder über das gewicht der zügel.

sobald man mehr einwirken müsste, gehts zurück zur trense oder ähnlichem
May your horse be with you ...
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Beitrag von anettchen »

Ja, genauso hätte ich das auch gesehen..... also mein Mädel und ich sind noch sehr weit weg von der Kandarre!!! Hab schon überlegt einfach nur mal den Kappzaum drauf zu machen oder das Parellihalfter :cry:
Gut, daß andere auch so denken! Danke für die Antworten!!! :lol:
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Annie
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Beitrag von Annie »

Jen es ist immer wieder ein Genuss deine Beiträge zu lesen, ich habe mir B.B. grade zu Gemüte geführt und bin angetan von dieser scheinbar leichten Art der Pferdeausbildung. Ich befürchte nur es wird in echt nicht ganz so einfach sein wie es auf dem Video rüberkommt :roll:
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