"fein reiten" vs. "in Schönheit sterben"

Rund um die klassische Reitkunst

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Medora
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Beitrag von Medora »

Ich glaube, "mehr" muss nicht mehr Aktion sein, sondern es geht um mehr Energie. Achte doch mal auf Deinen eigenen Energiepegel - wie "latschig" bist Du selbst innerlich?

Medora
lalala

Beitrag von lalala »

Ich hatte hier ja vor längerem mal ein Video eingestellt, und da erinnere ich mich an 2 Kommentare von lalala, der eine war "tu ich dir nichts, tust du mir nichts-Reitweise" und der andere war "...und dann entschloss ich mich zu reiten". Sie meinte ja sicher nicht, herumzuwühlen und zu rühren. Aber das ging wohl so in die Richtung, wie es auch der Sattler meinte.
Ich erinnere mich grob an das Video.

Der Lieblingsspruch meines RLs " Da entschloss ich mich zu reiten..." *g* Das heisst nicht, dass man mehr ackern soll, in überhöhtem Grundtempo um die Bahn heizen o.ä. - aber man soll bestimmter und effektiver reiten, dem Pferd immer ein Müh voraus seien. Du willst ja agieren und nicht reagieren.

Wenn man den "Nichtangriffspakt" schliesst und lieber in Schönheit stirbt bringt einen das nur bis zu einem gewissen Punkt.Ein optisch erstmal "schön" erscheinender Grundsitz ist aber erst dann richtig gut wenn man ihn bewusst einsetzen kann.

Deshalb siehst du auch wahrscheinlich keine bewussten Unterschiede bei deinem Mann. Er hat vielleicht einfach eine bessere Grundspannung, das Feeling für die richtige Dosierung der Hilfen und eine etwas "offensivere" innere Einstellung.

Ein "ich will jetzt sofort antraben" zeigt sich anders als ein "würdest du vielleicht gleich bitte antraben".
Da ist aber das Problem, dass mein Pferd dann die Sachen vorweg nimmt, wenn ich zu sehr dran denke. Dann galoppiert es z.B. an, obwohl ich noch keine bewusste Galopphilfe gegeben hab. Er ist sehr übereifrig, ein richtiger Streber, und wird dann hektisch. Ich soll also gerade Spannung rausnehmen, aber er soll ja trotzdem nicht latschen. Er kann nämlich beides gleichzeitig, sozusagen hektisch schlurfen
Du musst lernen emotionslos zu strafen. Wenn er dir Sachen vorwegnimmt ist das ein Ungehorsam. Dann korrigierst du das ruhig(!) und setzt die Übung neu an und das Lob folgt dann, wenn er dir zugehört hat und auf deine Hilfe hin anspringt. Der ein oder andere Kandidat braucht dann auch mal eine auf den Hintern - also ein "jetzt reichts, pass auf !"
Man neigt ja auch oft dazu an immer den gleichen Punkten durchzuparieren etc pp. Zwing dich dazu bestimmte Muster auch mal zu durchbrechen, werde kreativ bei der Gestaltung der Bahnfiguren. Eine gewisse Routine ist gut, aber man darf sich davon auch nicht blenden lassen.
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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Der ein oder andere Kandidat braucht dann auch mal eine auf den Hintern - also ein "jetzt reichts, pass auf !"
Da scheiden sich die Geister. Auch Pico ist ein Kanditat, der gerne mal was vorneweg nimmt. Aber Strafen wäre da die absolut falsche Reaktion! Ich ignoriere das von ihm angebotenen und korrigiere es in das, was ich wollte. Macht er es dann richtig, wird gelobt. Strafen erzeugt gerade bei übereifrigen Pferden oft eine immense Angst etwas falsch zu machen und sie werden noch übereifriger - oder das Gegenteil, sie werden trotzig.

Sollte über das Thema aber weiterdiskutiert werden, sollten wir einen eigenen Thread aufmachen.

@Bernie: Schön geschrieben und absolut d'accord.
Liebe Grüße, Sabine

Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich an ihnen orientieren

"Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt" Mahatma Gandhi
lalala

Beitrag von lalala »

Josatianma hat geschrieben:
Der ein oder andere Kandidat braucht dann auch mal eine auf den Hintern - also ein "jetzt reichts, pass auf !"
Da scheiden sich die Geister. Auch Pico ist ein Kanditat, der gerne mal was vorneweg nimmt. Aber Strafen wäre da die absolut falsche Reaktion! Ich ignoriere das von ihm angebotenen und korrigiere es in das, was ich wollte. Macht er es dann richtig, wird gelobt. Strafen erzeugt gerade bei übereifrigen Pferden oft eine immense Angst etwas falsch zu machen und sie werden noch übereifriger - oder das Gegenteil, sie werden trotzig.
Deshalb erwähnte ich das ja auch nur am Rande und habe die gängige Variante vorangesetzt :wink: Celine wird ihr Pferd kennen und wissen welchen Weg sie gehen muss.
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Jen
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Beitrag von Jen »

hi

ich kann mich den anderen anschliessen. Fein reiten heisst für mich nicht passiv reiten. In Schönheit sterben, das ist passiv. Allerdings heisst aktiv reiten für mich nicht, dass von aussen etwas sichtbar sein muss, die Aktivität zeigt sich nur im Pferd, wenn der Reiter das Spiel mit der Energie intus hat und die wenigen Hilfen, die er benützt auch präzise einsetzt. Für mich ist das auch viel logischer: weniger Ansagen und die werden dann auch klarer erkannt, als ständiges "Geplapper" mit der Körpersprache. Wenn ich äusserlich sehr aktive Reiter sehe, dann empfinde ich das oft als sehr störend für das Pferd, der Reiter horcht nicht in sich und das Pferd hinein. Der Sitz soll für mich aber nicht nur "sendendes" sondern auch "empfangendes" Instrument sein, damit er die gesendeten Signale genau abstimmt. Wie Bernie sagt: die Grenze ist fein und sie wird auf der Suche sicher mal auf der einen, wie der anderen Seite überschritten. Ist aber normal, denk ich mal.

Wenn ein Pferd übungen vorwegnimmt, dann ist das im Grunde genommen ein Fehler des Reiters und nicht des Pferdes, denn oft senden wir die Signale, kanalisieren sie aber nicht und werden fast selbst überrascht, wenn die Pferde reagieren. Mir passiert das bei meinem auch manchmal. Aber das ist ganz wichtig, dass man da sich selber besser konzentriert und präziser wird. Für mich heisst fein reiten deshalb nicht nur "so wenig wie möglich" sondern eben auch "so viel wie nötig". Und wenn das ein Zwick mit der Gerte bedeutet oder so, dann ist das - zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt - auch ok.
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
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ninischi
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Beitrag von ninischi »

Jen und Bernie sagen genau das, was ich dazu denke.
Bei zu viel Aktivität eines Reiters sagte mein RL mal "alles bewegt sich, nur das Pferd nicht" - und genau umgekehrt soll es sein: Das Pferd mit minimalen Hilfen dazu bewegen, all seine Kraft und seinen Willen für dich einzusetzen.
Da ist leider die Grenze zu "sich gegenseitig in Ruhe lassen" oft fließend...
"Reiten ist die Suche nach Schönheit, Geradlinigkeit und Wahrheit."
Nuno Oliveira
Santana
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Beitrag von Santana »

Meine Interpretation: im einen Fall reitet man selbst, im anderen (dem in Schönheit sterben) wird man geritten.

Man sieht das ja oft: Das Pferd beginnt ein Maneuver von selbst, dreht urplötzlich aus der Spur, der Reiter darauf sitzt nach wie vor in wunderschön erlernter Haltung und hat keine echte Einwirkung, kann den Fehler weder verhindern, noch beeinflussen, wird geritten. Selbst wenn Reaktionen (manchmal auch außerhalb) der lehrbuchmäßig angewannten "Hilfen" kommen, dann sind sie vom Timing und Sinn her nicht passend.

Der aktive Reiter hingegen stellt schon die korrekten Korrekturen, wenn der Ansatz für das Umfeld noch nichtmal sichtbar ist. Das hat mit derbe und unschön ncihts zu tun, lediglich mit erkennen und richtigem Handeln.
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Celine
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Beitrag von Celine »

Vielen Dank für die vielen Gedanken dazu! Da konnte ich mir einiges rausziehen.
Ich denke, das Problem ist tatsächlich, dass ich dem Pferd wenig Hilfen gebe. Ich bin nicht inkonsequent, und ich bin auch z.B. strenger und resoluter als mein Mann, das sieht man, wenn er auf seinem eigenen Pferd sitzt. Das latscht dann nämlich richtig. Meins ist irgendwie schon zum prompten Gehorsam erzogen (klingt jetzt schlimmer als es ist, aber ich bin keine, die das Pferd bittet, evtl. mal anzutraben, sondern das auch prompt einfordert). Es ist auch recht gehorsam am Schenkel. Es tut also prompt, was man sagt, hebt aber dann in der Trabtour nicht richtig die Beine. Und das ist dann das, was mir entgeht: Ich trabe an, und wenn das Pferd z.B. dann trabt, sitz ich nur noch drauf, bis eine neu Anforderung kommt. Da müsste ich wohl mal mehr eingreifen und das Pferd dann nicht so alleine lassen.

Die Trainingsstunde ist bei uns schon abwechselnd, also immer die gleichen Hufschlagfiguren etc. sind es ganz und gar nicht. Eher das Gegenteil, dass ich mehr Fantasiefiguren reite und mehr auf korrekte Ausführung achten müsste.

Es ist auf jeden Fall ja auch bei einigen eurer Beiträge deutlich geworden, dass es eine Gratwanderung sein kann, wieviel man tun muss auf dem Pferd.

Ich bin jetzt zuletzt im Unterricht eine ganz schöne Übung geritten, nämlich das Einfangen und Zulegen des Tempos im Trab und Galopp rein über die Körperspannung. Ich glaube, das bringt Pferdi und mich auf einen guten Weg, denn da kann ich nicht passiv sitzen und lerne gleichzeitig das Spielen mit der Körperspannung und Energie, die ich ausstrahle.
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Celine
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Beitrag von Celine »

Bernie hat geschrieben: Ein zügelunabhängiger Sitz, vor allem ein effektiver Sitz, ein Pferd, das am Sitz, vor dem Schenkel und am Zügel ist. Immer. Ein Pferd, das die Bewegungen der Hinterhand über den Rücken zum Maul durchlässt.
Seufz, DAS ist ein schönes Ziel, das möchte ich auch mal erreichen. Hab ich übrigens so in meinem privaten Umfeld bislang nur wenige Male gesehen.
horsman
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Beitrag von horsman »

Die Kunst beim Reiten ist ja gerade, fein zu reiten, im Sattel beinahe NICHTS zu machen, außer sich anscheinend genießend tragen zu lassen und das Pferd dabei dennoch voller Energie und Impuls zu haben.
UND: es geht !!!
Aber: es geht nicht, indem man nie gar nichts macht.
Man muss nur das störende weg lassen und das notwendige tun. Das allerdings auseinader zu dividieren dauert ungefähr 300 jahre, außer bei Oliveira, da hats nur 30 jahre gedauert :D .

Fazit: lass Dich nicht verunsichern, wenn man Dir vorwirft zu passiv zu reiten. Im Sattel zu arbeiten und zu ackern bringt NICHTS.
Jetzt gilt es, in diesem "entspannten" Zustand, dem Pferd mehr Energie und Impuls einzuhauchen ohne in die alten Fehler (schieben im Sattel, Bein drücken, Hand + Bein gleichzeitig, Hand rückwärts usw. zurück zu fallen.
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emproada
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Beitrag von emproada »

Aber auch beim viel verehrten Oliveira "bewegt" sich auf den Videos nicht nur das Pferd.....
Und gerade dieses Bild vom immer perpekt sitzenden Reiter läßt doch so viele Leute in der Praxis total verspannen, weil sie meinem dem immer nacheifern zu können.
Natürlich ist ein ruhiger, schöner Sitz das Endziel, aber wer erreicht das schon in absoluter Perfektion wenn man kein Profi ist und zig Pferde am Tag reitet?
Viele Grüße Tina
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Beitrag von Carmen »

Übereilige Pferde strafen halte ich für sehr kontraproduktiv. Ziel der Ausbildung ist es ja, ein Pferd zu haben, dass schon auf "Gedanken" hin entsprechend reagiert.

Wenn ich an Galopp denke, ändert sich meine Körperhaltung und -spannung für mich unmerklich, aber für das Pferd sehr deutlich. Wenn es daraufhin anspringt, obwohl ich das ja so gar nicht beabsichtigt habe, darf ich das Pferd auf gar keinen Fall strafen. Es hat ja absolut korrekt gehandelt. Eigentlich müsste ich sogar loben.

Also lieber sich selbst neu sortieren und nochmal probieren, indem man die eigene Reaktion etwas abschwächt und vll. eine andere Gedankenstütze sucht.
"Es gibt schon viel zu viele Pferde, die Gefangene sind. Wenn wir unser Pferd lieben, müssen wir [...] ihm so viel wie möglich von seiner Freiheit zurückgeben." Sylvia Loch
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Celine
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Beitrag von Celine »

horsmän hat geschrieben:
Fazit: lass Dich nicht verunsichern, wenn man Dir vorwirft zu passiv zu reiten. Im Sattel zu arbeiten und zu ackern bringt NICHTS.
Jetzt gilt es, in diesem "entspannten" Zustand, dem Pferd mehr Energie und Impuls einzuhauchen ohne in die alten Fehler (schieben im Sattel, Bein drücken, Hand + Bein gleichzeitig, Hand rückwärts usw. zurück zu fallen.
Danke, das hast du schön gesagt :D
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Celine
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Beitrag von Celine »

Carmen hat geschrieben:Übereilige Pferde strafen halte ich für sehr kontraproduktiv. Ziel der Ausbildung ist es ja, ein Pferd zu haben, dass schon auf "Gedanken" hin entsprechend reagiert.

Wenn ich an Galopp denke, ändert sich meine Körperhaltung und -spannung für mich unmerklich, aber für das Pferd sehr deutlich. Wenn es daraufhin anspringt, obwohl ich das ja so gar nicht beabsichtigt habe, darf ich das Pferd auf gar keinen Fall strafen. Es hat ja absolut korrekt gehandelt. Eigentlich müsste ich sogar loben.

Also lieber sich selbst neu sortieren und nochmal probieren, indem man die eigene Reaktion etwas abschwächt und vll. eine andere Gedankenstütze sucht.
Das sehe ich nämlich auch so. Meine RL sagt immer "freu dich, guck mal, wie eifrig dein Pferd ist". Wenn er hampelig wird, ist es allein meine Schuld, weil ich mich schon anspanne und an die nächste Aufgabe denke. Da will ich ihn nicht strafen, sondern beruhigen.
Santana
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Beitrag von Santana »

Ich glaube, das Wichtigste beim Reiten ist, dass man selber einen Plan hat. Was will ich? Wie will ich es? Wohin möchte ich? Wann möchte ich es?

Wenn man das beim Training klar im Kopf hat und danach arbeitet, das auch konsequent umzusetzen, dann reitet man eigentlich zwangsläufig aktiv.
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