Schenkelgänger, was nun?

Rund um die klassische Reitkunst

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Medusa888
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Schenkelgänger, was nun?

Beitrag von Medusa888 »

Ich habe mal eine Frage, die mich in letzter Zeit beschäftigt.
In jedem Stall wird es wohl das eine oder andere Beispiel geben:

Ein junges und gutes Pferd wird angeschafft und dann über Monate und Jahre hinweg vom Reiter so geritten, dass aus dem wünderschönen Rückengänger ein verspannter Schenkelgänger geworden ist.
Die Muskulatur spricht seine eigene Sprache, das Pferd hebt die Beine nicht mehr und im Rücken bewegt sich gar nichts.

Wie macht man aus so einem Pferd wieder einen Rückengänger?
Klar, draufsetzen und "richtig" reiten, ist die einfache Lösung. Aber wie ist der richtige Weg, wenn das Pferd so dermaßen in seinem antrainierten Bewegungsmuster gefangen ist, dass man durch frisches vorwärts oder lockeres vorwärts-abwärts nicht mehr wirklich "ran kommt"?
Talent bedeutet Energie und Ausdauer. Weiter nichts. (Heinrich Schliemann, Entdecker Trojas)
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Isalein
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Beitrag von Isalein »

Magst du mal den Ausdruck Schenkelgänger definieren? :oops:
Ist das ein Pferd, was fest im Rücken ist usw.? Hatte gerade mal versucht ein Foto dazu bei google zu finden, aber bin mir da nicht so sicher, wie es genau aussieht. :oops:
Ganz liebe Grüße
Elisa

Reiten ist die Kunst, das Pferd zwischen sich und dem Erdboden zu halten.
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Jen
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Beitrag von Jen »

Ist das eine hypothetische Frage?

Einfache Antwort: wieder bei Null anfangen. Bei mir würde das konkret heissen: Pferd zurück an die Longe am Kappzaum, ohne Ausbinder und die treibenden Hilfen, sowie Losgelassenheit wieder von Anfang an neu herstellen. Das Pferd so in eine korrekte Dehnungshaltung führen und das Bewegungsmuster ohne Reiter verändern, dass das Pferd wieder mehr von hinten nach vorne durchschwingt. Dann wieder unter den Sattel und auch hier einfach nur Takt, Losgelassenheit, Anlehnung als Priorität, v.a. gerade und grosse gebogene Linien, keine bis wenige Lektionen. Das Pferd muss gut an den treibenden Hilfen stehen und diese in Losgelassenheit annehmen können, also keinen Schenkelflüchter aber auch keine Stätigkeit. Und das Pferd darf keine Angst vor der Hand haben (geschmeidiger Sitz des Reiters! elastische Arme). Dieser Prozess dauert in der Korrekturphase je nach Pferd gerne halt auch etwas länger, als bei einem jungen Pferd, das man frisch ausbildet. Eine Grundausbildung wirklich sauber nachzuholen dauert mindestens 1 Jahr, eher 2 Jahre.
Liebe Grüesslis, Jen
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Jen
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Beitrag von Jen »

Als Ergänzung würde ich das Pferd vor Beginn der Korrektur und ev. auch während der Korrektur von einem guten Physiotherapeuten oder Chiropraktiker durchchecken lassen, um chronische Verspannungen und Schmerzen zuerst möglichst beseitigen. Dann fällt es dem Pferd auch leichter, wieder ein gutes Bewegungsmuster zu lernen. Mit Schmerzen läuft es sich auch korrekt nicht gut. Und Schmerzen lassen sich auch durch korrektes Reiten nicht so schnellschnell beseitigen.
Liebe Grüesslis, Jen
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Isalein
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Beitrag von Isalein »

Ich habe was interessantes bei google gefunden auf der Seite von Heuschmann.
Als Zeichnung dargestellt Rückengänger: http://www.gerdheuschmann.com/bdp-relativ.html#pose und Schenkelgänger: http://www.gerdheuschmann.com/bdp-schenkel.html#pose
Ganz liebe Grüße
Elisa

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Filzi
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Beitrag von Filzi »

Der Rückengänger ist jenes Pferd welches korrekt von hinten nach vorne gearbeitet wurde und daher auch korrekt mit dem Rücken arbeitet. Zu erkennen daran, dass das Pferd mit dem rücken schwingt, die Hinterhand sauber und gut nach vorne schwingt und das Pferd sich selbst trägt.

Der Schenkelgänger ist genau das Gegenteil davon. Der Rücken fest, die Hinterhand nach hinten ausgestellt oder arbeitet nicht richtig mit, meist von Hand gerittene Pferde. Auch gut zu sehen bei Rollkur Pferden.
Bei dieser Art der Verspannung sind leider spektakuläre Bewegungsabläufe möglich. Das herum gestrampel was man heute auf Turnieren zu sehen bekommt spricht eine klare Sprache. Es ist wirklich traurig, dass bei dem was geboten wird die Zuschauer Ränge voll sind. Aber anderes Thema.

Bei so einem verrittenem Pferd wäre vor jeder Arbeit sicherlich eine Pause auf der Weide nicht schlecht. Wie JEN schon sagte, Chiro, Physio mal drüber schauen lassen. Danach reines Sparprogramm, spazieren gehen, Jogging an der Longe, Bodenarbeit.

Durch diese Pause werden dann auch die Muskeln abgebaut die ohnehin nicht richtig sind durch die falsche Reitweise.
"Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg." Mahatma Gandhi
Phanja

Beitrag von Phanja »

Ich kann Jen da nur zustimmen.
Mit Gib hab ich ein Pferd bekommen, dass tatsächlich jahrelang "ohne Rücken" geritten wurde. Da bewegt sich gar nichts im Rücken, wenn man ihn einfach machen lässt.
Wir haben mit der Arbeit bei Null angefangen und geritten bin ich gar nicht, bis er zumindest ansatzweise ein Dehnen in der Bewegung gezeigt hat. Wir machen viel Handarbeit am Kappzaum. Auch Stellung und Biegung im Stehen.
Im Vergleich zu einem rohen "unverdorbenen" Pferd dauert die Ausbildung länger.
Durch die Arbeit an der Hand sind wir mittlerweile so weit, dass Stellung und Biegung im Stehen, im Schritt und im Trab abrufbar sind. Eine schöne Dehnungshaltung sozusagen.
Den Galopp lasse ich auch erstmal weg. Da habe ich nach wie vor das Gefühl, er kriegt es körperlich einfach noch nicht hin, gelöst zu galoppieren.
Ich denke, grade bei einem Schenkelgänger ist es sehr wichtig, immer wieder die Anlehnung und die Dehnungsbereitschaft an die Hand zu prüfen. Sprich - immer wieder mit dem Zügel nachgeben und prüfen, ob das Pferd sich randehnt bzw. überhaupt erstmal erarbeiten, DASS sich das Pferd an die Hand dehnt.
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Lirio
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Beitrag von Lirio »

Wenn ein Pferd schon mal so in einem falschen Bewegungsmuster gefangen ist, würde ich zuerst mal die körperlichen Blockaden behandeln lassen und dann wieder von Punkt Null in der Ausbildung anfangen.
Sprich: viel Bodenarbeit, Biegen, Dehnen und viel raus ins Gelände.
charona
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Beitrag von charona »

Ich stimme Jen, Phanja und den anderen zu: Behandlung der sehr wahrscheinlich bestehenden Blockaden mit regelmässiger Begeleitung durch Massagen, Kontrolle von Sattel & Co. und dann noch einmal von Null anfangen wäre auch mein Weg der Wahl.

Allerdings gibt es einen weiteren Punkt der unbedingt zu berücksichtigen ist: Besitzer/Reiter und Trainer/Bereiter unter deren Begleitung sich das Pferd ja erst zum Schenkelgänger hat entwickeln können. Wenn hier kein 100%iges Umdenken stattfindet bzw. ein Besitzer und/oder Trainerwechsel stattfindet, gehe ich davon aus, dass keine dauerhafte Verbesserung/Korrektur erfolgen kann.

Viel Glück dem Pferd!
Motte
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Beitrag von Motte »

Einmal: gesundheitlich abchecken (Chiro, Osteo)

Dann: gaaaanz viel Gelände. Fleissig Schritt reiten. Alles andere sich entwickeln lassen.
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Medusa888
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Beitrag von Medusa888 »

So würde ich das auch sehen, aber man sieht ja teilweise doch so manche "Kandidaten", die sind inzwischen dermaßen in ihrem Gangmuster gefangen, dass ich mich frage, wie man sie dort wieder rauslockt.
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Beitrag von Julia »

Medusa, auch die bekommt auf diesem Weg, es dauert halt einfach seine Zeit.
Ich würde auch zuerst das Pferd durchchecken lassen, dann viel ins Gelände am langen Zügel und mit Hilfe einer Gerte wenn nötig einen fleissigen Schritt erarbeiten den ich mit wenig Aufwand "raustreiben" muss. Paralell viel Longe am Kappzaum aber mit Gebiss im Maul um trotz Gebiss das Maul "frei" zu bekommen. Wenn das beides gut klappt rauf und v/a, v/a, v/a bis der Zug wieder kommt. Ob man da direkt lang reiten kann oder den Weg von kurz nach lang gehen muss entscheidet das Pferd, da würde ich mich nicht festlegen. Und erst wenn ich auf diesem Weg den Rücken in einem fleissigen vorwärts habe ganz kurze (!) Repriesen das Pferd vorne höher holen und sobald es sich da aufhängt wieder lang machen, das der Zug wieder da ist und erst dann wieder hochholen...

Das ganze kann Monate dauern und ich glaube nicht dass es da eine Abkürzung gibt.
Liebe Grüße, Julia
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Jen
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Beitrag von Jen »

Das Gute an Pferden ist, dass die viel einfacher aus Gewohnheiten rauszuholen sind als die Menschen ;) Menschen haben oft so fixe Ideen und Vorstellungen, wie was zu sein hat und das kann doch ziemlich erschwerend wirken, wenn man seine liebgewonnenen Gewohnheiten loswerden will. :)
Liebe Grüesslis, Jen
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Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
Yvonne

Beitrag von Yvonne »

Bei so einem Pferd kann man leider nicht bei 0 wieder anfangen - man fängt bei -10 an...

Das Pferd muss erstmal wieder lernen, richtig vorwärts zu gehen. Dazu würde ich viel im Gelände reiten, und zwar - wenn das Pferd das mitmacht - in allen Gangarten. Außerdem würde ich Bodenarbeit und Longenarbeit machen und versuchen, dass das Pferd erstmal wieder locker vorwärts geht und den Kopf senkt - später wird daraus ein vorwärts-abwärts.

Wenn das Pferd das Gebiss nicht gut annimmt, dann würde ich versuchen, gebisslos zu reiten, zumindest am Anfang. Und durch Abkauübungen dem Pferd das Gebiss wieder näher bringen.

Und dann: viel Zeit einplanen, sich nicht unter Druck setzen und keine Wunder erwarten.
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