Versammlung und Schwingen

Rund um die klassische Reitkunst

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hilahola
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Beitrag von hilahola »

Zum Selbstversuch und inwiefern dieser auf das Pferd übertragbar ist:

Da habe ich mich da vom Kopf her auch extrem schwer getan und habe mich deshalb auch öfters auf meine Knie begeben um eben herauszufinden, was wie im Pferdekörper passiert – bin dann aber zu dem Ergebnis gekommen, dass man das nicht umlegen kann, wenn man selbst auf den Knien, oder in der Hocke herumgeht – das fühlt sich für uns immer ein wenig krampfig und unkoordiniert an, weil es eben nicht unserem menschlichen natürlichen Bewegungsmuster entspricht (dass wir auf allen vieren traben, galoppieren, Schritt gehen – vom Krabblen mal abgesehen – aber das ist ja auch eher eine Zwischenstufe in der menschlichen Bewegungsentwicklung).

Der Mensch findet aufgrund seiner Körperstruktur seine natürliche Aufrichtung auf zwei Beinen. Nun ist aber nicht jeder Mensch, der sich auf seinen zwei Beinen halten kann, auch „natürlich“ aufgerichtet. Meistens belastet man ein Bein mehr, die Wirbelsäule und das Becken ist in eine Richtung verdreht und die beiden Körperhälften arbeiten nicht gleich viel – eine ist üblicherweise mehr für das „Stützen“ verantwortlich und deshalb steifer (unbeweglicher), während die andere üblicherweise mehr für die Feinmotorik zuständig ist und deshalb „beweglicher“ ist, aber zu wenig Kraft zum Stützen der Körperlast hat . Und trotzdem kann „jeder“ halbwegs gesunde Mensch (irgendwie) auf zwei Beinen stehen, gehen, laufen und rechts und links „galoppieren“ (also „Pferdchen-Sprünge“ machen) – trotzdem, dass unser Körper so „unordentlich“ und „unorganisiert“ ist. Aber man führt diese Sachen dann halt so automatisch aus, nicht bewusst. Wenn man diese Bewegungen wirklich mal bewusst, langsam und konzentriert ausführt, wird man merken, dass man dabei entweder das Gleichgewicht nach vorne, nach hinten, zur Seite verliert, dass sich die Bewegungen auf beiden Seiten unterschiedlich anfühlen usw. Und man kann durch eigene Körperübungen (z.B. Feldenkrais, Alexandertechnik, Yoga, Pilates usw…) seine eigene körperliche „Unordnung“ ein wenig aufräumen, und dann erkennt man die eigene „natürliche“ Aufrichtung, sein eigenes (auch inneres) Gleichgewicht, und die Bewegungen fühlen sich dann müheloser und harmonischer an und dieses Gefühl kann man immer weiter verfeinern und ausbilden.

Ich glaube (und das Buch von Dr. Ritter hat mich darin bestätigt), dass es den Pferden ähnlich geht wie uns Menschen geht, dass sie sich irgendwie auf ihren vier Beinen halten können und wahrscheinlich - so wie sehr viele Menschen auch - ganz gut damit leben können wie sie sich halt bewegen. Andererseits wirkt das Reitergewicht halt doch auf den Pferdekörper, sodass es für das Pferd wahrscheinlich viel wichtiger als für den „normalen“ Menschen ist, dass es lernt, eine Körperausrichtung zu finden, in welcher kein Körperteil über die Maßen beansprucht wird, sondern die zusätzliche Belastung relativ „gleichmäßig“ auf den „gesamten Körper“ verteilt wird.

Das Pferd – im Gegensatz zum Menschen – findet seine Körperausrichtung auf 4 Beinen mit (mehr oder weniger) horizontaler Wirbelsäule, hat also von außen zwar eine andere Körperstruktur als der Mensch, aber es funktioniert im wesentlichen nach den gleichen Prinzipien. Wenn der Mensch sein rechtes Bein hebt, wandert die linke Schulter (mit ganz leichter Drehung des Burstkorbs) nach vor und die rechte Schulter korrespondierend zurück, sodass quasi zwei Diagonalen entstehen, welche den Oberkörper stabilisieren und verhindern, dass er nach vorne oder zurückfällt. Die Diagonalen verlaufen (gedacht) also vom rechten Becken zur linken Schulter und vom linken Becken zur rechten Schulter. Wenn diese beiden Diagonalen harmonisch miteinander agieren, bleibt die Wirbelsäule senkrecht und aufrecht stabil, ohne große Anstrengung.

Das Pferd nutzt zur Stabilisierung seines Rumpfes unter anderem ebenfalls diese zwei Diagonalen – nur halt nicht wie der Mensch in senkrechter Ausrichtung – sondern in horizontaler (offensichtlich im Trab und beim Angehen aus dem Halt, wenn Pferd nicht geschlossen steht, im Galopp in der diagonalen Zweibein-Stütze).

Beim schiefen Pferd arbeiten (unter anderem) dieses Diagonalen nicht gleichmäßig – ebenso wie beim Menschen, (vereinfacht ausgedrückt) ist eine Diagonale verkürzt und die andere „zu lang“.

Wenn das Pferd lernt, seine beiden Diagonalen und seinen ganzen Körper gleichmäßig einzusetzen (u.a. durch Seitengänge), je nach erforderter Bewegung, hat auch das Pferd seine „natürliche“ Aufrichtung, sein (auch inneres) Gleichgewicht gefunden, in welcher alle Anforderungen so mühellos zu gelingen scheinen.

Übertragbar auf den Reiter im Sattel: Gerade im konventionellen Reitunterricht wird häufig nichts lieber am Reiter korrigiert bzw. Anweisungen dafür gegeben, als die Beine (=Hinterbeine – „treiben“) und die Hände (=Vorderbeine – „parieren“, „Schwamm ausdrücken“ usw). Wenn man jetzt die „offensichtlichen“ Störfaktoren zurückverfolgt jeweils zu ihrem Ursprung, landet man von den Beinen bei der Hüfte/dem Becken und von den Händen bei den Schultern/Brustkorb, also wieder bei den zwei Diagonalen, die halt zunächst einfach weder beim Reiter noch beim Pferd gut organisiert sind.

Ich danke daher, dass die Bewegungen des Pferdes und die Bewegungen des Menschen, auch wenn die Anatomie im Einzelnen verschieden ist, durchaus vergleichbar sind, weil sie auf ähnlichen Bewegungsprinzipien aufbauen – nämlich dem ständigen Kampf gegen die Schwerkraft, dem ständigen subtilen „Kampf“ gegen das Umfallen, auch wenn uns dieser Vorgang oft nicht bewusst ist.
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

hilahola,


das ist für meine Begriffe zu kurz gedacht, und zwar wörtlich, die Muskelketten des Menschen beginnen nicht im Becken, um eine physiologisch aufrechte Wirbelsäule zu erzeugen, sondern die gesunde Aufrichtung des Menschen beginnt an seinen Füße und gezaudert mit seinen Fußgewölben. Kopfschmerzen haben häufig ihre Ursachen in den Füßen. Das ist in Bezug zum Pferd eine völlig andere Betrachtung.

Die Bilateralität, die Du ansprichst, ist auch eher in Bewegung zu finden.

Aber, es ist wie Du sagst, geht der Mensch auf alle Viere, dann ist seine Bewegung null mit der eines Pferdes zu vergleichen, allein die Anordnung unserer Schultern ist so dermassen anders, wir kommen nie in diese Schwingung. Nebenbei bemerkt viele andere Tiere auch nicht, da ist das Pferd schon sehr eigen. Vielleicht noch die Giraffe, die schwingt noch mehr. Das muss sie auch, um die Balance für diesen langen Hals zu schaffen.


LG Ulrike
hilahola
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Beitrag von hilahola »

@ Ulrike, ich habe bei meiner Beschreibung bewusst nur "oberflächlich" und "zu kurz" gedacht :D Mir geht es oft so, dass ich mich zu sehr in die Details verrenne und dann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe, insbesondere wenn ich gerade neue Details herausgefunden habe, wie z.B. die Verwendung der Augen mit der Ausrichtung der Wirbelsäule zusammehängt. Wenn ich so neue Sachen herausgefunden habe, neige ich immer ein wenig dazu diese dann zu fokusieren und als "alleiniges" Heilmittel zusehen und zu vergessen, dass ja noch ganz viele Sachen AUCH dazugehören. Da hilft es mir in "so großen, einfachen" Dimensionen zu denken wie den zwei diagonalen Bändern vom Becken zu den Schultern (sowohl beim Pferd als auch beim Menschen) und wie diese verlaufen bzw. verlaufen sollen, auch wenn tatsächlich im Hintergrund hundertausend andere Dinge noch reinspielen, zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen.
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

hilahola,

natürlich, das kann man auch tun, sich diese Muskelketten vorzustellen, nur beginnt der Mensch seine Balance eben in den Füßen im Fußgewölbe.

Die Statik und Dynamik von Pferd und Mensch ist NICHT vergleichbar, auch wenn das immer wieder gerne getan wird.


Aber, genauso wichtig ist es, sich über vieles immer wieder Gedanken zu machen, das ist das, was auch mir besonders viel Spass macht.


LG Ulrike
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Fortissimo
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Beitrag von Fortissimo »

Kopfschmerzen haben oft Ursache in den Füssen? Könntest Du mir das näher erläutern? Ich habe seit Monaten Probleme mit den Außenbändern am rechten Fuss. Welche Auswirkungen kann das auf den restlichen Körper haben?
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Fortissimo,


wenn das Muskelspiel der Füße nicht mehr so richtig funktioniert, dann hat das Haltungsauswirkungen bis ganz nach oben. Verspannungen, schwache Muskulatur, nicht funktionierende Muskelketten etc. Letztendlich auch Energieverschiebungen in den Meridianen, wenn man das jetzt auch naturheilkundlich betrachten will.

Das kann bis zu Migräne gehen, muss aber nicht. Ich habe z.B. st. frühester Jugend einen hübschen Spreizfuss und Senkfüße, OHNE Plattfüße zu haben. Zum Glück macht sich das bei mir nicht so bemerkbar.

Aber auch aus eigener Praxis weiss ich, wie sehr eine starke und geschmeidige Fußmuskulatur den gesamten Körper aufrichtet und elastisch hält. Wir beachten unsere Füße viel zu wenig.

Auch Knöchelprobleme können ihre Ursachen in einer schwachen Fußmuskulatur haben, klar. Ich meine mit dieser Muskulatur die kurzen Fußmuskeln, nicht unbedingt die Muskeln, die am Fuß ihren Ursprung haben und dann am Unterschenkel wieder ansetzen. Ich meine die Muskeln, die die Gewölbe stabilisieren und nicht (nur) das Sprunggelenk.

In der Physiotherapie sollten die Füße meiner Meinung nach auch mehr Aufmerksamkeit erhalten, das ist aber nicht so spektakulär, wie das Kreuzbein etc.


LG Ulrike
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Das Fußthema ist ein sehr spannendes. Ich habe recht gut "ausgebildete" Füße und lt. Osteo war das wohl auch immer der positive Grund, weshalb ich auch bei stark rückenbelastender Tätigkeit nie Probleme hatte - weil ich sehr viel barfuß gelaufen bin.

In der Zeit der hohen Absätze im Job verbunden mit mehr (auf eben diesen) stehen hat sich das geändert - was natürlich nicht nur an den Füßen, sondern der gesamt dadurch beeinflussten Haltung liegt.

Als mir das Sockenpony dann den Mittelfuß mit dem Ellenbogen fast bodengleich gemacht hat (fünf Brüche, die äußeren Zehen im Mittelfuß angebrochen) hat mir wieder die Muskulatur - lt. Orthopäde - das Gewölbe gerettet. Beim Gipsen hat der Arzt versucht mich anzuleiten mit Reiz am anderen Fuß, wo ich versuchen soll etwas anzuspannen, damit der Fuß anschließend nicht so platt aus dem Gips hervorkommt. :wink: Der nachbehandelnde Chirurg war dann ganz angetan, dass das Gewölbe so fein wiederhergestellt war.
Das viele barfuß gehen und - zu der Zeit dann - nahezu nur flache Schuhe waren wohl sehr hilfreich.

Von meinem Osteopathen kenne ich es auch nur so, dass er eine Grundbehandlung immer mit Gesamtbetrachtung von den Füßen an beginnt.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
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