Korrekter Sitz Abstriche

Rund um die klassische Reitkunst

Moderatoren: Julia, ninischi, Janina

Antworten
padruga
User
Beiträge: 687
Registriert: Fr, 03. Aug 2007 20:37
Wohnort: Bayern

Korrekter Sitz Abstriche

Beitrag von padruga »

Angeregt durch ein paar Bemerkungen hier im Forum (z.B. zum Sitz von AB): Im Lot zu sitzen scheint bei ein paar Reiter-Sattel-Pferde-Verbindungen nur mit dem Preis eines Hohlkreuzes zu gehen. Sitzen die Reiter hingegen gerade mit voller Beweglichkeit ihres Rückens, sind die Unterschenkel bei sehr vielen beobachteten Reitern zu weit vorne, was die Balance und Einwirkmöglichkeiten auch wieder stark einschränkt. Im günstigsten Fall ist einfach der Sattel schuld, manchmal aber sind es nicht beseitigbare anatomische Ursachen: Scheint so, als muss man eins der beiden Übel (im Sinne der Funktionalität) manchmal in Kauf nehmen? Was denkt ihr, ist dieser Idealsitz tatsächlich von jedem auf jedem Pferd zu erlangen oder sind größere Abstriche hier schon allein durch die anatomischen Gegebenheiten unumgänglich? Bzw. wie habt ihr persönlich dieses Dilemma gelöst (außer natürlich "üben üben üben")?
Benutzeravatar
Alkasar
User
Beiträge: 557
Registriert: Mo, 22. Dez 2008 11:13
Wohnort: 26736 Krummhörn-Ostfriesland
Kontaktdaten:

Beitrag von Alkasar »

Ich denke, ein paar Kompromisse kann/muss man schon machen. Oberstes Gebot ist für mich die Lockerkeit und Geschmeidigkeit im Sattel. Eben ein Sitz, der das Pferd nicht stört oder behindert. Viele Leute sitzen im Einklang mit Ihren Pferden obwohl es nicht so schön aussieht und auch nach Lehrbuch nicht korrekt ist. Schau mal N.O. an z.B., der verschmilzt mit dem Pferd. Andere sitzen wie die Zinnsoldaten, alle Körperteile korrekt positioniert und stören doch ihr Pferd beständig.

Was mich allerdings stört, sind diese Modeerscheinungen. Die langen Bügel beispielsweise von A.B., wo teilweise sogar der Fuß im Bügel hüpft finde ich dann doch überflüssig. Die Auswirkungen kann man auch schön bei den gezeigten Schülerinnen auf ihrer letzten DVD sehen. Die sitzen in meinen Augen alle furchtbar. Da gibt es eben anatomische Gesetzmäßigkeiten, dass z.B. gestreckte Gelenke weniger geschmeidig sind als leicht gebeugte etc.

Generell ist meine Erfahrung, dass ein tendenziell kürzerer Bügel den Sitz häufig besser macht.

Generell gefällt mit der Sitz vieler Militärreiter auf alten Fotos, die sind oft wirklich einfach mit dem Pferd und nicht oben drauf gesetzt.

So wie auf diesem alten N.O. Video (wurde hier auch schonmal heiß diskutiert)

http://www.youtube.com/watch?v=TfiTTyi2He8
„Wer nur zu seiner Freude reitet, aus Freude am Leben, aus Freude an Flur und Wald, aus Freude am Pferd, der ist ein König und ein Weiser.“ (aus: Vollendete Reitkunst, Udo Bürger, 1959)
sab
User
Beiträge: 548
Registriert: Do, 19. Aug 2010 05:36
Wohnort: Bremen

Beitrag von sab »

Hallo,


wenn man sich die Bilder der alten Meister anschaut, sieht man, dass diese mit wesentlich kürzerem Bügel reiten als die Dressurreiter von heute. Das hat sicherlich auch etwas mit den modernen Sätteln zu tun - in denen wird man schnell überstreckt hingesetzt. Ich persönlich reite in der Lösungsphase mit kürzeren Bügel und schnalle diese dann 1 Loch länger. Das klappt hervorragend.


LG

Sabine
Max1404
User
Beiträge: 2259
Registriert: So, 13. Jun 2010 13:54
Wohnort: Hessen

Beitrag von Max1404 »

Ich bin der Meinung, der Bereich Becken, Sitzbeinhöcker und Lendenwirbelsäule sind die wichtigsten, weil dieser Bereich am direktesten mit dem Pferd kommuniziert.
Da sind absolut keine Abstriche zu machen, und das kann auch jeder, egal, welche Statur man hat.
Aber das erfordert, je nach Pferdetyp, in diesem Bereich eine große Elastizität, und sich die zu erarbeiten, ist schwer.

Die Reiterinnen in den Videos von AB haben fast allesamt Entenpo und Spaltsitz - und das ist ein Sitzfehler, genau so wie ein Stuhlsitz.
Mit diesen Sitzfehlern kann man weder auf schwungvollen Pferden einen Trab aussitzen noch differenziert einwirken (weil man nicht mehr ausbalanciert auf den Sitzbeinhöckern sitzt). AB und Co sehen wirklich beim ersten Hinschauen nett zu Pferd aus, sie scheinen gerade und gestreckt und verhältnismäßig entspannt zu sitzen, aber wehe, das Pferdchen trabt mal etwas mehr vorwärts ...

http://www.youtube.com/watch?v=ZC7F0Z-Ijpo: Der Schimmel am Anfang: soooo schwer ist der nicht zu sitzen, wie es aussieht. Sie sitzt nicht "in der Mitte der Gesäßknochen", sondern kippt das Becken etwas zu weit nach vorne, Tendenz zum Spaltsitz, leichter Entenpo. Das noch verstärkt durch die überlangen Steigbügel. Da kommt man schnell in Wohnungsnot, wenn das Pferd etwas schwungvoller geht. Also: Becken zentrieren, Steigbügel 2 Loch kürzer und schwingen, sitzen, schwingen. Meine Meinung als Reiter eines 1,83 Warmbluts mit guter Dressurabstammung.

Dass sich ein versammeltes Pferd besser sitzen lässt, stimmt zwar, nur nicht so, wie es viele verstehen: Bei einem Pferd, das gut versammelt ist, geht der Schwung, der sich im Arbeitstrab verhältnismäßig eher nach vorne entwickelt, mehr nach oben. Sofern der Rücken auf ist, nimmt dieser schwingende Rücken den Reiter gut mit. Aber zu sitzen hat man genau so viel wie in der Trabverstärkung.

Viele Reiter, besonders im Klassik- und Barockbereich, verwechseln jedoch Versammlung mit langsamer Reiten. Dadurch geht der Rückenschwung verloren, wird flacher - einfacher zu sitzen ... :roll:
Das gleiche passiert bei Schenkelgängern: der Rücken hört auf zu schwingen, und nur noch die Beine bewegen sich - nett zu sitzen ... :roll:
Viele Grüße
Sabine
Bild
Benutzeravatar
Traumdauterin
User
Beiträge: 1626
Registriert: So, 25. Jan 2009 17:46
Wohnort: Leipzig

Beitrag von Traumdauterin »

Ich denke, der allgemein gelehrte Grundsitz, den wir alle kennen, ist funktional und effektiv. Wenn ich absichtlich falsch hinsetze, dann merke ich auch, dass ich aus der Balance komme und/oder das Pferd störe. Von daher hat der lotrechte Sitz schon seinen Sinn.

Sicher gibt es individuelle Abweichungen, die vom eigenen Körperbau, vom Pferd und irgendwo auch vom Sattel abhängen. Trotzdem ist das keine Entschuldigung, einen guten Sitz muss man sich erarbeiten und an einigen Stellen gewisse körperliche Unzulänglichkeiten überwinden.
Ich kannte mal einen mittelalterlichen Mann, der quasi körperlich schon so kaputt war, dass er weder aufrecht sitzen noch mitschwingen konnte, geschweige denn auch nur annähernd zügelabhängig reiten. Das war für das Pferd die reinste Qual, so jemand sollte dann halt einfach nicht reiten. Aber ich glaube, um solche Extreme geht es hier nicht ;)

Ich war ja mal bei einem Meynersseminar bzw. habe einen Lehrgang bei einer Schülerin gehabt, da waren zu lange Bügel auch oft ein Thema ;)

Ich kann z.Bsp. nicht lange mit recht kurzen Bügeln (Springen/Gelände) reiten, erst recht nicht in Stiefeln aufgrund einer alten Verletzung, ich krieg höllische Schmerzen im Fußgelenk. Aber als eingefleischter Dressurreiter stört mich das wenig, im Gelände reicht mein VSD mit angehmer Bügellänge ;)
Frage mich nach der Poesie in der Bewegung, Schönheit, Intelligenz und Kraft und ich zeige Dir ein Pferd.
Belfigor
User
Beiträge: 434
Registriert: Sa, 13. Feb 2010 16:40
Wohnort: Bayern

Beitrag von Belfigor »

:arrow:
Zuletzt geändert von Belfigor am Mo, 28. Mär 2011 11:09, insgesamt 1-mal geändert.
"Die Wahrheit kann man nicht verbrennen, denn sie ist das Feuer."
padruga
User
Beiträge: 687
Registriert: Fr, 03. Aug 2007 20:37
Wohnort: Bayern

Beitrag von padruga »

Hm, also Sitzposition am wichtigsten, Schenkellage eher zweitrangig? Zumindest wenn es auf Kosten der Geschmeidigkeit des Sitzes geht?
Das Gemeine ist, dass man sich dann oft "behumpst" und etwas hinter dem Gleichgewicht sitzen bleibt, zumindest wenn einen ein konsequenter Reitlehrer da nicht permanent damit konfrontiert.
Und die Alternative? Die AB Schüler sitzen ja schön im Lot, aber die dadurch fehlende Beweglichkeit im Beckenbereich werden dann ausgeglichen durch stärkere Bewegungen im oberen Teil der Wirbelsäule. Vielleicht, möglicherweise, dennoch durchaus sehr sinnvoller Sitz bei jungen, unbalancierten Pferden, bei denen man öfters den Rücken schnell mal entlasten muss? Und im späteren Ausbildungsverlauf dann den Sitz wechseln. Bügel kürzer, Kreuz mehr ran ans Pferd, ev. auch auf Kosten des "Lots"? Also auch ev. sogar anders rum als wie es manche machen:"... in der Lösungsphase mit kürzeren Bügel und schnalle diese dann 1 Loch länger."
Max1404
User
Beiträge: 2259
Registriert: So, 13. Jun 2010 13:54
Wohnort: Hessen

Beitrag von Max1404 »

padruga hat geschrieben: Vielleicht, möglicherweise, dennoch durchaus sehr sinnvoller Sitz bei jungen, unbalancierten Pferden, bei denen man öfters den Rücken schnell mal entlasten muss?
Wie wäre es einfach mit einem korrekten Entlastungssitz? 8)
Was machst Du denn bei dem "AB-Sitz", wenn das junge Pferd mal einen übermütigen Satz macht? Du verlierst die Bügel und bekommst einen Schlag ins Hohlkreuz - aua! :wink:
Viele Grüße
Sabine
Bild
horsman
User
Beiträge: 2879
Registriert: Mo, 25. Sep 2006 12:04
Wohnort: NRW

Beitrag von horsman »

wenn der Sitz das Pferd nicht stört und effektiv für die Wirkung der Hilfen ist, dann ist er allemale gut genug, auch wenn er in dem einen oder anderen Punkt nicht mit der Idealschablone übereinstimmt. Gar so mies find ich den Sitz von AB nun auch nicht. Zu Beginn des Videos in der Pirouette zB sieht das mE sehr gut aus. Ob der Schimmel nun doch etwas mehr wirft (sieht ja so aus) oder nicht, wird man wohl erst wissen, wenn man mal selber drauf gesessen hat.

Viele Reiter haben die Beine heutzutage übrigens eher zu weit hinten als zu weit vorne. Die Mode mit den langen Bügel entsprang der ewig tönenden Reitlehreranweisung: "Die Beine lang!" Die Sattelhersteller haben sich dann angepasst. Bei der Auswahl meines Mass-Dressur-Sattels mußte ich fast betteln, dass man mir ein Sattelblatt mit etwas mehr Vorschnitt baut, als diese gerade geschnittenen Dinger.
First a relaxed mind, then a relaxed horse.
Benutzeravatar
Meg
User
Beiträge: 3500
Registriert: Mi, 27. Sep 2006 07:37
Wohnort: Vestfossen NO

Beitrag von Meg »

sab hat geschrieben: wenn man sich die Bilder der alten Meister anschaut, sieht man, dass diese mit wesentlich kürzerem Bügel reiten als die Dressurreiter von heute.
Ich mag ja den Wätjen am liebsten, der hatte nen genialen Sitz bei kurzen Bügeln. Und es kommt auch auf die Grösse des Pferdes an, meinem kann ich am besten im Springsattel reiten, während ich auf dem Pferd von Ninischis Mutter (über 1,60) wunderbar mit langen Beinen reiten konnte (immer noch träume davon).

sab hat geschrieben: Ich persönlich reite in der Lösungsphase mit kürzeren Bügel und schnalle diese dann 1 Loch länger. Das klappt hervorragend.
Super Tipp, werde ich auch mal ausprobieren!! Danke!
Whenever I feel blue, I start breathing again :-)
padruga
User
Beiträge: 687
Registriert: Fr, 03. Aug 2007 20:37
Wohnort: Bayern

Beitrag von padruga »

Wie wäre es einfach mit einem korrekten Entlastungssitz?
Der korrekte Entlastungssitz, ja. Aber oft stehen die Reiter dann meist nur ein bisschen auf, und -vor allem wenn sie vorher hinter ihrem Gleichgewicht saßen- stülpen ihr Gewicht vermehrt einfach über/auf die Vorhand. Ist umso mehr zu beobachten, je kürzer die Bügel sind und je höher der Hinterzwiesel des Dressursattels ist. Dann doch eher Springsättel oder zumindest hinten flache Zwiesel? Siehe "Wätjen-Zeit"?
http://www.artisticdressage.com/photos/ ... erant2.jpg
Max1404
User
Beiträge: 2259
Registriert: So, 13. Jun 2010 13:54
Wohnort: Hessen

Beitrag von Max1404 »

horsmän hat geschrieben: Ob der Schimmel nun doch etwas mehr wirft (sieht ja so aus) oder nicht, wird man wohl erst wissen, wenn man mal selber drauf gesessen hat.
Aber man könnte besser damit umgehen, wenn man korrekt und zentriert auf den Sitzbeinhöckern säße und nicht die Tendenz hätte, das Becken zu weit nach vorne zu kippen und ins Hohlkreuz zu kommen. Und darauf kommt es an, nicht darauf, wie viel ein Pferd möglicherweise "wirft" oder nicht :wink:
Viele Grüße
Sabine
Bild
Max1404
User
Beiträge: 2259
Registriert: So, 13. Jun 2010 13:54
Wohnort: Hessen

Beitrag von Max1404 »

@padruga, dann sind wir uns doch einig :wink:
Der Sitz muss korrekt sein, ob Entlastungssitz, Mittelpositur oder Belastungssitz.

Und auf diesen alten Sätteln wie auf dem Foto (auf sowas habe ich auch noch gelernt) muss man schon sitzen können.

Der Fairness halber muss ich aber sagen, dass die Warmblüter heute erheblich schwungvollere Bewegungen als früher haben. Ein Sattel mit tiefem Sitz ist da nicht ganz verkehrt, vor allem, wenn ein junges Pferd mal übermütig wird. Auf meinem Großen würde ich bis heute nicht in einem so flachen Sattel sitzen wollen, ein bisschen Halt brauche ich auf dem schon, wenn er mal plötzlich scheut, da ist nämlich richtig "wumms" dahinter.

Mein früherer sehr flacher Pr***-Springsattel mit nur sehr wenig Pausche hat sehr weit über dem Pferd geschwebt. Ich konnte nicht effektiv genug über den Sitz einwirken und nicht genug fühlen.

Ich bin da aber sowieso eigen, denn ich reite sehr viel über den Sitz. Ich könnte mir niemals vorstellen, ein Lammfell oder (noch schlimmer) so einen Gelüberzug auf der Sitzfläche zu haben. Das ist mir viel zu ungenau. Aber Vorlieben sind schließlich verschieden. :wink:
Viele Grüße
Sabine
Bild
Benutzeravatar
Tossi
User
Beiträge: 786
Registriert: Mi, 03. Feb 2010 19:47
Wohnort: Allgäu

Beitrag von Tossi »

@padruga
also, in die Zeit dieser Sättel möchte ich nicht zurück: flache Kissen, überwiegend schmälere Wirbelsäulenkanäle wie heute. Ich hatte zwar mal einen genialen Passier (genauso alt wie ich), das war ein absoluter Glücksfall.

Auch wenn die heutigen modernen Sättel oft als "Sitzkrücken" bezeichnet werden, sind sie doch der Anatomie der Pferde viel, viel besser angepasst. Jedenfalls weiß ich aus eigener Erinnerung, dass damals sehr viele Pferde mit schlimmem Satteldruck zu kämpfen hatten. Klar lag das zum Teil an Unwissenheit und Sparsamkeit der Besitzer, aber es gab auch schlicht nicht die Auswahl, Beratung usw.

LG Lisa
Zuletzt geändert von Tossi am So, 27. Mär 2011 14:12, insgesamt 1-mal geändert.
Die Schönheit der Dinge lebt in der Seele dessen, der sie betrachtet. (David Hume)
padruga
User
Beiträge: 687
Registriert: Fr, 03. Aug 2007 20:37
Wohnort: Bayern

Beitrag von padruga »

also, in die Zeit dieser Sättel möchte ich nicht zurück
Flüster: Ich auch nicht!!!
Antworten