Klassische Ausbilder und ihre Vor- und Nachteile..Diskussion

Rund um die klassische Reitkunst

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Poetin
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Klassische Ausbilder und ihre Vor- und Nachteile..Diskussion

Beitrag von Poetin »

Hallo ihr Lieben,

da in anderen Threads ja immer wieder das Thema auftaucht, welcher Ausbilder was macht und in welchem "System" warum wie was gemacht wird (und vor persönliche Meinungen kund getan werden), möchte ich gerne einen Thread eröffnen, in dem wir vielleicht ein bisschen (gern über mehrere Seiten) die einzelnen Systeme diskutieren. Ich würde gerne von euch wissen:

was ihr bevorzugt (z.B. Legèrté, akademische RK, Richard Hinrichs, Anja Beran, FN und was euch noch einfällt.)

warum ihr danach arbeitet

was euch vielleicht nicht gefällt und warum.

Ich bin ja erst seit einigen Monaten hier, aber ich muss sagen, dass es sehr interessant ist, so viele verschieden Ansätze zu lesen und hier und da hört man ja auch mal pro und contra heraus. Daraus nimmt man theoretisch viel mit und es regt sehr zum Nachdenken an.
Vielleicht entsteht hier ja eine nette Übersicht und vielleicht hilft es dem ein oder anderen, einen guten Ausbilder oder ein gutes System für sich und sein Pferd zu finden.

Ich bin gespannt.

Liebe Grüße,
Poetin
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Hallo Poetin, klasse Thema!

Ich bevorzuge allerdings die Mischvariante, nämlich das, was ich für das jeweilige Pferd für richtig halte.

Ich bin früher so geritten, wie ich es mal im FN-Stall in den 70er/80er Jahren gelernt habe (also noch immer relativ nah an der deutschen Klassik, ein zu tiefes Einstellen à la Rollkur kannte ich nur als sehr kurze Korrekturmaßnahme für wenige Tritte in den Händen von Profis). Mein großes Idol im Sport war damals Reiner Klimke. Ansonsten natürlich die Wiener Lippizaner, die ich allerdings schon seit den 90er Jahren nicht mehr gesehen habe.

Mein großer Rocki jedoch hat alle Versuche, ihn in der mir bekannten Art auszubilden, mit Beharrlichkeit abgewehrt. Er ist ein sehr großes langes Pferd, vom Körperbau her ein richtiges "Männerpferd". Ich konnte zwar schon immer "Büffel" reiten, aber der Große hat mich gnadenlos verhungern lassen und hat jeden noch so kleinen Reiterfehler sofort bestraft. Wäre er 10-15 cm kleiner, hätte ich diese Erfahrung (für die ich heute dankbar bin) nie gemacht :wink:

Meine (FN)Reitlehrerin hat mich sehr vorsichtig auf den "französischen" Weg gebracht, mit dem Ergebnis, dass ich mich - vor wenigen Jahren für mich noch völlig undenkbar!!! - ernsthaft mit Baucher befasst habe. Da ich in meiner Umgebung nur wenig Anschauungsmaterial habe, sind für mich die Videos von PK der erste "Blickkontakt" mit dieser mir noch immer etwas fremden Welt (ich kann mir das, was ich lese, einfach besser vorstellen, wenn ich es mal gesehen habe, und kann dann darauf aufbauen).

Mit einigen vorsichtig in die "deutsche" Arbeit eingebrachten baucheristischen Ideen funktioniert es nun viel besser als vorher, und Rocki ist so leichtrittig, wie ich es früher nie zu hoffen gewagt hatte. Ich arbeite daran, ihn ingesamt "leicht" zu bekommen, trenne konsequenter als früher die Einwirkungen von Hand und Bein (und nutze dadurch die Simultaneinwirkung viel bewusster) und nutze zuweilen das Halten, um Gleichgewicht und Leichtigkeit wieder herzustellen. Arbeiten im Schritt zum Lösen kann ich mit Rocki vergessen, dazu ist er von seinem Wesen her zu "gemütlich" und insgesamt zu stark für mich. Also löse ich relativ "konventionell deutsch" im Trab und Galopp und nutze Seitengänge im Schritt eher später (wenn er mal auf Touren gekommen ist) oder nur an den Tagen, an denen er "elektrisch" genug dafür ist. Bei Micardo geht das Arbeiten im Schritt immer (er hat immer ziemlich viel Go und ist fast immer sehr elektrisch).

Manche baucheristischen Theorien, wie sie insbesondere Racinet (und auch Karl) erklären, erscheinen mir einleuchtend (Themen Unterkieferlockerung, Widerrist anheben). Mir hat es geholfen, die "französische" Sichtweise kennenzulernen, um meine eigene Reiterei besser zu verstehen und damit letztlich verbessern zu können.

Klar, dass Rocki aufgrund seines Körperbaus noch viele Jahre brauchen wird, um die Lektionen zu lernen, in denen er seine Hinterhand wirklich tief setzen muss. Es fällt ihm schwer, und ich muss viel gründlicher als bei anderen Pferden an der Basis arbeiten und ihn gut auf Neues vorbereiten. Aber wir haben einen Weg gefunden, um ihm Dinge, die er vorher abgelehnt hat, verständlich zu machen.

Für mich war das eine völlig neue Erfahrung, die ein Umdenken in meiner Reiterei mit sich brachte; ein schöner Erfolg und eine Bereicherung/Erweiterung meiner Möglichkeiten.
Das Pferd bestimmt den Weg, nicht des Reiters Ideologie.

Ich denke, dass mir aus dieser Erfahrung heraus auch Nuno Oliveira so sympathisch ist, denn er hat - trotz aller Kritik an seiner Reiterei, berechtigt oder nicht sei dahingestellt - erfolgreich zusammengeführt, was oberflächlich betrachtet nicht zusammengehört (oder nicht zusammengehören darf). Er hat sich pragmatisch aus allen Lehren das herausgesucht, was er für das jeweilige Pferd gebraucht hat. Finde ich vernünftig. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Ich möchte noch hinzufügen, dass man eine solide Basis in einer Schule haben sollte, um erfolgreich über den Teller-Rand hinausschnuppern zu können. Ansonsten gibt's nur Chaos, wenn man zu munter mischt.

Außerdem möchte ich noch auf den Thread "Reiten auf Fillisführung" hinweisen, der sich sehr intensiv mit dem Thema Kandarenführung nach PK beschäftigt. War für mich hochinteressant, weil eine völlig andere Philosophie dahintersteckt als die, die ich bisher kannte.
Viele Grüße
Sabine
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Nakim

Beitrag von Nakim »

das ist ein sehr spannendes Thema. Ich habe bei von Neindorff reiten gelernt als Kind und Jugendliche. Sprich ich bin viele Jahre lang in diesem Geist erzogen worden. Gute Reiterei gabs da täglich. Die Hinrichs waren öfter da. Es war alles sehr sehr streng und reglementiert.

Später bin ich mit Umweg über das Westernreiten wieder beim Ursprung angekommen. Heute verstehe ich vieles was ich früher einfach nur gelernt habe. Ich benutze die Handarbeit von Branderup. Ich habe auch den Onlinereitkurs gemacht. Er half mir vieles zu verstehen. Vor allem warum ich anderst arbeite. Ich verstehe heute den Neindorffschen Weg der "reinen Lehre". Aber ich sehe auch die Schwachpunkte dieses Weges. Deshalb halte ich Oliveira für viel offener als von Neindorff. Da ich heute eine Islandstute ausbilde die sehr speziell ist, mußte ich auch Wege gehen, die viele Fragen aufwarfen. Die Stute geht bei jeder Verspannung sofort Paß. Trab ist nur wenig da. Wir haben 2 Jahre gebraucht um Trab an der Longe zu haben. Ich bin unglaublich stolz, daß wir jetzt im Schritt in die Dehnungshaltung kommen und ich sie um Schritt lösen kann. Sie hat mir jeden Irrweg und jden Fehler sofort gezeigt.
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Guten Morgen,
stimmt, spannendes Thema. Was mich angeht, bin ich (mittlerweile wieder) überzeugter SdAler. Nach diesem Ausbildungssystem habe ich Reiten gelernt, lange Zeit von einem alten Spring- und Vielseitigkeitsreiter, der ebenso gradlinig wie fair den Pferden gegenüber ausbildete. Nach meinem Umzug nach Spanien habe ich hier in die Anfänge der DV reingeschnuppert, dann kam ein Ausflug in die französische Schule dazu. Beides habe ich für mich persönlich wieder verworfen, aus ganz unterschiedlichen Gründen, die hier aber auch echt den Rahmen sprengen würden. Für mich persönlich bietet die SdA einen ebenso logischen wie verlässlichen Rahmen, mit dem sich gerade auch sehr unterschiedliche Pferdetypen ausbilden lassen. Wie man an meinen beiden Jungs sieht; beides PRE und von In- und Exterieur so verschieden wie Sonne und Mond. Meine Akzeptanz der deutschen, klassischen Reitlehre hat aber auch sicher damit zu tun, dass Dinge wie "durchstellen" in meiner reiterlichen Ausbildung einfach nicht vorkamen, ebenso wenig wie die Maxime: Vorn festhalten und hinten spornieren. Wäre ich was jünger und würde heute reiten lernen, stünde ich angesichts dessen, was unter dem Mäntelchen FN heute so geritten wird, mit Sicherheit auch sehr kritisch und ablehnend gegenüber.
Einem Mischen verschiedener Ausbildungssysteme stehe ich extrem kritisch gegenüber – auch wenn ich bekennender Tellerrandgucker bin. Aber hier gilt das Motto: Gucken ja, probieren nicht mehr :lol: Vielfach sind die Systeme für mich schlicht bereits vom Ansatz her unvereinbar.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@nakim: interessant finde ich, dass sich Hinrichs trotz seiner "Neindorff-Vergangenheit" auch Baucher geöffnet hat und offenbar durchaus das Anpiaffieren aus der "Bergziegen-Übung" vorbereitet. Zumindest beschreibt er das Vorgehen in einem seiner Bücher.
Viele Grüße
Sabine
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Nakim

Beitrag von Nakim »

wenn ich es richtig weis, waren Kurt Hinrichs und von Neindorff befreundet. Richard war als junger Mann dabei. Inwieweit er andere Ideen hatte sah man damals nicht. Wobei sein Vater eine unglaubliche Leichtigkeit mit seinen Pferden hatte. Egal ob im Sattel oder an der Hand. Richard wäre mir damals nicht besonders aufgefallen. Auf diesem Level ritten damals viele. Diese Leichtigkeit hatte/hat er nicht.
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

Waren nicht sowohl Hinrichs sen. als auch jun. an der Spanischen resp. in Dunstkreisen dortiger Angestellter?
Meine mich zu erinnern, daß H. jun. über Kontakte seines Vaters zumindest Unterricht von einem "Spanischen" erhalten hat, wenn nicht sogar länger dort war...
Es grüsst ottilie
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

Vielleicht könnten wir hier zum besseren Verständnis für die weniger Eingeweihten einmal die Kürzel mit Erklärung auflisten?
SdA
DV
SdL
und was es noch alles gibt?

Danke!
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ottilie
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Beitrag von ottilie »

SdA - Skala der Ausbildung ("deutsche" Reitweise, Takt-Losgelassenheit-Anlehnung-Schwung-Geraderichtung-Versammlung)
SdL - Schule der Legerete ("französische" Reitweise, bspw.PK - Philippe Karl, Jean Claude Racinet)
DV - Doma Vaquera (spanische Gebrauchsreiterei)
Zuletzt geändert von ottilie am So, 21. Nov 2010 12:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Rosana hat geschrieben:Vielleicht könnten wir hier zum besseren Verständnis für die weniger Eingeweihten einmal die Kürzel mit Erklärung auflisten?
SdA
DV
SdL
und was es noch alles gibt?

Danke!
Tschuldigung, Rosana - Du hast völlig recht.
Was meinen Beitrag angeht, hat Ottilie das aber schon richtig auseinandergefieselt, SdA steht für Skala der Ausbildung und DV für Doma Vaquera, also die spanische Arbeitsreitweise.
Nakim

Beitrag von Nakim »

ottilie hat geschrieben:Waren nicht sowohl Hinrichs sen. als auch jun. an der Spanischen resp. in Dunstkreisen dortiger Angestellter?
Meine mich zu erinnern, daß H. jun. über Kontakte seines Vaters zumindest Unterricht von einem "Spanischen" erhalten hat, wenn nicht sogar länger dort war...
ja das habe ich auch gehört. Und ebenso soll man hier den Wechsel der Methodik in der Spanischen gesehen haben. Schade, daß es von Kurt Hinrichs keine Filme gibt. Ich habe auch kaum Photos aus der Zeit. Damals war es schon teuer Photos zu machen. Und als armer Schüler/Student war ich schon froh guten Unterricht zu kriegen. An mehr war kaum zu denken.
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Beitrag von Mausi »

Das ist ein interessantes Thema, zu dem ich ganze Bücher schreiben könnte.

Als ich mir vo 7 Jahren meine Welsh Cob Stute kaufte, habe ich mir nicht viel Gedanken um verschiedene Reitrichtungen gemacht. Ich wollte eigentlich nur reiten, da ich leider nur Ausbilder aus der FN Richtung hatte, blieb mir keine Wahl. Ich vertraute denen einfach, weil sie es ja immerhin teilweise bis "S" geschafft hatten. Also konnte die Reiterei für mich nicht so falsch sein. Meine Stute belehrte mich aber eins Besseren. Nachdem ein Ausbilder sie einmal 4 Wochen geritten hatte, ging sie unter mir keinen Schritt mehr. Er ritt mit viel Schenkel und Kraft und nach der üblichen Methode :vorne halten und von hinten gegenreiten. Spätestens da, mußte ich mich nach einer Alternative umsehen. Ich kam durch Zufall an einen SdL Ausbilder, bei dem ich das Reiten sozusagen neu erlernen durfte. Es war eine Offenbarung!!! Ich kam nie mehr geschwitzt vom Pferd und im Winter mußte ich mich warm anziehen, um nicht zu frieren und mein Pony ist niemals geschwitzt!

Und, was für mich das größte Wunder ist, dass mein Pony mir ganz deutlich sagte: jetzt endlich verstehe ich, was du von mir willst. Sie sagt mir ganz deutlich, dass sie diese permante Treiberei, diesen ewigen Druck und diese Bevormundung nicht tollerieren mag.

Eine neue Erfahrung war ebenfalls, dass ich mein Pony nicht mit stundenlangem Herumrasen durch die Bahn gymnastiziere, sondern in ruhigen Tempi, mit viel Seitengängen und viel Entspannungsphasen arbeiten kann.

Wenn mein Trainer meine Stute reitet, kommen mir vor Rührung fast die Tränen, weil ich kaum glauben kann, dass das meine Stute ist, die vor einigen Jahren noch polternd und schlürfend durch die Halle lief. Jetzt tanzt sie leichtfüssig, versammelt und zufrieden durch die Halle und ich denke: das ist Reitkunst!

Und ich denke, das ist die Reiterei, die meine Pferde gut gymnastiziert und lange gesund erhalten wird. Für mich sind viele Ansätze von Baucher
sehr logisch und einleuchtend, während ich vieles in meinem "alten Reiterleben" niemals verstanden habe, wozu mein Lieblingssatz zählt: "treib mal von hinten richtig durch"

Je länger ich mich mit dieser leichten Art des Reitens beschäftige und sie versuche zu praktizieren, desto abstoßender empfinde ich das, was ich tagtäglich in den Reitställen sehen muß.
lalala

Beitrag von lalala »

Ich reite "nach Peter" - eine gesunde Mischung aus H. Lammers, G.Festerling, G.Theodorescu, F. Knie, H. Schmidt und eben Peter . :lol: Also ganz klar nach der SdA.

Nach etlichen Irrwegen über bekannte sog. klassisch-barocke Ausbilder sind wir bei ihm angekommen und aus dem gemachten Steiger wurde wieder ein Reitpferd, noch dazu ein schönes.
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

lalala hat geschrieben:Ich reite "nach Peter"
Hihi, das finde ich super! Sowas brauche ich auch. Vielleicht sollte ich sagen ich reite "nach Gustav"...
Aber wer ist eigentlich dieser Peter?
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