Alte Meister - sanft oder grob?

Rund um die klassische Reitkunst

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Max1404
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Beitrag von Max1404 »

horsmän hat geschrieben: - Steinbrecht (Schule vom ständigen Vorwärtsimpuls)
Nein, nein, nein! :boxen:

Es ist richtig, dass er so allgemein interpretiert wird, ich denke nur, dieses Vorurteil hält sich, weil er allgemein nicht gründlich genug gelesen wird!

Zitat (limitierte Auflage, Cadmos Verlag von 1998):
(aus dem Kapitel "Von den Hilfen"): "... Der Reiter soll daher seine Unterschenkel stets in Anlehnung mit dem Pferde haben. Er findet diese von selbst, wenn er dieselben natürlich hängen läßt, und soll daher nicht durch künstliche Stellung der Schenkel die Anlehnung suchen. (...) sanfte Anlehnung der Waden durch den natürlichen Hang des Beines (...)"
Weiter vorne ist die Rede von den Spornhilfen, die "(...) überhaupt eine anregende, elektrisierende Wirkung auf das Pferd ausüben sollen (...)".

Es gibt zahllose andere Beispiele, die - richtig gelesen - keineswegs ein ständiges Vorwärtstreiben oder ein Einzwängen zwischen Hand und Schenkel fordern.

Ich habe leider nur die überarbeitete Fassung, plane aber, mir einen Nachdruck der ursprünglichen Fassung zu besorgen, um die Unterschiede sehen zu können - wenn ich mal viel Zeit zum Studieren habe. Im Antiquariat ist's mir definitiv zu teuer :cry:
Viele Grüße
Sabine
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padruga
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Beitrag von padruga »

Ich habe leider nur die überarbeitete Fassung, plane aber, mir einen Nachdruck der ursprünglichen Fassung zu besorgen, um die Unterschiede sehen zu können
Gibt es denn überhaupt eine Fassung, die nicht von Plinzner bearbeitet wurde?
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Nein, auch da war Plinzner der Herausgeber. Aber es geht mir ja um die neueren Überarbeitungen im Vergleich zur Ursprungsfassung.
Viele Grüße
Sabine
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Lou mit Lucy
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Beitrag von Lou mit Lucy »

Max:
Mit dem "ständigen Vorwärtsimpuls" war von horsmän ganz bestimmt der Gedanke im Kopf des Pferdes gemeint, das ständige Nachvornestreben des Pferdes. Also das, was Steinbrecht auch gemeint hat mit dem allgemein gerne als Dauertreiben verstandenen "Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade".

LG, Lou
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

Nichts wird so sehr missverstanden wie dieser berühmte Ausspruch! :x
Steinbrecht wird leider öfters zitiert als wirklich gelesen.

@ Lou: wenn der ständige Vorwärtsimpuls so gemeint war wie Du beschrieben hast, also der Vorwärtsgedanke im Kopf des Pferdes, dann bin ich bei Dir. Allerdings fordern das alle Reitmeister, und es ist keine spezielle Schule an sich. Steinbrecht verkörpert die klassische deutsche Schule, die sich von der klassischen französischen Versailler Schule nicht wesentlich unterscheidet.

Ich sehe den grundlegenden Unterschied zwischen Baucher und Steinbrecht so, dass Steinbrecht das perfekte Gleichgewicht durch das Arbeiten in der Bewegung und mit steigendem Ausbildungsstand zu erreichen suchte. Im Sinne der Klassiker, z. B. Gueriniere.

Für Baucher hingegen war es Grundvoraussetzung für das Reiten an sich. Daher versuchte er, dieses Gleichgewicht zunächst im Halten und Schritt herzustellen, um es erst später auf die dynamischen Gangarten zu übertragen.

Bei Steinbrecht war dieses Gleichgewicht also das Ziel, für Baucher stand es am Anfang.
Viele Grüße
Sabine
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Moins,
die Missverständnisse um das legendäre Vorwärts-Zitat von Steinbrecht würden sich schnell in nichts auflösen, wenn mal komplett zitiert würde. Es heisst nämlich im "Gymnasium des Pferdes weiter":
„Unter dem Vorwärtstreiben verstehe ich nicht ein Vorwärtstreiben des Pferdes in möglichst eiligen und gestreckten Gangarten, sondern vielmehr die Sorge des Reiters, bei allen Übungen die Schubkraft der Hinterhand in Tätigkeit zu erhalten, dergestalt, daß nicht nur bei den Lektionen auf der Stelle, sondern sogar bei Rückwärtsbewegungen das Vorwärts,
nämlich das Bestreben, die Last vorwärts zu bewegen, in Wirksamkeit bleibt.”

Und der Gedanke des Vorwärts ist nichts, was nur der Steinbrechschen Schule vorbehalten bleibt – ich erinnere in diesem Zusammenhang mal Forderung, das Pferd müsse z.B. in der Piaffe stets und ständig im Vorwärtsgedanken verbleiben – den findet man auch in der französischen Reitlehre.
Lou mit Lucy
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Beitrag von Lou mit Lucy »

Natürlich ist das nicht nur steinbrecht'sche Schule, das hat doch niemand behauptet. Trotzdem spielt das Vorwärts bei Steinbrecht eine größere Rolle als zB bei Baucher.

Diese drei Aspekte stellen nunmal in unterschiedlicher Gewichtung verschiedene Ansätze dar, weil die Prioritäten sich verschieben und dementsprechend auch die Herangehensweisen (zB Gleichgewicht als Bedingung für jede Bewegung vs. Bewegung kann Gleichgewicht schaffen). Und diesen drei alten Herren kann man da (grundsätzlich zumindest) eben jeweils einen "Hauptaspekt" bzw eine Herangehensweise zuordnen. Was anderes war doch gar nicht gemeint?

LG, Lou
horsman
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Beitrag von horsman »

oh, da könnt ihr sicher sein, dass wenn ich Steinbrechts "vorwärts" anführe, dass ich damit nicht das landläufige Vorwärtsgeschrubbe meine, was man damit heute leider oft verbindet und wofür sich Steinbrecht wohl im Grabe umdrehen würde.

Ich habe nämlich auch den nächsten Satz verstanden, da wo er beschreibt was er meint. Cubano hat ihn ja auch schon zitiert. Dort spricht er auch vom vorwärts im halten oder sogar im rückwärts. Der (mir auch wichtige) Vorwärtsimpuls von Steinbrecht, weshalb dies Werk eben sicher auch seine ewige Daseinsberechtigung hat, ist ein Impuls der eher eine Sache im Kopf des Pferdes ist und sich in einer flüssigen, fließenden Bewegung niederschlägt und das gerade und vor allem in den langsamen Gangmaßen.

Und ich will auch diese Drei nicht gegen einander stellen, sondern sie haben auch sehr viel gemeinsame Schnittmenge, trotz mancher aufgeführten Differenzen.
First a relaxed mind, then a relaxed horse.
moreno
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Beitrag von moreno »

Waren die Alten grob oder sanft?

Gute Frage! Wir waren ja schließlich nicht dabei. Auch die älteren Semester, so wie ich, waren zu deren Zeiten nicht einmal im Planungsstadium.

Also können wir nur beurteilen, was daraus geworden ist, oder wie sich ihre Ideen gehalten und entwickelt haben.

Nehmen wir mal eine Idee, die mir einen wesentlichen Unterschied zwischen den Meistern aufzeigt: Aus Steinbrechts "Vorwärts", das sicher in horsmäns Sinn zu unterpretieren ist, wurde: Treiben, treiben, treiben als mittel für und gegen Alles, was dem Pferd allerdings unterstellt, von einem Schritt, Tritt, Sprung zum nächsten nicht mehr zu wissen, was der Reiter gefordert hat. Sonst müsste dieser ja nicht treiben.

Auf der anderen Seite das "Fordern und machen lassen". Die Hilfen einstellen, wenn das Pferd die Anfrage verstanden hat, was das Pferd durchaus als Lebewesen sieht und ihm ein Gedächtnis konzidiert und was mit den Tierpsychologen übereinstimmt, die Pferden ein ganz außerordentliches Gedächtnis zuordnen.

Was aber alles keine Antwort darauf gibt, ob die Alten grob oder sanft waren. Nehmen wir mal an, dass sie so menschlich wie wir auch waren und sicherlich auch ihre Fehler, auch grobe, gemacht haben.

Baucher hat sich ein Leben lang entwickelt, hat probiert, überlegt und gesucht und kam schließlich beim "Pantoffelreiten" und der Trense raus.

Von Steinbrecht weiß ich es nicht, nehme jedoch an, daß auch er nicht gleich der große Meister war, sondern sich bewusst und kritisch entwickelt hat.

Die Ausgangsfrage werden wir wohl nicht beantworten können. Ist auch nicht so spannend. Spannend sollte sein, ob wir selber eher sanft und nicht grob sind. Ich, für meinen Teil, bin mit dieser Fragestellung voll und nicht immer glücklich ausgelastet.

Nachdenkliche Grüße

Dörr
Reiten sie ihr Pferd glücklich. (N. Oliveira)
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Mela
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Beitrag von Mela »

@moreno
vielen Dank für den Kommentar am Ende des Beitrages.

Ich fürchte es gibt wirklich absolut niemanden, der nicht das eine oder andere Mal gröber war, als geplant, oder einfach keine andere Möglichkeit gesehen hat. Auch allen sogenannten Meistern ist das schon passiert, da bin ich absolut davon überzeugt, der große Untschied für mich ist nur ob das mal passiert, oder ob das Teil einer Methode ist. Alle sind menschlich, da braucht nur jeder vor seiner eignen Tür kehren. Die Meister sind auch nicht so geboren und hatten sicher im Laufe ihrer Entwicklung viele Fehler gemacht, aber nur wenn man aktzeptiert, daß man im Laufe einens Lernprozesses auch Fehler macht, ist Weiterenwicklung möglich. Oliveira hat z.B. in seinen Büchern einige Male erwähnt, viele Fehler gemacht zuhaben und auch wie traurig er manchmal deswegen ist.
Liebe Grüße
Mela

Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Antoine de Saint-Exupéry
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emproada
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Beitrag von emproada »

Wenn Herr Oliveira so sanft zu seinen Pferden gewesen wäre, dann wundert es mich immer warum in seinem ganzen Dunstkreis auch recht herzhaft zugefasst wird. Dafür kann er natürlich nichts mehr, aber da alle noch bei ihm gelernt haben macht es mich doch immer recht stutzig.
Viele Grüße Tina
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Ein Freund von mir ist als junger Mann einige Jahre bei NO geritten und sagt, dass der absolut nicht zimperlich war und unter anderem z.B. junge Pferde erstmal vorwärts geritten hat, dass denen Hören und Sehen verging und die danach niemals in Versuchung waren, hinters Bein zu kommen. Er selbst reitet auch durchaus forsch, wenn es angemessen ist, nur dass er halt äußerst genau weiß, was er tut, was er wann vom Pferd verlangen kann und wann er auch mal etwas bedingungslos durchsetzen muss. Was dann durchaus auf Kursen vom Besitzer des betroffenen Pferdes als "brutal" wahrgenommen werden kann. Ist halt auch viel Ansichtssache.
Fliehendes Pferd
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Beitrag von Fliehendes Pferd »

Ihr glaubt doch nicht im Ernst, irgendeiner der sogenannten "Alten Meister" sei sanft mit Pferden umgegangen ?
esge
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Beitrag von esge »

moreno hat geschrieben:Waren die Alten grob oder sanft?

Die Ausgangsfrage werden wir wohl nicht beantworten können. Ist auch nicht so spannend. Spannend sollte sein, ob wir selber eher sanft und nicht grob sind. Ich, für meinen Teil, bin mit dieser Fragestellung voll und nicht immer glücklich ausgelastet.

Dörr
DAS ist in der Tat die einzig entscheidende Frage!


Nein, ich glaube nicht, dass die alten (oder jüngeren) Meister "sanft" mit den pferden waren. Im besten Falle waren sie gerecht und angemessen in ihrem Handeln. Im besten Falle haben sie versucht, mehr Grips als Bizeps (respektive Zwangsmittel) anzuwenden.
Im besten Falle führten grobe Einwirkungen immer und möglichst schnell dazu, wieder fein werden zu können.
Niemand - behaupte ich - kann ein Pferd bis in höchste Lektionen ausbilden und immer nur streicheln. Selbst beim arbeitswilligsten Pferd gibt es Momente, wo man deutlicher werden muss. Entscheidend für meinen Geschmack ist, ob "deutlich" so effektiv ist, dass der Reiter anschließend SOFORT wieder fein werden kann - und es auch tut.

Nach 30 Jahren Reiterei meine ich immer wieder von den Pferden das Feedback zu kriegen, dass sie damit sehr gut zurechtkommen. Das ist nämlich pferdisch: Eine Warnung, bei Missachtung Rambazamba!!!!!, danach wieder Friede.
Womit Pferde nicht klarkommen ist Dauergenörgel. Menschen übrigens auch nicht.

Keine Ahnung, ob die "Alten" das so handhabten. Aber ich lese die meisten ihrer Schriften dahingehend, dass es so zumindest angestrebt war. Steinbrechts Kapitel über den Gebrauch der Sporen ist ein gutes Beispiel dafür.
Loslassen hilft
moreno
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Beitrag von moreno »

Hallo,

esge:" ............Rambazamba!!!!!, danach wieder Friede."

Das ist es. Sofort nach einem "Krieg" muß bedingungslos "Frieden" eingehalten werden. Wenn ein Krieg denn mal sein muß, führe man ihn eher schnell, bedingungslos, vielleicht hart. Dann ist aber absolut wieder Ruhe gefordert. Man sollte möglichst rasch eine Situation herbeiführen, die dem Reiter ein Loben gestattet. Wie esge sagt: kein Nörgeln!
Pferde verstehen kein: Na warte,,,,versuch das nochmal.

Das wussten sicher auch die "Alten"!

Gruß

Dörr
Reiten sie ihr Pferd glücklich. (N. Oliveira)
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