Unaufmerksames Pferd

Rund um die klassische Reitkunst

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Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Ich arbeite mein Fahrpferd vorm Wagen nur im Gelände (mit Schwerpunkt Dressur). Ehrlich gesagt finde ich das gar nicht so schwer! Klar muss man sich überlegen wie man die Arbeit strukturiert und welche Wege sich wofür eignen, aber letzdenlich muss hier das Rad nicht neu erfunden werden. Gymnastizierung ist nicht abhängig davon WO ich das Pferd arbeite, sondern WIE ich das umsetze.
Das einzige was mir draußen manchmal wirklich fehlt, ist die Möglichkeit so lang wie nötig in einer Wendung zu bleiben. Dafür muss man halt suchen bzw. Möglichkeiten nutzen die sich unterwegs bieten: eine Waldlichtung, eine ungenutzte Wiese, für eine Volte reicht manchmal eine Wegkreuzung und manchmal biege ich auch 10mal links ab/ fahre im Kreis weil ich Linkswendungen brauche um irgendetwas zu erarbeiten. Und spätestens nach der Erarbeitung der Seitengänge hat man zahlreiche gymnastizierende Möglichkeiten auf jeden x-beliebigen Feldweg: schultervorartiges vergrößern vom linken zum rechten Wegrand oder im Travers andersrum. Es ist nahezu alles möglich, wenn man es kann. Das Problem liegt hier meistens nicht an den Rahmenbedingungen, sondern eher an der mangelnden Ausbildung des Reiters.

Gruß
Lilith79
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Beitrag von Lilith79 »

Naja, wenn es keine Nachteile geben würde, Pferde ausschließlich (!) im Gelände grundauszubilden würden viele namhafte Ausbilder der Vergangenheit und Jetzt-Zeit sicherlich auch ihre Pferde ausschließlich im Gelände ausbilden. Tun sie aber nicht :wink: Warum?

Man muss ja schon mal prinzipiell komplett ohne korrekte Bahnfiguren auskommen, außer man hat eine Reitwiese mit korrekten Maßen.
Dann ist man vom Wetter abhängig, vor allem im Winter.
Ich weiß nicht, was ihr für Bodengegebenheiten habt, aber hier sind im Winter die Wege in der Regel entweder gefroren und rutschig. Oder wenn nicht gefroren, dann matschig und rutschig. Und wenn nicht, dann steinig und geschottert. Alles nichts was beim Pferd ein zwangloses Gehen oder ein frisches Vorwärts begünstigt. Bei uns war im Winter nie kontinuierliche Arbeit möglich in den letzten Jahren. Und im Sommer war das Kontrastprogramm dann meist "steinhart und vertrocknet" was die Böden angeht. Sogar die Wiesenwege waren letzten Sommer hier mit Asphalt vergleichbar.

Ich habe jedenfalls seit ca. August zum ersten Mal seit 5 Jahren wieder eine Reithalle zur Verfügung und seitdem haben mein Pony und ich sich mehr verbessert als in den letzten 4 einhalb Jahren davor.

Und ich reite definitiv nicht plötzlich sprunghaft besser :wink:
Aber man kann endlich mal kontinuierlich 3-4x die Woche konstant mit dem Pferd arbeiten.

Und man hat die Möglichkeit in der Bahn an der Rittigkeit zu arbeiten und das dort Erarbeitete dann schrittweise mit ins Gelände zu übertragen, was ich deutlich einfacher finde als alles im Gelände zu erarbeiten.
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Ja klar, natürlich hat eine Reithalle bzw. ein gut befestigter Reitplatz eindeutige Vorzüge! Natürlich ist es praktisch jederzeit- unabhängig von Wetter und Boden maximal effektiv arbeiten zu können.

Es ging mir mehr darum, dass die Möglichkeiten im Gelände von vielen unterschätzt werden bzw. das nicht Vorhandenseins einer Reitbahn vorgeschoben wird um das Unterlassen von Gymnastizierung und/ oder Ausbildung zu erklären. Klar kann man draußen nicht immer "wie man will" oder "wie es gerade sinnvoll wäre", aber man kann die vorhandenen Möglichkeiten bestmöglich nutzen.

Wir haben natürlich auch großes Glück in einem Gebiet zu wohnen in denen wir ein sehr vielfältiges und weitläufiges Gelände zur Verfügung haben, ich weiß auch dass das nicht überall so ist...
Wiebs

Beitrag von Wiebs »

Hallo Wolke,

der Weg bei meiner Stute (12jährig, seit zwei Jahren meine; ebenfalls charakterstark (ohne das negativ zu meinen!) und sehr sensibel) geht ganz stark über die Arbeit an mir selbst, nicht am Pferd.
Mein Pferd darf im Prinzip nicht merken, dass ich gerade entscheide, denn in solchen Situationen (Anspannung/Angst im Gelände) geht sie dann erst recht dagegen - im Zweifelsfall passt sie auf sich selbst auf.
...obwohl wir inzwischen ein wirklich gutes Vertrauensverhältnis haben...

Was ich mit 'der Arbeit an mir selbst' meine:
Im Sattel mache ich gerade wahnsinnige Fortschritte durch die Arbeit nach der Wanlessmethode (Ride with your mind) und bekomme ohne 'Manipulation am Pferd' (also das Holen der Aufmerksamkeit über den Zügel oder das Bein o.ä.) ein wesentlich ruhigeres, aufmerksameres Pferd unter mir - und somit überhaupt erstmal zu einem Zustand, in dem man im Gelände auch an Dressur denken könnte.
Sonst ist es eher - so lange sie nicht gerade auch Lust auf das hat, was ich möchte, bzw. nicht aktiv etwas anderes möchte - Schadensbegrenzung.

Am Boden helfen mir auch Bilder aus o.g. reiterlichem Ansatz; die Vorstellung, neben einem rumhopsenden Pferd 'Bleifüße' zu haben, beim Ausatmen aus den Beinen in den Boden auszuatmen, oder auch das Bild, sich mit dem Pferd in so einem Ball (http://bc02.rp-online.de/polopoly_fs/gr ... 736432.jpg) zu befinden und durch Muskelkraft im Rumpf/Bauch die 'Wand' des Balls zu verstärken oder auch nach außen zu drücken - gegen das, was von außen ablenken kann (Geräusche, sich wiegende Grashalme, ... die üblichen Monster eben...).

Auf jeden Fall habe ich mit dieser Herangehensweise das Pferd 'bei mir' und kann dann auch anfangen, sie zu stellen oder gymnastizierende Elemente dazuzunehmen.
Vorher würde das immer wieder zuerst zu Widerstand führen.

Als ein erlerntes Element habe ich noch das Kopf Tief erclickert, was aber erst hilfreich wurde, als es so verinnerlicht war, dass sie reflexartig den Kopf senkte (und erst danach dazu kam, nachzudenken, was sie gerade getan hat :lol: ).
Selbst dann aber musste/muss ich es manchmal vier-, fünfmal hintereinander abfragen, ehe sie wieder 'da' ist.

Mit dem Pferd einer Bekannten, die zwar körperlich etwas anders reagiert als meine, charakterlich aber sehr ähnlich ist, hat diese Herangehensweise auch auf Anhieb unglaublich gut funktioniert.
Vielleicht hilft es dir/euch ja :)
grisu
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Beitrag von grisu »

Wiebs hat geschrieben:Hallo Wolke,

... ohne 'Manipulation am Pferd' (also das Holen der Aufmerksamkeit über den Zügel oder das Bein o.ä.) ein wesentlich ruhigeres, aufmerksameres Pferd unter mir - und somit überhaupt erstmal zu einem Zustand, in dem man im Gelände auch an Dressur denken könnte.

...

Als ein erlerntes Element habe ich noch das Kopf Tief erclickert, was aber erst hilfreich wurde, als es so verinnerlicht war, dass sie reflexartig den Kopf senkte (und erst danach dazu kam, nachzudenken, was sie gerade getan hat :lol: ).
Selbst dann aber musste/muss ich es manchmal vier-, fünfmal hintereinander abfragen, ehe sie wieder 'da' ist.
...
Hier verstehe ich etwas nicht - die Einwirkung mit dem Schenkel, die das Pferd dazu bringt, an die Hilfen zu kommen, ist deiner Meinung nach "Manipulation"? Also ich würde das jetzt mal als "Reiten" und "Einwirkung" bezeichnen.
Wenn mein Pferd so gut ausgebildet ist, dass es aufgrund von reiterlichen Hilfen vertrauensvoll an die Hand tritt, habe ich die beschriebenen Probleme nämlich nur noch im überschaubaren Rahmen. Finde ich persönlich ziemlich erstrebenswert und ein Zeichen einer guten Ausbildung, die dem Pferd Sicherheit auch in schwierigen Situationen gibt.

Das Kopfsenken auf Klickern findest du hingegen gut - auch wenns nicht wirklich klappt. Das würde ich nun wieder als "Manipulation" und andressiertes Verhalten bezeichnen.
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Ne, Grisu, ich glaube, das hast jetzt falsch verstanden. Bei Waneless geht es sehr wesentlich um die "innere Haltung" des Reiters, die sich dann im Körper widerspiegelt. Ähnlichkeit wie bei Sally Swift, die ja auch mit dem Visualisieren von Gefühlen den Körper beeinflusst.
Mit einer inneren Haltung des " in sich gesammelt seins" , konzentriert man das Pferd allein damit schon auf sich, ganz ohne /noch VOR der eigentlichen Ansprache.
Es geht im übertragenen Sinn darum, für Stille und Aufmerksamkeit im Saal zu sorgen, damit die Worte und Pointen ( Einwirkung mit den eigentlichen Hilfen) der Rede auch Gehör finden.

Ich denke, das meinte Wiebs- korrigieren mich, Wiebs, wenn ich irre.
sapiko
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Unaufmerksames Pferd

Beitrag von sapiko »

spitzenpost, saltandpepper, danke! LG sapiko

saltandpepper hat geschrieben:Wenn es erlaubt ist ...
ich persönlich bin kein Freund von "drüber reiten" und auch nicht davon, das Pferd "auszutricksen". Für mich ist das keine Frage von Dominanz, sondern davon, das Pferd entsprechend zu schulen.
Und zwar so, dass es das Stress-frei - und damit leicht- lernt - und sich eben nicht nur "in sein Schicksal findet".

Das mag erst mal länger dauern, aber im Endergebnis erhält man ein Pferd, das sich seiner sicher ist und damit souverän !
Diese Pferde werden echte Verlasspferde, denn sie benötigen später niemanden mehr, der sie führt, sondern sind selbst wer.

Die Rittigkeit, kommt aus der Ausbildung, die Selbstsicherheit kann man nur per Förderung, nicht aber über autoritär erreichen.

Natürlich gibt es "Mischformen", da kann man dann durchaus mal sagen :
"Jetzt pass mal hier bei mir auf und geh mal ordentlich weiter!" ,
aber bei einem Jungpferd, ist für mich diese Unsicherheit schlicht ein Zeichen von Überforderung.

Einen Hysteriker zu dominieren, halte ich sogar für gefährlich, denn sie funktionieren nur so lange, wie der Dominierende ( Reiter) stark ist und in Momenten der Schwäche hat man gar nichts mehr !

Mit Achtsamkeit und Respekt das Pferd allmählich dahingehend zu fördern, dass es die eigenen Grenzen überschreiten kann, hingegen, schafft ein tiefes, von Vertrauen geprägtes Verhältnis, das die Schwäche des anderen trägt.
Wiebs

Beitrag von Wiebs »

Genau so war es gemeint:
saltandpepper hat geschrieben: konzentriert man das Pferd allein damit schon auf sich, ganz ohne /noch VOR der eigentlichen Ansprache.
Natürlich nutze ich auch meinen Schenkel zum Reiten, Grisu, aber erstmal brauche ich - zumindest bei diesem Pferd - die Aufmerksamkeit, damit ich auch die erwünschte Wirkung bekomme.
Andernfalls geht sie aus Prinzip auch erstmal dagegen, bevor sie zuhört, was ich möchte.

Wir sind noch nicht sonderlich weit und mit fortgeschrittener Ausbildung sollte dann auch die Einwirkung über Schenkel etc. sofort funktionieren.
Momentan spielen sich die entscheidenden Dinge aber vorrangig noch auf mentaler Ebene ab (also beim Pferd - wesentlicher Bestandteil der Wanlessgeschichte ist eine relativ hohe Körperspannung des Reiters, die ich so einfach noch nicht habe).
Wolke

Beitrag von Wolke »

Ich möchte euch gern den aktuellen Stand der Dinge wissen lassen. :D
Um es kurz zu sagen: Mein Pferd ist phänomenal und ist momentan gerade einfach nur eine Riesenfreude zu reiten - auch im Gelände!

Was dazu geführt hat, kann ich nicht ganz genau sagen, es sind wohl mehrere Faktoren. Da ist einerseits meine neue RB, die zwar eigentlich noch wirklich Reitanfängerin ist, aber sie tut meinem Pferd mit ihrer ruhigen Art offensichtlich gut.

Andererseits habe ich mich bemüht, alles etwas lockerer zu sehen, bin nun längere Zeit immer etwa die gleiche Runde, die für sie einigermassen OK ist, alleine geritten und habe die ihr unheimlichen Regionen nur in Begleitung (Mitreiter oder mein Mann zu Fuss) in Angriff genommen.

Und zu guter Letzt habe ich fast eher per Zufall eine Ledertrense getestet und damit geht sie nun sehr viel lockerer als mit dem bisherigen Gebiss. Auf einmal streckt sie sich auch im Trab schön ans Gebiss heran und - was ich vor zwei Wochen noch nicht zu träumen gewagt hätte - sie trabt auch im Gelände vorwärts-abwärts und schaut nur ab und zu noch was in der Umgebung an. Wenn sie zwischendurch etwas zu gucken hat, kann ich sie nun mit einseitigem Schenkeldruck leicht zum nachgeben und entspannen bringen.

Das i-Tüpfchelchen ist, dass meine RL heute beim Unterricht im Gelände herausgefunden hat, was mein Pferd immer zum Schweifeinklemmen gebracht hat: Wenn ich darauf achte, mit den Schultern locker in der Bewegung mitzuschwingen, läuft auch mein Pferd komplett locker und beginnt zu schwingen. :D
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bea
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Beitrag von bea »

Das klingt super! :D Freut mich sehr für euch!
Reiten heisst: sitzen - fühlen - denken.
esge
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Beitrag von esge »

Viele Puzzleteilchen fügen sich zusammen. Das hört sich ganz prima an!
Loslassen hilft
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

oh, das sind ja gute Neuigkeiten !
Das freut mich jetzt für euch !!! :D
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