Sperrriemen Pro und Contra

Rund um die klassische Reitkunst

Moderatoren: Julia, ninischi, Janina

Benutzeravatar
Fortissimo
User
Beiträge: 727
Registriert: Di, 19. Jun 2012 14:37
Wohnort: Vreden

Beitrag von Fortissimo »

Die Aussage von Herrn Hess ist wirklich totaler Blödsinn.

Gegen richtig verschnallte Sperr-Riemen habe ich jedoch nichts einzuwenden, selbst wenn ich sie nicht verwende.
oecone
User
Beiträge: 170
Registriert: Mo, 31. Mär 2014 16:28
Wohnort: Pfalz

Beitrag von oecone »

In meinen Kindertagen hieß es, dass der Sperrriemen dazu dient, ein junges Pferd daran zu hindern, aus Spieltrieb die Zunge über das Gebiss zu legen.
In der Konsequenz hieß das, dass die älteren Pferde ohne Riemen geritten wurden.

Im Nachhinein hätte mein Pferd nie einen Sperriemen benötigt. Ich denke, dass es aber gut ist die Möglichkeit zu haben. So kann man den Schlingeln, die mit der Zunge spielen, das erst mal abgewöhnen.

Und Danke für den Beitrag von @Colloid. Die Erklärung pro Nasenriemen war mir in der Verbindung neu.

Grüßle
oecone
grisu
User
Beiträge: 747
Registriert: Di, 12. Jun 2007 12:02
Wohnort: S-H

Beitrag von grisu »

Fortissimo hat geschrieben:Die Aussage von Herrn Hess ist wirklich totaler Blödsinn.

Gegen richtig verschnallte Sperr-Riemen habe ich jedoch nichts einzuwenden, selbst wenn ich sie nicht verwende.
Was ich manchmal gerne hätte, ist das grenzenlose Selbstvertrauen, aufgrund eines aus dem Zusammenhang gerissenen Satzes etwas als "totalen Blödsinn" abzutun. Einfach mal so, ohne nachzufragen, wie jemand, der ja nun auch schon eine Weile mit Pferden zu tun hat, auf so etwas kommt.

Man mag zu Herrn Hess stehen, wie man will. Ich kenne diese Aussage allerdings gar nicht von ihm, sondern von Martin Plewa, dem ich durchaus Pferdeverstand und einen großen Erfahrungsschatz zubillige. Seine Argumentation ist:

Ein top ausgebildetes Pferd kann auch ohne Nasenriemen gehen. Aber auf dem Weg zur Ausbildung hilft der Nasenriemen, weil das Pferd seinen Unterkiefer sozusagen daran anlehnen kann. Fehlt der Riemen, klappt der Unterkiefer nach hinten weg. Das Pferd muss den Unterkiefer selbst halten, dadurch wird das Kiefergelenk noch mehr belastet und die Kaumuskulatur verkrampft. Keine gute Voraussetzung für die Losgelassenheit.

(nachzulesen hier S. 16, 1. Spalte; 1. Absatz: http://www.reiterrevue.de/dl/2/5/1/4/2/ ... f-0107.pdf)

Ob das nun so ist oder nicht, sei dahingestellt. Aber man könnte mal darüber nachdenken und nicht einfach alles als "Blödsinn" abqualifizieren ...
Rapunzel
User
Beiträge: 2337
Registriert: Mo, 09. Okt 2006 14:22

Beitrag von Rapunzel »

Phanja: Im Naturzustand hängen im/am Unterkiefer des Pferdes doch eher selten Zügel und ein Gebiss, an das es eine stetige Anlehnung suchen soll. Das Argument ist ungefähr so sinnig wie die gern genommene Aussage, dass in der freien Wildbahn ja auch niemand den Wallachen den Schlauch säubert und man das ergo nicht machen muss.
esge
User
Beiträge: 1869
Registriert: Mi, 03. Jan 2007 12:29
Wohnort: Taunus

Beitrag von esge »

Das mag so sein.
Aber ich halte es für erheblich wichtiger, sich erst mal um die zigtausend VIEL ZU ENG verschnallten Reithalfter zu kümmern, ehe man eine pseudowissenschaftliche Kampagne gegen "ohne Reithalfter" startet.

Und bitte schmeißt nicht so wahllos die Begriffe Sperrriemen und Reithalfter durcheinander, das irritiert. Der Sperrriemen ist der - in meinen Augen nun wirklich vollkommen überflüssige - zweite Riemen am kombinierten Reithalfter.
Ein Reithalfter an sich kann ein englisches, hannoversches, kombiniertes oder mexikanisches sein - moderne Spielarten fantasievoller Kreateure mal außen vor gelassen.
Meines unmaßgeblichen Erachtens nach braucht die Pferdewelt außer dem englischen und dem hannoverschen Reithalfter kein weiteres aber natürlich kriegt man auf diesen simplen Varianten nicht so viel Strass und Lack unter wie auf den anderen mit mehr Riemen...
Loslassen hilft
Phanja

Beitrag von Phanja »

Rapunzel hat geschrieben:Phanja: Im Naturzustand hängen im/am Unterkiefer des Pferdes doch eher selten Zügel und ein Gebiss, an das es eine stetige Anlehnung suchen soll. Das Argument ist ungefähr so sinnig wie die gern genommene Aussage, dass in der freien Wildbahn ja auch niemand den Wallachen den Schlauch säubert und man das ergo nicht machen muss.
Das mag schon sein - wenn aber "Anlehnung" mit sich bringt, dass das Pferd mit dem Unterkiefer gegenhalten muss, weil er sonst nach hinten klappt, dann ist das auch keine Anlehnung im klassischen Sinne, sondern Tauziehen zwischen Reiterhand und Pferdeunterkiefer.

Schon klar, dass dann der Sperrriemen für die Kosmetik toll ist.
Mir erschließt sich nicht, wie es einem Lebewesen in irgendeiner Form helfen soll, ihm den Mund zuzubinden. *schulterzuck*
Für mich sind das alles Ausreden und Schönheitsargumente für etwas, dass sich für mein Gefühl einfach nicht gehört.
Mag sein, dass ich da eine extreme Ansicht vertrete - aber ich vertrete eben das, was sich für mich als richtig anfühlt.
Keins meiner eigenen Pferde und keins meiner Schülerpferde brauchte bisher einen Sperrriemen, um den Unterkiefer zu entspannen und losgelassen gehen zu können.
Benutzeravatar
Spielnase
User
Beiträge: 200
Registriert: Mi, 15. Aug 2012 12:23
Wohnort: Hamburg

Beitrag von Spielnase »

Phanja:
:love:
Rapunzel
User
Beiträge: 2337
Registriert: Mo, 09. Okt 2006 14:22

Beitrag von Rapunzel »

Genau, die Unterscheidung Sperriemen/Nasenriemen ist echt wichtig, Den Sperriemen halte ich auch für unnötig, aber sicherlich auch nicht "schädlich", wenn er richtig verschnallt ist.
Den "normalen" Nasenriemen hingegen finde ich fürs Pferd durchaus hilfreich. Denn auch wenn die Anlehnung leicht ist, muss das Pferd dennoch eine gewissen Muskelkraft aufwenden, um den Kiefer zu "halten", was zu Verspannungen und Gegenreaktionen führen kann. Deshalb halte ich es hier wie allgemein für das Schlauste, es einfach mal mit verschiedenen Varianten zu probieren und aufs Pferd zu hören, was ihm am angenehmsten scheint. Da kann man manchmal Überraschungen erleben. Mein eines Pferd zB mag trotz kleinem Maul eindeutig SEHR dicke Gebisse lieber als dünne, mein anderes geht mit einem hannoverschen Reithalfter am besten, wohl weil er es hasst, wenn das englische ihm die Innenseite der Backen an die Zähne drückt (und ich verschnalle das sehr locker). Ganz ohne geht er nur am Anfang einer Reiteinheit gut und wird dann zunehmend mäkelig, was für mich auch für die Kiefer-Abstütz-Argumentation spricht.

Dass hier niemand irgendwas zuschnürt, immer vorausgesetzt.
Benutzeravatar
Finchen
User
Beiträge: 8526
Registriert: Di, 19. Apr 2011 22:30
Wohnort: im Norden zwischen HB und HH

Beitrag von Finchen »

Phanja hat geschrieben:[Mir erschließt sich nicht, wie es einem Lebewesen in irgendeiner Form helfen soll, ihm den Mund zuzubinden. *schulterzuck*
.
Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wieso ein Sperrriemen sinnvoll sein könnte, außer um ein wirkliches Sperren des Pferdes zu verhindern.

Aber ein richtig verschnallter Sperrriemen schnürt doch ein Maul nicht zu?

Ein Sperrhalfter 2 Fingerbreite unter dem Jochbein und so locker, dass 2 Finger drunter passen (hochkant!) lässt ein Pferde noch lässig einen Apfel fressen - weiter wird das Maul bei der Reiterei doch auch sonst nicht geöffnet.


Seltsam finde ich das Argument "Unterkiefer ablegen" - das Pferd soll doch mit tätigem Maul nachgiebig eine Anlehnung annehmen (können). Wenn der Unterkiefer in leicht geöffneter Position auf dem Sperrriemen abgelegt wäre, dann wäre das auch starr ... oder habe ich einen Denkfehler? Klingt für mich jedenfalls irgendwie ... passiv, nicht gut...
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Vielleicht könnte man die ganze Diskussion neutral auf unterschiedliche Theorien beziehen, dann wäre es nicht so persönlich und niemand müsste sich angegriffen oder zum privaten Feldzug berufen fühlen.

Die Theorie pro Sperriemen -und über den wurde hier doch vor allem gestritten, oder irre ich ?, zumindest habe ich keine direkte Argumentation gegen den englischen Nasenriemen herausgelesen... - besagt, dass dieser einen Kompromisss darstellt, um die Wirkung des Hannoverschen Reithalfters auch bei Pferden nutzen zu können, deren Anatomie die Nutzung eines solchen aufgrund einer kurzen Maulspalte verbietet.

Der Vorteil den Marquisa aus ihrer Praxis als erwiesen anführt, ist, dass das Gebiss durch die Lage zwischen Maulwinkel und Sperriemen eine ruhigere Lage im Maul gewährleistet. Sie hat diesen Punkt als bewährt geschildert und eingeordnet und damit nutzt sie den Sperriemen. Das Argument ist für mich und die Art und Weise, wie ich einwirken können will nicht nachvollziehbar. Es mag aber durchaus sein, dass mir noch einmal ein Jungpferd oder Korrekturpferd unter die Finger kommt, bei dem ich genau dieser Argumentation zum Nutzen des Pferdes folgen werde müssen. Bisher allerdings ist so ein Fall ausgeblieben.

Was ich hingegen in der Praxis regelmäßig - ja nahezu ohne Ausnahme sehe, ist ein Missbrauch dieser Verschnallung, daher stehe ich zu diesem Riemen sehr kritisch.

Die Theorie pro diversen Nasenriemen- ganz allgemein- geht von Sicherheitsaspekten zum Schutz des Kiefergelenkes, über die Begrenzung von Maul- und Zungenverrenkungen bei Jung- und Korrekturpferden, bis hin zu der Aussage, das das Pferd bei latentem Dauerzug ( "Anlehnung" ???) die Kiefermuskulatur mit dem Riemen entlasten könne.
Die ersten beiden Gründe kann ich nachvollziehen, den letzten finde ich persönlich ziemlich schlimm.
Auch hier kenne ich leider aus der Praxis eher den missbräuchlichen Einsatz. Weshalb ich hier bei der Verschnallung immer sehr genau hinschaue.
Ein ganz starker Grund für einen Nasenriemen ist für mich die Optik :wink: .
Ich mag sehr gerne einen breiten Nasenriemen auf Pferden mit einem großen, eher groben Schädel. Ich finde das schlicht hübsch :lol: :lol: :lol:

Folglich ist für mich ganz persönlich ein Nasenriemen vorrangig "Deko".
Benutzeravatar
Cubano
User
Beiträge: 3727
Registriert: Di, 20. Mär 2007 19:34
Wohnort: Oldenburger Land

Beitrag von Cubano »

Phanja hat geschrieben:oder gibts dahingehend historisch irgendwelche Hinweise, dass die klassischen Meister sowas empfehlen würden ...?
Moins!
Warum hätten die klassischen Meister denn einen Sperrriemen benötigen sollen? Ich meinte, dafür hatten sie doch gar keinen Grund.

Eine Trense wie diese:

http://www.diesattelkammer.de/MuseumGebis8.jpg

man beachte die Dornen auf dem Mundstück

oder eine Kandare wie diese

http://www.diesattelkammer.de/MuseumGebis5.jpg

mit wunderbar freundlicher Zungenfreiheit


sollten nun wahrlich ausreichen, um ein Pferd nachgerade federleicht im Maul zu haben. Und durchs Genick gingen die Tiere mit Sicherheit auch ohne jedes Problem.
Beide Gebisse stammen übrigens aus dem 18. Jahrhundert, mithin also der Epoche der Reitkunst schlechthin und nicht etwa aus dem tiefsten Mittelalter.
Das ist übrigens einer der Gründe, warum ich der pferdefreundlichen Ausbildung zu dieser Zeit bisweilen doch ein wenig skeptisch gegenüberstehe. Und ich behaupte doch glatt: mit einem ausreichend weit geschnallten Sperrriemen wären so einige Pferde jener Epoche hochzufrieden gewesen. Und bevor nun jemand meckert, ich würde am Thema vorbei diskutieren: Zum Sperrriemen habe ich schon bei der letzten Diskussion was gesagt. :P

Ups, offenbar funktioniert die Verlinkung nicht. Darum also so:

http://www.google.de/imgres?imgurl=http ... CCsQrQMwAw
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
Nach der SdA unterwegs :-)
Benutzeravatar
Finchen
User
Beiträge: 8526
Registriert: Di, 19. Apr 2011 22:30
Wohnort: im Norden zwischen HB und HH

Beitrag von Finchen »

Hm, also die Argumentation "weil es solche Gebisse gab wäre ein Sperrriemen den Pferden doch ein kleines Übel gewesen" finde ich ein wenig halbseiden.
Wenn irgendwann Leute an das 20. Jahrhundert zurückdenken, dann mögen sie doch bitte auch nicht sämtliche Pferdeausbildung verteufeln, weil es Abbildungen von Folter-"Hilfsmitteln" im Trabrennsport oder in der Gangpferdeszene gibt!? 8)

editiert:
und ergänzend müsste man noch youtube-Videos von wahrlich ausreichend abschreckenden Beispielen nennen, die bitte auch nicht als DAS angesehen werden, was die Koryphäen der Reiterei des 20. Jahrhunderts zustande brachten.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
Phanja

Beitrag von Phanja »

@Cubano
Es täte an der einen oder anderen Stelle gut, wenn man den einen oder anderen historischen Text gelesen hat. Dann wüßte man nämlich, dass der eine oder andere "Alte Meister" genau solche Instrumente, wie du sie hier anführst, vehement abgelehnt hat :wink:

Oder würdest du alle heutigen Ausbilder pauschal danach bewerten, was heutzutage alles so ans Pferd gebaut wird?
Benutzeravatar
-Tanja-
User
Beiträge: 4129
Registriert: So, 21. Okt 2007 16:35
Wohnort: Pfinztal
Kontaktdaten:

Beitrag von -Tanja- »

Lilith79 hat geschrieben:Einen Sperriemen hab ich noch nie benutzt, aber als ich noch keine Schenkeltrense hatte, hab ich den Nasenriemen zumindest im Gelände schon minimal enger verschnallt (natürlich nicht zugeknallt!) als mit Schenkeltrense. Seit ich eine Schenkeltrense habe lasse ich auf dem Platz den Nasenriemen auch mal komplett weg. Im Gelände mach ich ihn zur Sicherheit relativ locker dran.

Für mein Pony finde ich die Variante mit gut sitzender Schenkeltrense für alle meine Anwendungsfälle (Reiten Platz, Reiten Gelände, Langzügel und Doppellonge) am Besten geeignet. Allerdings habe ich durchaus sehr lange gebraucht, bis ich eine gut passende Schenkeltrense gefunden habe.
Zwischenfrage: Bei mir "fädeln" sich die Schenkel der Schenkeltrense gerne mal unter den Nasenriemen. Hast Du das Problem auch?
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
Benutzeravatar
Cubano
User
Beiträge: 3727
Registriert: Di, 20. Mär 2007 19:34
Wohnort: Oldenburger Land

Beitrag von Cubano »

Moin, Phantasie, das eine der beiden Gebisse ist eine Kandare mit einer heute bizarr anmutenden Zungenfreiheit. Das war im 18.Jahrhundert nix Außergewöhnliches. Deine Frage war aber rhetorisch, oder? Wenn ich einen Ausbilder sehe, der mit Schlaufzügeln reitet, um ein Beispiel zu nennen, schließe ich natürlich auf dessen Methode. Was sonst? Und ich behaupte mal, dass hier auch von der Benutzung des Sperrriemens auf Methode, sogar Einstellung zum Pferd geschlossen wird...
„Steinbrecht ist nur schwer für den leichten Geist." (Nuno Oliveira)
Nach der SdA unterwegs :-)
Antworten