testende Pferde

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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Gawan hat geschrieben: Stellt sich mir die Frage, warum das Pferd beim Longieren den Teilnehmer nicht versteht, beim Führen dagegen die Sozialstruktur testen soll. Auch beim banalen Führen gibt es so etwas wie eine Hilfengebung auf die das Pferd jeweils reagiert, Mensch denkt dabei allerdings häufig nicht mehr daran und wundert sich dann über das Benehmen des Pferdes. Ich glaube auch nicht, dass die Sozialstruktur zwischen Mensch und Pferd ein für alle Mal fix eingestellt werden kann.

Tanja Xezal
Das Pferd würde die zweite Person auch beim Führen nicht ernst nehmen. Es würde auch hier eher überholen, stehenbleiben oder andere eigene Ideen entwickeln. Dies würde ich aber eben nicht als testen bezeichnen. Mein Pferd versucht immer mal wieder mich beim Führen zu überholen. Dies wäre ein Fall von testen: es versucht die Sozialstruktur zwischen uns in Frage zu stellen. Somit könnte ein Testen erst stattfinden, wenn die Sozialstrukturen festgelegt sind. In dem Beispiel mit dem Longieren wären sie in dem von dir beschriebenen Fall für den Longenführer so, dass er der Rangniedere wäre.
Liebe Grüße, Sabine

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Josatianma
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Beitrag von Josatianma »

Da das mir dem editieren auf dem iPad nicht funktioniert:

Zu dem Thema mit der Tränke: Nein, ein rangniedrigeres Tier würde auch bei starkem Durst nicht ein ranghöheres vertreiben. Zumindest solange nicht, wie es nicht testen möchte, ob eventuell eine Verschiebung der Sozialstruktur in der Herde möglich ist.
Liebe Grüße, Sabine

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Gawan
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Beitrag von Gawan »

padruga hat geschrieben:Da hast du schon Recht, interessant ist dabei aber, dass die Leute, die von stark testenden Pferden berichten, komischerweise auch über Jahrzehnte hinweg beobachtet immer wieder nur Pferde zu haben scheinen die massiv "testen". Es liegt somit nicht nur an den Pferden, sondern viel auch an der Persönlichkeit des Menschen.
Das ist ebenso seltsam wie das Phänomen, dass immer wieder von Problemen mit angeblich dominanten Pferden zu hören ist, aber nie von Problemen mit subdominanten Pferden :-)
Max1404 hat geschrieben:@Padruga: klar gibt es diese "ständig testenden Pferde". Die meisten davon sind oft total brav und kooperativ, wenn sie einfach nur mal normal behandelt werden und nicht durch widersprüchliche Ansagen seitens ihrer (meist sehr unsicheren) Besitzer durcheinandergebracht werden. Oft sind das gar nicht mal so sehr charakterstarke Pferde, sondern sie sind eher rangniedrig.
Werden aber von ihren Besitzern manchmal trotzdem als dominant beschrieben; weist man dann darauf hin, dass das Tier in der Herde der Unterhund ist, heisst es dann, es würde beim Menschen seine Unterlegenheit in der Herde kompensieren und sich darum dominant verhalten ... :kopfkratz:
Max1404 hat geschrieben:Wirklich intelligente, charakterstarke, selbstbewusste und ranghohe Pferde stellen (durchaus berechtigt) Ansprüche an ihren Besitzer und Reiter. Die sind keine Ja-Sager, sondern stellen durchaus auch mal Dinge in Frage. Die muss man überzeugen und für sich gewinnen, und das hat - neben den technischen Aspekten, die z. B. beim Reiten, Longieren, in der Bodenarbeit, zum Tragen kommen - durchaus auch psychologische Aspekte.
Die Arbeit mit solchen Tieren kann ausgesprochen lehrreich sein und zwar weit über das Reiten hinaus.
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Beitrag von Gawan »

Finchen hat geschrieben: die dominante Jungstute reagiert auf angelegte Ohren der ranghöheren Stuten statt mit Ausweichen immer erst mit Rückwärtsgang und Hintern hoch, gibt dann nach, weil irgendwann die erwachsenen Pferde unsanft ihre Zähne in den Hintern oder die Flanke schlagen.
Beim nächsten Mal ist sie vorsichtiger, weiß, dass es irgendwann die konsequente und unangenehme Folge geben wird, aber sie gibt nie sofort nach. Ergebnis: knapp vierjährig hat sie die kleine Herde weitestgehend im Griff.
Sie hat also immer wieder "getestet" ob sie wirklich eine konsequente Ansage bekommt, nachgeben muss, oder ggf. irgendwann selber sogar ihr gegenüber einschüchtern kann.

In Sachen Erziehung:
Pferd lernt stehen zu bleiben unangebunden. Immer mal wieder wird es doch sich schrittweise vorbewegen. Manche testen weniger, andere mehr, letztere werden genau darauf achten bzw reagieren, wenn immer prompt eine Korrektur kommt, manche dann schneller kapieren und es sein lassen, andere wieder und wieder ausprobieren, ob die Korrektur immer kommt.
In beiden Fällen sehe ich keinen Test, sondern Lernen durch Erfahrung, d.h. ein Verhalten, das positive Folgen hat (die ranghöheren Tiere reagieren gegenüber soviel Sturheit z.B. etwas verzögert), wird wiederholt, ein Verhalten, das negative Folgen hat (Korrektur durch den Menschen) wird weniger gezeigt.

Um den Unterschied zwischen Testen und Lernen durch Erfahrung zu zeigen ein Beispiel aus der Menschenwelt: Wenn ich bei einem Computer mit verschiedenen Programmen rumspiele und einfach mal schaue, was passiert, wenn ich diese oder jene Einstellung ändere, lerne ich durch Erfahrung, wie der Computer funktioniert; mein Handeln ist dabei nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet. Habe ich einen neuen Drucker gekauft und installiere den Treiber dafür, teste ich anschliessend, ob er funktioniert, indem ich versuche, ein Dokument auszudrucken; dieses Handeln ist auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet, ich will nämlich wissen, ob der Drucker funktioniert oder nicht.
padruga hat geschrieben:Natürlich testen Pferde, sonst könnten sie ja ihren Erfahrungsschatz nicht erweitern. Das ist an sich ja eine positive Eigenschaft, testen um festzustellen, "ob ein Prüfobjekt eine Forderung erfüllt oder nicht". Forderung ist klar eine Befriedigung irgend eines Bedürfnisses, wie z.B. Fressen oder größtmögliche Bequemlichkeit oder unbeschränkte Freiheitsmöglichkeiten etc.
Dazu gehört z.B. zu testen, ob Strom auf dem Stromband ist, denn wenn nicht, könnte man ja einfach durch den Zaun marschieren zur leckeren Weide. Oder gegen das Tor drücken um zu sehen ob der Pfosten wirklich fest ist. Wenn nicht lohnt es sich stärker dagegen zu drücken, bis man drüben auf der Weide ist. Oder beim Spazierengehen schauen ob es für den Menschen o.k. ist wenn ich schnell mal stehen bleibe und ein paar Grasbüschel abrupfe.
Auch hier habe ich den Eindruck, dass Testen und Lernen durch Erfahrung vermischt werden. Um das Beispiel mit dem Strom zu nehmen: Wir haben bei uns recht starken Strom auf den Bändern (gespeist nicht durch Batterien, sondern direkt vom Bauernhaus aus), und der pfitzt verdammt stark, wie ich aus eigener Erfahrung weiss. Gawan, der jetzt nicht gerade von der besonders empfindsamen Sorte ist, hat den Zaun mal berührt, als ich ihn auf die Weide führte, und hat seitdem einen Heidenrespekt davor. Ein Pferd müsste schon masochistisch veranlagt sein, um diesen Zaun absichtlich zu berühren, nur um festzustellen, ob Strom durchfliesst. Etwas anderes wäre, wenn der Bauer vergessen hat, den Strom anzustellen und ein Pferd zufällig drankommt und feststellt, dass das Band nicht pfitzt, und dann die Gelegenheit nutzt, auf der anderen Seite Gras zu fressen.
padruga hat geschrieben:Was ich schlimm finde ist, wenn Pferden vom Menschen dabei rasch negative Absichten unterstellt werden. "Der testet dich aus" was meist als Folge impliziert, dass Mensch sich nur ordentlich durchsetzen muss. In den allerwenigsten Fällen ist dies aber ein vorsätzliches, mutwilliges Austesten z.B. um die Rangfolge zu klären und als Ranghöherer aufzusteigen. Als solches wird es aber meist interpretiert.
Nach meiner Erfahrung ist dies aber genau der Sprachgebrauch, den ich für “Pferd testet Mensch” kenne. Ein Gebrauch des Wortes testen etwa im Sinn, “das Pferd testet, ob das Heu bekömmlich schmeckt” ist mir noch nicht begegnet. Die Aussage “Pferd testet Mensch” höre ich eigentlich immer, wenn Pferd sich anders verhält als Mensch wünscht. Ich habe noch nie jemand sagen hören “mein Pferd ist heute schnurstracks in den Hänger gestiegen, weil er testen wollte, ob er dafür ein Leckerli bekommt”. Der Satz “Pferd testet Mensch” hat im Gegenteil oft einen ärgerlichen Unterton, als hätte das Pferd durch sein unverschämtes Verhalten die Majestät des Menschen beleidigt.
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Beitrag von Max1404 »

Es ist richtig, dass der Sprachgebrauch mit "der testet dich" oft meint "der verschaukelt dich" (wird gerne auch noch derber ausgedrückt).
Schade eigentlich.

Aber da die Eingangsfrage ja war "Testen Pferde?" möchte ich sagen: ja, sie tun es. Aber anders, als es der gemeine Sprachgebrauch meint.

Sie testen neue Menschen: "kann ich den ernstnehmen und als ranghöher ansehen, oder stehe ich über ihm?" - sprich: muss ich machen, was der will?
Sie testen Zäune: meiner testet die Stromstärke mit den Schnurrbarthaaren und entscheidet dann, was er tut :wink:
Sie testen, ob sie die Rangfolge verändern können oder
sie testen, ob der Mensch vielleicht unaufmerksam ist und sie einige Grashalme am Wegrand ergattern können.
usw.
In diesem Sinn finde ich das Wort testen durchaus richtig angewendet. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Beitrag von Gawan »

Josatianma hat geschrieben:Da das mir dem editieren auf dem iPad nicht funktioniert:

Zu dem Thema mit der Tränke: Nein, ein rangniedrigeres Tier würde auch bei starkem Durst nicht ein ranghöheres vertreiben. Zumindest solange nicht, wie es nicht testen möchte, ob eventuell eine Verschiebung der Sozialstruktur in der Herde möglich ist.
Aus Margit Zeitler-Feicht, Handbuch Pferdeverhalten:
Ergänzend ist zu sagen, dass neben den Rangfaktoren in Einzelfällen auch die momentane Motivation der Tiere den Ausgang einer Auseinandersetzung bestimmt. So kann sich ein rangniedriges Pferd bei entsprechend hoher Motivation, zum Beispiel bei Hunger, kurzfristig gegen ein ranghöheres durchsetzen. Ein solch einmaliger Zwischenfall ändert aber die bestehende Rangbeziehung zwischen den beiden Tieren nicht auf Dauer.
Entspricht auch Beobachtungen, die ich bei uns im Stall gemacht habe (Herdenhaltung mit zwei Gruppen von 10-15 Tieren).
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Beitrag von Gawan »

Janina hat geschrieben:Tanja, vlt. schreibst du mal, worauf du hinaus möchtest?
Ich finde es wichtig, Begriffe, die man selbstverständlich braucht, zu hinterfragen. Wörter können Bedeutungen transportieren, die einem nicht bewusst sind; ich kann z.B. das Weben eines Pferdes als “Stalluntugend” bezeichnen, dann steckt in dem Wort die Bedeutung, das Pferd verhält sich falsch, sogar unmoralisch; benutze ich dagegen den Begriff “haltungsbedingte Stereotypie” ist das Verhalten eine Reaktion auf die falsche Haltung und damit nicht ein Fehler des Pferdes, sondern des Menschen.
Janina hat geschrieben:Grund für jegliches Testen ist meiner Ansicht nach das Streben nach Sicherheit.
Da kann ich jetzt gar nicht folgen.
Janina hat geschrieben:Was dabei jetzt im einzelnen in einem Pferd vorgeht, kann niemand sagen und wird auch von Pferd zu Pferd und Situation zu Situation unterschiedlich sein, macht für mich aber in der Konsequenz auch keinen Unterschied (auch wenn das vlt. hart klingt).
Sollte es aber. Wenn ich zum Beispiel bei einem Pferd, das öfter nach mir schnappt, dies als Autoritätsverletzung bestrafe, ohne nach den Gründen zu fragen, bewirke ich möglicherweise das Gegenteil von dem was ich will. Ein Pferd kann schnappen, weil es high auf Testosteron ist, weil es sich gegen den unpassenden Sattel wehren will, weil ich es massiv überfordert habe etc. Ich kannte ein Pferd, das auf Grund früherer schlechter Behandlung und eines massiven Satteldrucks (grosser weisser Fleck auf dem Widerrist) beim Satteln regelmässig schnappte. Das Pferd war in der Herde deutlich subdominant, beim Reiten war es sehr bemüht alles richtig zu machen. Die Besitzerin löste das Problem, indem sie ihn erst aufzäumte und dann sattelte, er kaute dann wie wild auf dem Gebiss rum statt zu schnappen.
Janina hat geschrieben:Andererseits denke ich schon, dass "testen" das richtige Wort ist und die Anfragen seitens des Pferdes sehr viel mit der Dominanzfrage zu tun haben.
Meines Erachtens wird die “Dominanzfrage” überbewertet. Fast alles, was wir vom Pferd verlangen ist ausserhalb dessen, was ein anderes Pferd von ihm verlangen würde. Unter Pferden spielt Dominanz dann eine Rolle, wenn es um den Zugang zu Ressourcen geht, wir streiten uns aber normalerweise nicht mit dem Pferd um die beste Stelle zum Grasen, den Vortritt beim Brunnen oder einen Sexualpartner. Um mal das Beispiel Grasen zu nehmen: Wenn ich das Pferd daran hindere, an einer bestimmten Stelle zu grasen, könnte ich das noch als Dominanzverhalten meinerseits verstehen (das ist mein Stück Gras und nicht deins, auch wenn ich offensichtlich nicht davon fresse). Wenn ich aber das Pferd gleichzeitig daran hindere, von mir wegzugehen und 20 m weiter den Hügel hinauf zu grasen, ist das aus Pferdesicht kein sinnvolles Verhalten mehr. Kein Pferd legt einem anderen ein Stück Eisen ins Maul, treibt es über ein Hindernis, obwohl ein Weg daran vorbeiführt, verlangt einen Galoppwechsel bei X ...
Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einer Bekannten, die ihr Pferd jahrelang allein ritt, und neuerdings eine Reitbeteiligung hat. Sie beklagte sich, ihr sonst so kooperatives Pferd habe angefangen, die RB zu “testen”. Ja um Himmels willen, wie soll sich denn das Pferd verhalten? Die RB bewegt sich anders, spricht anders, riecht anders als die Besitzerin. Sie hat eine andere Figur, d.h. sie sitzt nicht gleich auf dem Pferd, wirkt mit den Schenkeln nicht genau am gleichen Ort ein wie die Besitzerin. Das Timing der Hilfen ist anders, möglicherweise verlangt sie auch ein etwas anderes Tempo als die Besitzerin etc. Kurz, die zwei haben schlicht noch keine klare gemeinsame Sprache, das Pferd versteht nicht so recht was es soll und versucht, irgendwie mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Dazu kann auch gehören, dass es auf das unklare Kauderwelsch der RB mal gar nicht mehr reagiert.
Das ist ähnlich, wie wenn ich versuche, jemandem, der schlecht Deutsch kann, Anweisungen zu geben, z.B. bei der Arbeit (“ich Chef, du Ausländer”, die Rangordnung ist für beide Seiten klar). Wenn dann was anderes als erwartet rauskommt, hat mich die Person nicht “getestet”, sondern schlichtweg nicht recht verstanden, was sie eigentlich tun sollte.
Vermutlich richtet das Erklärungsmuster “Dominanz” mehr Schaden an, als dass es hilft, Probleme zu lösen.

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Beitrag von Max1404 »

Gawan hat geschrieben:
Josatianma hat geschrieben:Da das mir dem editieren auf dem iPad nicht funktioniert:

Zu dem Thema mit der Tränke: Nein, ein rangniedrigeres Tier würde auch bei starkem Durst nicht ein ranghöheres vertreiben. Zumindest solange nicht, wie es nicht testen möchte, ob eventuell eine Verschiebung der Sozialstruktur in der Herde möglich ist.
Aus Margit Zeitler-Feicht, Handbuch Pferdeverhalten:
Ergänzend ist zu sagen, dass neben den Rangfaktoren in Einzelfällen auch die momentane Motivation der Tiere den Ausgang einer Auseinandersetzung bestimmt. So kann sich ein rangniedriges Pferd bei entsprechend hoher Motivation, zum Beispiel bei Hunger, kurzfristig gegen ein ranghöheres durchsetzen. Ein solch einmaliger Zwischenfall ändert aber die bestehende Rangbeziehung zwischen den beiden Tieren nicht auf Dauer.
Entspricht auch Beobachtungen, die ich bei uns im Stall gemacht habe (Herdenhaltung mit zwei Gruppen von 10-15 Tieren).
Das Buch über das Pferdeverhalten in aller Ehre: kein domestiziertes Pferd hat heute im deutschsprachigen Raum (hoffentlich) so viel Hunger oder Durst, dass es zu solchen seltenen Vorkommnissen kommt.
Meine jahrelange Beobachtung einer gemischten Herde aus 25 Pferden entspricht dem, was auch ich weiter vorne schon geschrieben habe, und das deckt sich mit den Beobachtungen von Josa:
Das habe ich anders erlebt, normalerweise warten die Rangniedrigeren mit etwas Abstand, bis sie dran sind. Wegdrängeln, wie Du es beschreibst, passiert nur bei Pferden, die in etwa auf der gleichen Rangstufe stehen.
Vermutlich stehen die Pferde bei Dir zu Hause in der Herde rangmäßig erheblich dichter zusammen als Du denkst. Bei wirklich deutlichen Rangunterschieden wartet das rangniedrigere Pferd. :wink:
Viele Grüße
Sabine
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padruga
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Beitrag von padruga »

Bei wirklich deutlichen Rangunterschieden wartet das rangniedrigere Pferd.
Nein, nicht immer! Bei unseren Pferden ist es z.B. dass das ranghöhere Pferd sehr wohl bei vielen Entscheidungen unangefochten das Sagen hat, andererseits aber die anderen beim Fressen sehr häufig freiwillig vorlässt und in der Zwischenzeit eher die Umgebung überwacht. Klar, wenn es dann schließlich auch zum Futtertrog geht, reicht ein leichter giftiger Blick zur Seite und der Rangniedrigere geht sofort zurück und überlässt ihm den Platz. Kurz danach kommt der Rangniedrige jedoch langsam wieder dazu und frisst sich sachte in Richtung ranghöheres Pferd (blickt dabei kurz das ranghohe Pferd an so nach dem Motto "ist es o.k.?" und wartet dessen Reaktion ab), bis sie in Eintracht direkt nebeneinander aus dem Futterkübel fressen. Ranghohe Tiere sind meiner Beobachtung nach weeeesentlich toleranter und großzügiger als "ranghoch sein wollende Menschen".

Ich kann ansonsten allen Ausaagen von Gawan nur voll zustimmen!

Vermutlich richtet das Erklärungsmuster “Dominanz” mehr Schaden an, als dass es hilft, Probleme zu lösen.
Ich persönlich bin auf jeden Fall der Meinung, dass dieses ganze Dominanzgedöns mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

padruga hat geschrieben:
Bei wirklich deutlichen Rangunterschieden wartet das rangniedrigere Pferd.
Nein, nicht immer! Bei unseren Pferden ist es z.B. dass das ranghöhere Pferd sehr wohl bei vielen Entscheidungen unangefochten das Sagen hat, andererseits aber die anderen beim Fressen sehr häufig freiwillig vorlässt und in der Zwischenzeit eher die Umgebung überwacht. Klar, wenn es dann schließlich auch zum Futtertrog geht, reicht ein leichter giftiger Blick zur Seite und der Rangniedrigere geht sofort zurück und überlässt ihm den Platz. Kurz danach kommt der Rangniedrige jedoch langsam wieder dazu und frisst sich sachte in Richtung ranghöheres Pferd (blickt dabei kurz das ranghohe Pferd an so nach dem Motto "ist es o.k.?" und wartet dessen Reaktion ab), bis sie in Eintracht direkt nebeneinander aus dem Futterkübel fressen.
Du untermauerst gerade mit Deiner Aussage meine eigenen Beobachtungen. :wink:

Nochmals: Gawan schreibt, dass ein rangniedriges Pferd ein ranghohes vertreibt, wenn es genügend Motivation hat (z. B. Durst).

Du beschreibst, dass ein ranghohes Pferd zunächst einmal das rangniedrige vertreibt, es später aber zulässt, dass sie nebeneinander fressen. Das ist ein gewaltiger Unterschied :wink:

Ich zweifle sehr an, dass bei unseren domestizierten Pferden, die niemals wirklich Hunger und Durst leiden müssen, ein Vertreiben eines sehr ranghohen Pferdes durch ein sehr rangniedriges Pferd tatsächlich passiert. Nochmals: bei Pferden, die in etwa den gleichen Rang haben, wird das passieren.
Bei wild lebenden Pferden würde ich dieser Aussage jedoch vorbehaltlos zustimmen, denn hier kann es ums Überleben gehen.
Ranghohe Tiere sind meiner Beobachtung nach weeeesentlich toleranter und großzügiger als "ranghoch sein wollende Menschen".
Hier stimme ich Dir voll zu.
Ich persönlich bin auf jeden Fall der Meinung, dass dieses ganze Dominanzgedöns mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat.
Ebenfalls volle Zustimmung! :wink:
Viele Grüße
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Beitrag von Jen »

Kleine Episode von letzter Woche. Mein 15j. Wallach hat in seinem Nebenjob die Aufgabe der Kindererziehung. Sprich, zusammen mit einem 13j wallach (=chef) erziehen sie frisch zwei knapp jährige Hengste. Nachdem ihre zwei Vorgänger nun mit 3j in Ausbildung gingen. Sie haben also bereits Referenzen 8) Der eine der Kleinen ist schon ein richtiger kleiner Macho und hat bereits begonnen seine Mutter zu besteigen plus war im Umgang offenbar eher mühsam (beim führen zb mehr auf 2 als 4 Beinen).

Nun, die erste Begegnung find ich immer sehr spannend. Mein Wallach ist sehr freundlich und eher zurückhaltend, teilt die Jungs aber auch ein, wenn nötig. Also 1. Begegnung: kurz Nase zusammenstecken und dann hat der Kleine ihm einmal herzhaft in den Mähnenkamm gebissen. Das war für mich das Austesten der Grenzen par excellence. Der Kleine wurde umgehend gemassregelt und wird nun em Moment eher harsch eingeteilt, er muss weichen und kriegt im Vorbeigehen öfters mal eine kleine Erinnerung , wo sein Platz ist. Seine Manieren sind schon viiiel besser geworden. ;)

Natürlich 'testen' Pferde, das ist für sie lebenswichtig. Als Fluchttier müssen sie sich vergewissern, ob sie sich ihrer Herde Anvertrauen können, oder ob sie selber um ihre Sicherheit besorgt sein müssen. Jedes im Sozialverband lebende Tier sucht sich seinen Platz. Je ranghöher desto mehr Ressourcen stehen ihnen zu Verfügung und jede Chance, die sich bietet wird registriert. Je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, desto weniger muss man drum kämpfen. Problematisch wird es ja erst, wenn die Ressourcen knapp werden. Und auch da sind 'Kämpfe' ja erst das äusserste Mittel der Wahl. Zuerst gibt es das Imponiergehabe, und dann die Scheinkämpfe.

Gerade Pferde sind meisterhaft in ihrer Beobachtungsgabe und dem Lesen der Körpersprache. Sie registrieren jede Unaufmerksamkeit oder Abweichung beim Menschen meist lange bevor es der Mensch selber tut. Ich habe schon so oft beobachtet, wie subtil Pferde ihre Menschen austesten und ihre Grenzen suchen bzw die Reaktionsschnelligkeit des Menschen abchecken. ZB simples stehen am hängenden Strick, während Mensch sich mit einer anderen Person unterhält. Pferd kommt unbemerkt gaanz langsam immer näher, Mensch macht ganz unbewusst einenkleinen Schritt zur Seite oder wendet sich ab. Ganz klassische Situation von 'ich verdränge dich von deinem Platz'. Dies alleine hat meist noch keine Folgen aber diese Kleinigkeiten in verschiedenen Situationen können sich akkumulieren und irgendwann ist das Fass voll und Pferd sagt: jetzt hast du in so und so vielen Situationen klein beigegeben, warum soll ich jetzt diese (vielleicht unangenehme) Situation akzeptieren? Nö. Und wenn es DANN so weit ist, dass sich ein Pferd offensiv wehrt, hat Mensch schon laaange verpasst, wie es dazu gekommen ist.

Was ein Pferd hingegen nicht kann: veräppeln. Ein Pferd kann kein Verhalten 'extra' zeigen, um den Menschen zu 'ärgern'. Das ist eine andere Kategorie von Verhalten und würde voraussetzen, dass sich das Pferd in die Situation und Sichtweise und Denken (inkl. Überzeugungen) des Menschen hineinversetzen können und diese Sichtweise von der eigenen unterscheiden können. Dies können nicht mal Primaten und Menschen auch erst ab 4-5jährig. Wer sich dafür mehr interessiert, kann mal den Begriff 'Theory of Mind' googeln.

Nachtrag: Mit Ressourcen sind übrigens nicht nur Wasser und Nahrung gemeint. Sondern auch Platz, Sozialkontakt, Fortpflanzung etc.
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
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Beitrag von padruga »

Du beschreibst, dass ein ranghohes Pferd zunächst einmal das rangniedrige vertreibt, es später aber zulässt, dass sie nebeneinander fressen. Das ist ein gewaltiger Unterschied
Sorry, dann hab ich das falsch beschrieben. ich probiers nochmal genauer: Rangniedriges Pferd rennt gierig zum Kraftfutter, ranghöheres will zunächst auch dahin, dann ist ihm das Gerangel dort zu blöd, es hält sich zurück und lässt die Gierschlunde vor. Steht da, guckt durch die Gegend, irgendwann geht es auch zum Futter. Meist rücken die anderen einfach ein kleines Stück zur Seite und es passiert gar nichts. Im schlimmsten Fall guckt ranghohes Tier kurz giftig (ohne Ohrenanlegen) wenn es keinen Platz bekommt, und der andere rutscht kurz zur Seite. Wollte damit nur verdeutlichen, dass sich ranghohes Pferd nicht immer an erste Stelle stellt, (nicht mal wenn es den beliebten Hafer dort gibt), sondern die Rangniedrigen durchaus erst mal vorlässt, wenn diese recht drängeln. Liegt sicher auch mit daran:
Je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, desto weniger muss man drum kämpfen.
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Beitrag von Max1404 »

Das was Du beschreibst ist noch immer kein Vertreiben eines ranghöheren Pferdes durch ein rangniedriges. Sorry, nix für ungut, da bin ich jetzt pingelig :wink: :)
Viele Grüße
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Beitrag von padruga »

O.k., ist auch eher ein Beispiel für "Chef lässt von sich aus die anderen vor obwohl es viel zu holen gäbe. Besteht nicht auf seinem Vorrecht".
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Beitrag von Gawan »

Jen hat geschrieben:Gerade Pferde sind meisterhaft in ihrer Beobachtungsgabe und dem Lesen der Körpersprache. Sie registrieren jede Unaufmerksamkeit oder Abweichung beim Menschen meist lange bevor es der Mensch selber tut. Ich habe schon so oft beobachtet, wie subtil Pferde ihre Menschen austesten und ihre Grenzen suchen bzw die Reaktionsschnelligkeit des Menschen abchecken. ZB simples stehen am hängenden Strick, während Mensch sich mit einer anderen Person unterhält. Pferd kommt unbemerkt gaanz langsam immer näher, Mensch macht ganz unbewusst einenkleinen Schritt zur Seite oder wendet sich ab. Ganz klassische Situation von 'ich verdränge dich von deinem Platz'. Dies alleine hat meist noch keine Folgen aber diese Kleinigkeiten in verschiedenen Situationen können sich akkumulieren und irgendwann ist das Fass voll und Pferd sagt: jetzt hast du in so und so vielen Situationen klein beigegeben, warum soll ich jetzt diese (vielleicht unangenehme) Situation akzeptieren? Nö. Und wenn es DANN so weit ist, dass sich ein Pferd offensiv wehrt, hat Mensch schon laaange verpasst, wie es dazu gekommen ist.
Zum Thema “Pferd soll ruhig stehen während Mensch mit Mensch quasselt” habe ich in einem Artikel einer amerikanischen Reitschule eine schöne Bemerkung gefunden (in dem Artikel geht es um Aufmerksamkeit, der ganze Artikel ist hier zu finden http://www.meredithmanor.edu/features/a ... ention.asp ):
There’s a corollary to having the horse pay attention to you. You must pay attention to your horse at all times and create a calm working environment. If someone comes along that you want to talk to, finish with your horse, put your horse away and then talk. Don’t take your attention off your horse.
(Vom Pferd Aufmerksamkeit zu verlangen, hat eine logische Konsequenz. Du musst selbst dauernd auf das Pferd acht geben und eine ruhige Arbeitsumgebung schaffen. Wenn jemand vorbeikommt, mit dem du sprechen willst, beende die Arbeit mit dem Pferd, versorge es und dann sprich. Nimm die Aufmerksamkeit nicht weg vom Pferd.)
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Pferde ein solches Verhalten zeigen, also Pferd A hat sich gerade mit Pferd B beschäftigt, dann kommt Pferd C, Pferd A beschäftigt sich mit Pferd C, erwartet aber, dass Pferd B gleichzeitig ruhig danebensteht??
Unter Menschen wäre ein solches Verhalten ausgesprochen unhöflich, wenn ich mir vorstelle, ich wäre mit meinem Chef an einer Sitzung gewesen, wir kommen aus dem Büro, einer seiner Kollegen taucht auf, die zwei fangen an in einer fremden Sprache zu quasseln, und ich stehe daneben, und stehe, und stehe, und stehe ...
Manche Pferde kommen vielleicht damit besser zurecht als andere, weil sie auf der gemütlichen Seite sind, und in einer solchen Situation statt sich zu langweilen halt einfach dösen. Ein Problem entsteht allerdings, wenn das Pferd dann wegen irgend etwas erschrickt, der Mensch nicht wirklich anwesend ist und daher dem Pferd nicht rechtzeitig signalisieren kann, dass alles ok ist. Da der Mensch das Pferd mental ja gewissermassen entlassen hat, ist es nun für sich selbst verantwortlich, selbst wenn der Mensch noch den Strick in der Hand hält, und es wird sich auch entsprechend verhalten.
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