C. Hess in der "Schule für anspruchsvolles Freizeitreit

Rund ums Thema Pferd und die klassische Reitkunst

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Josatianma
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C. Hess in der "Schule für anspruchsvolles Freizeitreit

Beitrag von Josatianma »

Christoph Hess in der "Schule für anspruchsvolles Freizeitreiten"

Meine Reitlehrerin Ina Krüger-Oesert hat an der Ausschreibung des PM-Schulpferde-Management-Wettbewerb der FN teilgenommen und wurde mit einem Sonderehrenpreis ausgezeichnet. Ziel des Wettbewerbs war es, die besten erfolgreichen Schulpferde-Managementkonzepte zu finden. Zu den Kriterien zählten unter anderem Ausbildungsmodelle im Schulbetrieb, Konzepte für besondere Zielgruppen und Konzepte für Kooperationen mit anderen Vereinen. Im Rahmen dieser Auszeichnung fand am 10.06.2010 ein Seminar mit Herrn Christoph Hess auf ihrem Hof statt.

Das Seminar sollte das Schulpferd in den Mittelpunkt stellen und den Zuschauern zeigen, wie wichtig gut ausgebildete Schulpferde sind. Das Schulpferd hat ja generell einen schlechten Ruf und dieser bestätigt sich in vielen Ausbildungsställen leider auch.

An diesem Abend wurden die Schulpferdes des Hofes mit ihren wöchentlichen Reitern vorgestellt. Den Anfang machten zwei junge Mädchen (je 14 Jahre alt) mit Pferden an der Hand. Dabei handelte es sich um eine 15 jährige Berberstute und eine 20 jährige Andalusierstute.
Die vier zeigten einen Einblick in die Arbeit an der Hand und zeigten, wie vielfältig die Ausbildung am Pferd und mit dem Pferd auch für Reiter in einem Schulbetrieb sein kann. Herr Hess kommentierte die jeweiligen Vorführungen und lobte die sehr feinen Stuten und die ruhige besonnene Art, mit der die Mädchen die unterschiedlichsten Lektionen zeigten. Immer unterstützt von Ina Krüger-Oesert.

Schon während dieser Vorstellung, aber spätestens mit der nächsten, wurde deutlich, dass Ina Krüger-Oesert der Charakter ihrer Schulpferde sehr viel wichtiger ist, als ein perfektes Exterieur. Eines der Schulpferde ist ein jetzt 11 jähriger Andalusierhengst mit einem enormen Kipphals. Wegen dieses Halses wäre seine Zukunft in Spanien fast besiegelt gewesen, Ina hat sich seiner aber trotzdem angenommen. Heute präsentiert er sich als absolut umgängliches, sicheres Pferd, das sich auch von Anfängern problemlos reiten lässt. Herr Hess mischte sich jetzt auch immer mal wieder in die Reiteinheiten ein und half in diesem Fall der Reiterin, den Hengst in einen noch sichereren Takt zu bekommen und sich etwas mehr fallen zu lassen. Er betonte auch, dass bei diesem Hengst, der in Spanien sehr weit ausgebildet wurde, dennoch die Basisarbeit wichtig ist. Diese wurde früher eher vernachlässigt und das sieht man heute. Frau Krüger-Oesert bestätigte dies und erklärte woran mit dem Hengst zur Zeit gearbeitet wird.

Das dritte Pferd des Abends war der 22 jährige Shettywallach, der Frau Krüger-Oesert seit Jahren regelmäßig auf Shows begleitet. An diesem Abend aber präsentierte er sich als sehr zuverlässiges und äußerst feines Schulpony. Leicht und gut an den Hilfen wurde er in allen Gangarten von einem 11 jährigen Mädchen vorgestellt. Christoph Hess betonte hier, wie wichtig es ist, eine gute Basisarbeit zu leisten. Am Beispiel der Schritt-Trab-Schritt-Übergänge demonstrierten er und die junge Reiterin welche Fehlerquellen so ein simpler Übergang haben kann und wie diese ausgeschaltet werden. Das Ergebnis war ein sehr schöner ausdrucksvoller Arbeitstrab.

Das er ein erfahrener Showprofi ist, mußte der kleine Wallach dann aber doch zeigen und setzte zu einer Levade an, als seine Besitzerin in einer für ihn eindeutigen Position stand. Diese Szene nahm Christoph Hess zum Anlass, um eindringlich darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, die Pferde gut zu motivieren und ihnen Spaß an ihrer Arbeit als Reitpferd zu vermitteln. Jedes Pferd soll entsprechend seiner Begabung trainiert und geschult werden und im Idealfall freudig motiviert die Halle betreten und auch wieder verlassen.

Jedes der gezeigten Schulpferde hat eine bewegte Geschichte und es fiel auf, das alle schon sehr lange auf diesem Hof leben und arbeiten. Auch nach dem Schulpferdeleben verbleiben die Tiere dort und geniessen ihren Ruhestand.

Das nächste Pferd wurde auf dem Hof geboren und ist, trotz eines schlimmen Beinbruchs im Fohlenalter, heute 9 jährig ebenfalls ein zuverlässiges Schulpferd. Ihm fehlte es an diesem Abend aber etwas an Losgelassenheit und Durchlässigkeit. So viele Zuschauer war er noch nicht gewohnt. Während die Reiterin zeigte, woran in den Reitstunden gearbeitet wurde, mischte sich Her Hess wieder ein.
Es war deutlich, dass der Wallach den inneren Schenkel nicht gut annehmen möchte und dass der Galopp noch eine Schwachstelle ist.
So arbeitete Herr Hess erstmal an der Akzeptanz des inneren Schenkels. Dazu sollte die Reiterin Schultervor reiten. Zuerst im Schritt, dann aber bald im Trab. Der Wallach reagierte auf diese Konsequenz erst ein bisschen unwillig, aber nach einigen Wiederholungen verbesserte sich die Reaktion auf den Schenkel und somit auch direkt die Anlehnung. Für die Galopparbeit ließ Herr Hess die Reiterin die Bügel zwei Löcher kürzer schnallen und sie im leichten Sitz flüssig vorwärts galoppieren. Schnell sprang der Wallach besser durch und wurde im Hals immer länger.

Herr Hess sagte noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, das die Pferde zum einen ihren Hals immer wieder als Balancierstange nutzen dürfen müssen und zum anderen eine sinnvolle Muskelaufbauarbeit eben nur durch Anspannung und Entspannung möglich ist. Nach der ausgedehnten Galopparbeit ging es wieder ins Schultervor, bzw. ins SH. Besonders auffällig war die deutliche Verbesserung des Trabes. Außerdem ließ der Wallach nun Stellung, Biegung und den treibenden Schenkel wesentlich besser durch.

Im Anschluss kam eine weitere Berberstute in die Halle. Diese zeigte mit ihrer Reiterin außer den Grundgangarten auch einige Trailelemente. Hier wurde wieder einmal deutlich, wie vielseitig die Ausbildung auf dem Hof von Ina Krüger-Oesert ist. Sie selbst sagte dazu, sie würde eben gern auch mal über den Zaun schauen. Das sei wichtig, um immer wieder neue Impulse für die eigene Arbeit zu bekommen. Die Stute arbeitete sehr sicher im Stangen-L und reagierte auf nahezu unsichtbare Hilfen.

Nach der Stute war der Deckhengst des Hofes an der Reihe. Ein sehr beeindruckender Andalusierhengst mit aufwändigen Bewegungen.
Er beherrscht ein großes Repertoire an Lektionen und ist deshalb, aber auch wegen seines unvergleichlichen Charakters, eines der begehrtesten Schulpferde des Betriebs. Mit diesem Paar hat Herr Hess an der Trabarbeit gefeilt. Der Bewegungsablauf des Hengstes ist sehr aufwändig und geht mehr nach oben. Ziel war es nun den Trab raumgreifender und größer zu bekommen. Dafür ließ Herr Hess die Reiterin im SH Tempovariationen reiten, außerdem immer wieder ein deutlicher Wechsel der Anlehnung und Halseinstellungen. So dauerte es nicht lange und der Trab wurde energisch, groß, weit und einfach toll. Auch die Arbeit an den halben Tritten verbesserte den Trab deutlich. Hier legte Christoph Hess viel Wert darauf, das die Vorwärtstendenz erhalten bleibt. So konnte der Hengst einige eindrucksvolle Tritte zeigen.

Als letztes Pferd ritt Ina Kürger-Oesert selbst noch einmal die Berberstute, die Eingangs an der Hand gezeigt wurde. Ein Thema dieser Einheit waren die fliegenden Wechsel. Die Stute springt mittlerweile Einerwechsel. Herrn Hess fiel auf, das daran wohl in der letzten Zeit gearbeitet wurde. Diese sehr arbeitswillige Stute nahm hin und wieder die Hilfen vorweg und sprang selbstständig um. Dennoch war er von der Leistung dieser Stute sehr beeindruckt, auch vor dem Hintergrund, das die Halle doch räumlich so ganz anders ist, als übliche Reithallen. Die genauen Maße kenne ich nicht, schätze aber höchstens 15x25 Meter.
Für die Piaffearbeit hatte Herr Hess noch einige Wertvolle Tipps. Die Stute versammelt sich zu sehr und klebt damit förmlich am Boden, außerdem findet sie so schwer in eine saubere diagonale Fußfolge. So ließ Herr Hess dieses Paar die halben Tritte in Leichttraben reiten und sicherte so die saubere Fußfolge. Dann unterstützte er von unten mit der Touchiergerte und verhalf der Stute zu schönen Tritten. In den Pirouetten unterstütze er ebenfalls von unten. Die Stute hat sich auch hier zu sehr versammelt und der saubere Durchsprung im Galopp war etwas gestört. Durch leichtes Touchieren auf der Kruppe fand sie besser in den richtigen Galopprhythmus zurück.

Zusammenfassend sagte Herr Hess, dass er beeindruckt war, wie fein und vielseitig die Schulpferde und die Reitschüler auf dem Hof von Ina Krüger-Oesert geschult sind. Er betonte, dass die große Hingabe und Liebe zum Pferd sehr deutlich zu spüren ist. Dafür sprechen auch die Pferde selbst, die alle schon viele, viele Jahre in diesem Betrieb leben und trotz ihrer kleine Mängel "gesund geritten" wurden und werden. Und das sei doch das eigentliche Ziel der Reiterei, sagte Herr Hess, dass Pferde durch das Reiten gesund werden und bleiben und nicht krank werden, wie man es heute leider viel zu oft sieht.

Anwesend war auch Frau Reese-Benke, beim Landesverband Schleswig-Holstein zuständig für den Breitensport und die Beratung der Vereine u. Pferdebetriebe. Sie sagte, dass dieser Hof ein Kleinod wäre und es in Schleswig-Holstein keinen vergleichbaren Ort gäbe, wo Reiter in dieser Art das Reiten und den Respekt für das Pferd lernen.

Nach den praktischen Demonstrationen stand Herr Hess für Fragen zur Verfügung. Auf die Frage, wann für ihn handorientiertes Reiten beginnt, machte er noch einmal deutlich, das die Basisarbeit nicht zu vernachlässigen ist. So würde eine handorientierte Reitweise gar nicht erst entstehen. Aber er räumte auch ein, dass hin und wieder gerade bei Pferden, denen eine solide Grundausbildung nicht zuteil wurde, verschiedene Lösungswege nötig werden können. Und in so einem Fall nicht jeder Zügeleinsatz gleich als zu handorientiert gelten kann.
Zum Thema Nasenriemen und Sperrriemen hatte er auch eine klare Meinung. Der Nasenriemen darf unter gar keinen Umständen zu fest sein. Für ihn gilt die Regel der zwei Finger, die zwischen den Riemen passen sollen. Das Pferd soll unbedingt kauen können und dürfen. Man müsse aber unterscheiden können, wann das Pferd kaut und wann es sperrt. Einen Sperrriemen hält er nicht für unbedingt notwendig. Hier räumte er ein, das er früher anderer Meinung war.

Fazit dieser Veranstaltung war für Christoph Hess und Ina Krüger-Oesert ganz klar: Vielseitige Ausbildung der Pferde und Reiter ist absolut notwendig, egal ob es in den Turniersport oder in anderen Richtungen gehen soll. Die Basis ist die Gleiche. Und die Verbundenheit mit dem Pferd auch. Die Reiter sollen nicht so viel über die Unterschiede nachdenken, die sie voneinander trennen, sondern vielmehr über die Gemeinsamkeiten, die alle miteinander verbindet.

Ich für meinen Teil habe Christoph Hess als guten Beobachter und Lehrer erlebt. Ich war angenehm überrascht, wie offen er mit den doch sehr unterschiedlichen Pferden gearbeitet hat und völlig vorbehaltlos jeden so genommen hat, wie er war. Eine Sache allerdings konnte er kaum glauben. Ein Stall mitten in Schleswig-Holstein und nicht ein Holsteiner Pferd auf dem Hof!

AUTOR: susiesonja
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Jen
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Beitrag von Jen »

wow, solche reitschulen wünscht man sich viel mehr! Toll!
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
kallisto
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Beitrag von kallisto »

Davon sollte es mehr Seminare geben!

LG Susi
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

Danke für den schönen Bericht! Ich kenne Ina-Krüger-Oesert aus der Zeit als ich in Hamburg und Schleswig-Holstein gewohnt habe. Ich war ein paar mal zum Gucken dort und hatte eine ganze Weile bei einer Schülerin von ihr Unterricht. Toll, dass sie jetzt so eine Anerkennung für Ihre Arbeit bekommen hat und schön, dass der Besuch von Herrn Hess so fruchtbar und harmonisch verlief. So können sich die "Fraktionen" also doch auch annähern und gegenseitig bereichern.
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