Antrainieren und Muskelaufbau durch Versammlung

Rund um die klassische Reitkunst

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amara
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Antrainieren und Muskelaufbau durch Versammlung

Beitrag von amara »

Wollte diese superinteressante Diskussion hier im Forum diskutieren:
Wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, hast du nach der langen Pause ja erst wieder angefangen und dann ja doch wieder ziemlich schnell geritten und dann auch schnell von solchen Lektionen geschrieben. Also bitte nicht falsch verstehen, ich frag mich das wirklich, kann man so etwas irgendwann auch zum Aufbau nehmen? Ich könnte es mir vorstellen, weil die ja korrekt ausgeführt schon genau die richtigen Muskeln ran bekommt. Und wie lang sind dann solche Einheiten?

Superinteressant! Ich sag jetzt mal meine Sicht:
Meine Ansicht der Dinge ist, dass Versammlung keinerlei „vorgebildete Kraft“ braucht. Am ehesten noch einen gewissen Grad an Graderichtung, und ein gewisser Grad an Geschmeidigkeit und ein brauchbares Körpergefühl, sowie eine respektvolle Erziehung und definitiv Hilfenverständnis. Und ich sage bewusst: braucht KEINE vorgebildete Kraft.
Denn platt gesagt, das (halbwegs gesunde) Pferd bringt alles mit was es braucht – jedes Pferd versammelt sich beim Spielen auf der Weide, beim Steigen, rückwärts ausweichen, beim Rangeln.
Aus meiner Sicht ist es lediglich die Frage der Dosierung und der Ausführung. Zweiteres – schlechte Ausführung und Zwang, schließe ich jetzt mal aus. In Pferdebabyalter ist das mit der Dosierung einfacher. Weil Pferd ja nicht besonders viel kann. Aber auch da – mit keiner einzigen Übung baut man so viel Kraftmuskulatur/Haltemuskulatur zur Versammlungsfähigkeit auf, wie mit den versammelten/versammelnden Lektionen selbst. Wie habe ich bei Stahlecker lernen dürfen (bevor jetzt jeder schreit – ja, ein exzellenter Reiter, Handarbeiter, und nicht festgefahren – nein, ich habe mein Pferd nie verschnürt, das hätte Celta niemals ausgehalten). Und ich habe auch gelernt, wie eine nicht-zerschleißende Wiegeschritt/Piaffetritt-Übung ausschaut. Denn gefährdet sind weniger die Muskeln. V.a. sind gefährdet Sehnen, Bänder, Gelenke, Knochen. Alle 4 haben extreme Bewegungen und abrupte Richtungsänderungen nicht gerne, sowie übermäßige Langzeitbelastung (während Kurzzeitbelastungen idR sehr sehr gut weggesteckt werden, bzw. sogar eben den wichtigen Trainingsreiz darstellen).
Prinzipiell bin ich aber SEHR davon überzeugt, dass elastisch gehaltene 5min Piafftritte NICHT HALB so verschleißend für Vorderbeine, Gelenke und Sehnen sind wie v/a Traben über 20min. So. Das Heben einzelner Beine, das erste Diagonalisieren, das ist aber nicht abrupt oder harsch. Und 20 min v/a Traben sind ja für viele nur ein Witz. Viele machen da ja eher 30, 40min draus (insgesamt in einer Einheit, nicht am Stück, meine ich).
Mein Mentor früher sagte: Wenn du Ballett tanzen willst – trainierst du dann auch als allererstes 1Jahr vorab Marathon bevor du überhaupt mit Ballettübungen startest? Nein. Sicher nicht. Denn ich bin der Überzeugung, dass ich nicht die Muskeln für schwierige Hebefiguren, Tanzsschritte und Sprünge damit trainiere. Im besten Fall trainiert es Ausdauer und schadet nicht.
Letztendlich ist es sicherlich auch eine wichtige Frage der Sichtweise der Dressur im Allgemeinen: Ist die Lektion das Ergebnis der guten Ausbildung – oder ist die Lektion für die gute Ausblidung da? Ketzerischer ausgedrückt: Aus meiner Sicht ist nicht das Pferd für die Lektion da, sondern die Lektion für das Pferd. Das heisst, ich nutze die Lektion wirklich, um die Hanke zu beugen, das Gleichgewicht zu verschieben, um geradezurichten – für mich ist Piaffe, Passage, Pirouette kein Überprüfungszweck oder –baustein ala OBD-2-Testgerät, sondern gerade diese Lektionen sind dazu da, das Pferd auszubilden und zu formen. Deswegen sind für mich z.B. diese 15 Piaffetritte, die gefordert sind, ja völlig sinnlos. Dann ist es echt nur ein Abhake-Kasterl.
Ich bin überzeugt davon, dass lockeres Jogging, Kantern, … usw. alles sehr gut für die Ausdauer und das Lockern an sich ist und eine eigene Wichtigkeit hat. Dass es aber für die versammelnde Dressurarbeit wenig bis nichts bringt – abgesehen vom Herstellen des notwendigen Grundzustands, und das KANN (muss man aber nicht) man auch anders machen, z.B. durch Wiegetritte, Seitengänge an der Hand, … ich für meinen Teil sehe, dass die ganze ausgedehnte und vorbereitende v/a Arbeit, das dehnen-bis-zum-Erbrechen, das Rücken-Rücken-Rücken Celta gar nichts gebracht hat. Mindestens. Wenn nicht noch geschadet. Also abgebaut hat er dadurch definitiv. Und zwar an der Oberlinie, und an der Hanke. Und nein, ich bin nicht allein geritten damals, sondern bei einer bekannten dt. Richterin. Wöchentlich 1-2x Unterricht. Das hat überhaupt nichts gebracht. Trotzdem ist es wichtig, dass ich es abrufen kann. Abgesehen davon möchte ich ja nicht nur versammelt auf dem Platz reiten, sondern auch springen, ins Gelände, etc.

Dieses Mal im Selbstversuch also anders gestartet – eben direkt in die versammelnde Kraftarbeit, nach ein wenig „neu anreiten“, Geraderichten und Arbeitsgewöhnung. Ich bin niemand, der einfach so sagt: So, das ist das System, jetzt kommt das, dann das, dann jenes. Ich versuche auf mein Pferd zu hören. Und ich sehe folgendes: Celta hat in einer abartigen Kürze der Zeit derart aufgemuskelt und wahnsinnige Hals-, Brust-, Rücken-, Hintern- und Bauchmuskulatur entwickelt, das ist der helle Wahnsinn. Er galt bisher (insbesondere bei den FN-angelehnten Ausbildern) immer als „Hardgainer“, also einer der schlecht und schwierig Muskeln aufbaut… Ich sehe nur: Das stimmt offenbar nicht. An Fütterung und Haltung kann es nicht liegen, es hat sich ja nix geändert.
Versammelte Lektionen und der Mythos Schäden am Pferd: Es wird ja immer gesagt, oh die furchtbaren Belastungen durch Versammlung. Wenn ich mich aber umgucke, kenne ich praktisch gar kein Pferd, das durch versammelnde Lektionen körperliche Probleme bekam oder gar körperlich zerschliss. Stirnrunzelnd stelle ich fest, dass alle Sehnen-, Sehnenscheiden-, Sehnenträger- und Bänderprobleme durchgängig bei Pferden zu finden waren, die gerade NICHT stark versammelnd geritten wurden. Betrifft auch Gallen, angelaufene dicke Beine, usw. Ich habe nun 4 eigene Pferde gehabt und ausgebildet, auf unterschiedliche Weise. Auch bei Celta bin ich praktisch wieder bei dem gelandet, was bei Scampo so gut funktioniert hat. Der Ausflug in ein anderes Lager ging im Ergebnis nicht auf. Dazu kommen ca. 20-25 Beritt- und Schülerpferde, davon 6 sehr langjährige Berittpferde. Keines davon hatte Bein- oder andere Körperprobleme bekommen.

Auftrainieren z.B. Celta: Will ich damit auftrainieren, kann ich das also nutzen. Nur dann muss man wissen, was man da tut – denn: Das große Problem ist, da gebe ich dir recht, er KANN diese Übungen ja schon in hochversammeltem Grad. Da ist die Gefahr des Überforderns am höchsten, denke ich. Und ich bin auch gefährdet, weil eben auf eine gewisse Art und Weise Fokus immer gefährlich sein kann. Dessen bin ich mir bewusst, und lasse es mir aktuell von meinem Coach auch immer sagen: Aaachtung, Sehne/Band kann nicht so schnell wie Muskel, übertreibe nicht.
Deshalb hab ich folgende „Vorsichtsmaßnahmen“:
- Fokus ist pro Woche EINE der schweren Lektionen. Die anderen werden halt mal so angefragt. Aktuell hab ich z.B. Galoppwoche. Die Woche davor war Passagewoche.
- Ich trainiere max. 4 Mal die Woche, extremst selten 5x, dann muss aber mindestens einmal ohne Sattel dabei sein.
- Aufbau ist eigentlich immer gleich: Handarbeit 10-15min, alle Seitengänge und Schrittarbeit 10-15min, lockernde Seitengänge im Trab 5-10min. Danach 10-15min sofort rein in richtige, anstrengende Arbeit: Heisst Fokus Piaffe, oder Piaffe-Passage, Passage, Galopparbeit, Galoppversammlung, Galopp oder Trab Tempowechsel, Pirouettenarbeit, Wechsel, Traversalenarbeit (aber eben nur EINES dieser Themen, das dafür dann richtig intensiv!). Das ist sozusagen das HIT (High Intense Training, kennt man ja auch aus dem Krafttraining, fällt mir gerade ein). Danach spiele ich in 1-5min MAX (!! Und daran halte ich mich) alle anderen Lektionen an, zackzack Pi-Pa-Galopp-Trabtraversalen-usw. – was in den 5min nicht angespielt ist, fällt unter den Tisch. Gern auch nur angedeutet, nicht in einer Art „Grand-Prix“ sondern mehr in der Art „Hausfrau“. Nur paar Tritte. Paar Meter.
- Ende. Ich reite NICHT ab. Ich springe sofort vom Pferd und bringe ihn zurück, da gibt’s dann Fresschen, ich überbürste ihn, und dann bringe ich ihn noch auf den Sandplatz zum Wälzen. mE brauchen so stark belastete Muskeln erst einmal aerobe Phase. Sinn macht, später Schritt zu gehen noch, wegen dem Dehnen. Führanlage, oder wer Pferd im Offenstall hat ist klar im Vorteil.
- Diese komplette Einheit dauert 30-50min. Meistens bin ich aber in 40min fertig, 50min brauch ich eigentlich nur wenn eine der Galoppthemen kommen, weil Celta da Zeit braucht, es ist seine schwächste Gangart. Mehr kann ich nicht machen. Ich richte mich bei den intensiven Anteilen nach dem Schwitzbild. Ideal ist dampfen. Momentan schwitzt er aber schnell viel, weil er einfach noch wenig Grundkraft hat. Das wird besser werden. Wenn das besser ist, kann ich die hochintensive Zeit sicherlich ausdehnen, oder 2mal machen, oder oder oder. Aktuell kann er das aber gar nicht leisten. Ich sehe mir auch an, WO er schwitzt. So kann ich variieren/anpassen.
- Dabei gestalten sich die gesamten 40min wirklich so: die Arbeitsphasen werden immer unterbrochen durch Ruhephasen im Stehen am hingegebenen Zügel (ich sag mal, alle 1-5min). Da darf er machen was er will, er darf die Basis öffnen, er darf bisschen sich bewegen. Normalerweise könnte ich auch im Schritt am hingegebenen Zügel die Ruhephase gestalten – ist bei Celta aber nicht gut.

Letztendlich ist es vielleicht gar nicht so weit weg von dem wie man Kraft und Muskelzusammenspiel auch beim Menschen am effektivsten aufbaut: durch gezielte, echte, richtige Reize mit ausreichend Regenerationszeit.
Ich bin aber dieses Mal selbst erstaunt darüber, wie stark das positiv auf den Muskelaufbau und die Bewegungsabläufe wirkt, wenn man das Konzept ernsthafter verfolgt. Ich war vorher schon sehr überzeugt von dem, was ich oben geschrieben habe, aber ich habe das fast ein wenig unterschätzt, wie viel möglich ist.

Aktuell bin ich wirklich am Überlegen, einen zweiten Feldversuch hinzuzunehmen… muss mir das zeitlich nur gut überlegen, weil das nur an einem Stall ginge.
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Abeja
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Beitrag von Abeja »

Sehr interessant. Auf diesen Ansatz bin ich kürzlich auf einem Reitlehrgang (Akademische Reitkunst) gestoßen. Die Trainerin sagte sinngemäß: nicht das Reiten der Lektionen, sondern der Weg dahin trainieren das Pferd. Das leuchtet mir wirklich ein.
Liebe Grüße Birgit
Senselessme
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Beitrag von Senselessme »

Vielen Dank, dass du das so ausführlich erklärt hast. Ich finde das Thema ja hochspannend, aber hatte ich ja schon gesagt. Auch Den Zeitplan finde ich sehr interessant.
Ich glaube aber trotzdem, dass ein Pferd das auch erstmal alles gekonnt haben muss. Oder denkst du, du könntest mit einem Jungpferd ähnlich arbeiten?
Ich glaube, dass das Muskelgedächtnis da enorm viel reinspielt, wie im Fall von Celta. Es ist leichter, Muskeln aufzubauen, die schon mal da waren. Natürlich Bänder, Sehnen etc. Brauchen deutlich länger, da muss man dann arg aufpassen.

Bezüglich Jungpferd Nehm ich mal meine als Beispiel, sie kann natürlich noch keine hohen Lektionen, daher verdeutliche ich mal mit Schulterherein!
In der Handarbeit ist sie darin recht sicher, ich kann Biegung und Stellung variieren und habe jetzt so lange an der Lektion an sich geübt, dass ich sie verwenden kann, wenn ich sie brauche. Ein Hinterbein nimmt im Geradeaus weniger Last auf, also nehme ich das SH um dieses Bein mehr zu belasten und zu beugen. Das Geradeaus wird besser, das ist es ja auch was du meinst. Reite den Inhalt und nicht die Lektion. Allerdings hüte ich mich gerade davor, das auch schon unter dem Reiter zu erarbeiten, weil Jungpferd ja erstmal geradeaus geritten, viel ins Gelände(arbeite ich dran, geht jetzt los) und will die gerittene Platzarbeit sowieso einschränken, sobald ich regelmäßig mit ihr ausreiten kann.
Nach deiner Argumentation wäre es aber zielführender für die Geraderichtung, es auch schon mit einzubauen. SH kann ja lösend und versammelnd wirken. Du siehst, das Thema beschäftigt mich sowieso schon länger.
Hanni bietet SH sowieso schon an, aber dann eher um sich zu entziehen. Ein wenig einrahmen und da könnte schon was vernünftiges draus werden, im Moment ignoriere ich es eher und mach meinen Plan weiter.

Zum Abreiten, was genau verstehst du drunter? Ich führe oder reite immer solange weiter, bis sie nicht mehr pumpt, also Atmung normal ist. Schwitzen ist mir da relativ egal, entweder ist es warm, dann wird sie danach nochmal abgeduscht, ansonsten gibt es ne Abschwitzdecke drüber. Den Punkt fand ich eh immer irgendwo komisch.

Entschuldige bitte, wenn es etwas wirr ist, am Handy ist das Schreiben etwas mühsam.
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amara
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Beitrag von amara »

Oder denkst du, du könntest mit einem Jungpferd ähnlich arbeiten?
Ja, glaube ich schon - in den Grundzügen. Letztendlich würde ich es bei einem Jungpferd heute gleich machen. Scampolo habe ich so angeritten - der konnte praktisch alles in Kinderausführung an der Hand schon, bevor ich das erste Mal drauf saß. Der Unterschied ist also eher – ohne Reiter. Und - Was natürlich nicht so schnell geht, ist jetzt die Kürze der Ausbildungszeit, also Celta macht ja grade Zeitraffer, bzw. ist eigentlich aus dem Zeitraffer schon wieder raus und ist mE von der Sauberkeit der Lektionen über dem, was er jemals gezeigt hat. (was noch nicht geht, ist das Aneinanderreihen der Lektionen sowie die Dauer)
Unterschied bei einem Jungpferd wären nicht die Lektionen, sondern eben mit/ohne Reiter, Dauer und Ausführung. Als Scampo 4 1/2 oder 5 war, konnte er das meiste schon in einer Art Kindergartenausführung. An der Hand, ohne Reiter. Und eben – rudimentär.

Abreiten: Ja, genau… das Schritt bis nicht-mehr-Schwitzen. Wie gesagt, ich reite nicht mal bis Atmung normal. Ich steige sofort ab. Vielleicht führe ich noch eine Runde. Aber eher nicht. Ich habe noch nie verstanden, wozu das gut sein soll. Es sei denn, das Pferd will das…
Senselessme
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Beitrag von Senselessme »

Dann halten wir das ähnlich mit dem abreiten, das beruhigt mich etwas. Ich mach das mit mir selber auch, wenn ich Sport mache, habe ich auch meistens keinen Bock mehr auf ein Cooldown, sondern bin froh, wenn ich fertig bin. Hab ich auch noch keine schlechten Erfahrungen damit gemacht.

Sag mal war Stahlecker der mit der HSH Methode oder verwechsel ich da was? Ich glaube, fast ich lese zu viel und dann bring ich die Dinge durcheinander. :roll:
Aber genauso machen es ja auch die Akademiker und noch einige andere Richtungen und so arbeite ich mit Hanni auch. Nur eben langsamer. Also klingt für mich durchaus ziemlich logisch!
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Danke für das interessante Thema. Ich habe im Laufe der Jahre die Sichtweise dazu wohl mehrfach geändert (aufgrund von jeweils fundierten, logisch erscheinenden Aussagen dazu) :wink:

In Amaras Tagebuch war ja genau das auch eine meiner Fragen und ehrlich gesagt auch eine Skepzis, als der Neustart recht spontan in die versammelnden Lektionen ging. Das hat mal wieder zum Nachdenken angeregt

Ganz grob denke ich, dass sicher auch das "Vermögen" des Pferdes eine Rolle spielen dürfte. Sowohl das körperliche, exterieurbedingte, als auch das Vermögen, das aufgrund von Arbeitseinstellung und "Köpfchen" beeinflusst wird.
Ein Pferd, das von sich aus eine gute Balance hat, geringe körperliche Schiefe, insgesamt ein "geeignetes" Exterieur, dem fällt sicher versammelnde Arbeit leichter, als dem Pferd, das für viel Schub oder wie ein Zugpferd eben für ganz andere Leistung ausgelegt ist. Unabhängig von der Arbeitseinstellung, die dann noch zusätzlich reinspielt, wird ein Pferd, das sich körperlich schwerer tut, erfahrungsgemäß auch eher vom Kopf her den Stop-Knopf betätigen, als eines, das easy durch die Schritte geht. (Erfahrungsgemäß bezieht sich in meinem Fall nicht aufs Reiten, sondern auf zB gymnastizierende Bodenarbeit - für manche Pferde ist alleine übertreten eine echte Herausforderung, und klar, wenn sie dabei das Gefühl haben umzufallen, dann "wollen" sie das auch nicht so gerne).

Abreiten: auch das finde ich einen immer wieder interessanten Aspekt. Ich habe von Kindheit an nicht gelernt, dass Pferde "auslaufen" müssen. Bzw da wo ich erstmals Reiten gelernt habe war Offenstallhaltung selbstverständlich, dh die Pferde haben sich wie sie mochten bewegen können ohnehin nach dem Reiten. Und in ihrer Freizeit haben sie eindrucklich demonstriert, dass toben bis zum Schwitzen und Pumpen nicht bedeutet, dass man sich danach gemächlich bis zum "Abkühlen" im Schritt bewegen muss. :D
Als ich irgendwann mit ca Mitte 20 einen Artikel eines Tierarztes contra Decken und eben auch contra Abschwitzdecken gelesen habe, war mir das völlig einleuchtend. :D

Und falls es sich missverständlich liest:
nicht geeignetes Exterieur meint für mich nicht, dass man nicht auf diese Art mit dem Pferd arbeiten kann oder soll, nur halt im Hinterkopf die ggf. eher erreichten Grenzen für dieses Pferd sein sollen für mein Empfinden.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
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amara
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Beitrag von amara »

Hallo Finchen, hm, ich denke über den Punkt nach.
Ich glaube, das Vermögen ist zweitrangig, wenn einem bewusst ist, dass es dann nicht gleich so "nah am Zielausdruck" ausschaut. Also, ich glaub halt dann hat man als Laie vielleicht das Problem, dass man die Ansätze gut erkennen muss. Und das denke ich, ist wirklich dann für manche schwierig. Also so ala - eine Kindergarten-Piaffe eines Celta sah vielleicht schon von Anfang an ziemlich in die richtige Richtung aus, während man bei einem weniger begabten Pferd mehr Wissen - oder dann als Laie mehr Fantasie braucht, um zu sehen dass das in die richtig Richtung geht. Weisst du was ich meine?

Eben genau - für manche ist das Übertreten schon schwierig, und das einzelne heben der Füße, während andere gar nie auf so "einfachem" Niveau anfangen mussten, weil halt schon mehr da ist. Trotzdem glaube ich aktuell, dass es trotzdem geht. Oder vielleicht grade dann wichtig ist.
Problematisch finde ich, dass diesen Weg ja heute kaum jemand unterrichtet. Und dann steht man alleine da, und muss wie ich ständig Try and Error spielen, das kostet viel Zeit, Nerven und v.a. Selbstzweifel. Das finde ich sehr schade... auf der anderen Seite hat man dann oft auch viel schon durchgedacht und verstanden, was man anders im Unterricht oft einfach konsumiert ohne stundenlanges Sinnieren. :lol:
lescue
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Beitrag von lescue »

Prinzipiell stimme ich Euch zu - auch ich bin ein "Zweifler zwischen den Ausbildungswegen", hab aber für mich noch nicht zu einem abschließenden Urteil gefunden. Vielmehr glaube ich, "it depends" ;) .
Es ist auch immer schwierig zu sagen, was gewesen wäre wenn - Erfahrung ist halt leider keine wissenschaftliche Untersuchung.
Was man nicht vergessen darf hierbei sind die Fähigkeiten des Reiters/ Ausbilders: auch vom Boden aus kann man da schon viel falsch machen und die meisten Reiter wären mit Deinem jetzigen Weg wahrscheinlich schon aufgrund ihrer eigenen Limitationen was Sitz und Einwirkung angeht überfordert (m.E. auch ein großes Problem in den Oliveira Stables, außer Manuel und Carlos kann da kaum einer richtig sitzen und reiten dadurch handlastig).
Es hat bei meinen Lusis zB Jahre gedauert, ihnen das binnen kurzer Zeit auf Lehrgängen antrainierte geöffnete LSG und Ausweichbewegungen in der LWS in der Versammlung wieder abzugewöhnen. Da hat dann durchaus geholfen, abschnittsweise eher in die Tiefe zu reiten und penibel auf einen angehobenen Brustkorb, ein Längen der Oberlinie zum Erreichen von Stabilität in der Längsachse zu achten.
Und fehlende Ausbilder sind hier wirklich ein Problem - in beiden Lagern...
Grüsse aus Hamburg,

Leonie
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

amara hat geschrieben:Hallo Finchen, hm, ich denke über den Punkt nach.
Ich glaube, das Vermögen ist zweitrangig, wenn einem bewusst ist, dass es dann nicht gleich so "nah am Zielausdruck" ausschaut. Also, ich glaub halt dann hat man als Laie vielleicht das Problem, dass man die Ansätze gut erkennen muss. Und das denke ich, ist wirklich dann für manche schwierig. Also so ala - eine Kindergarten-Piaffe eines Celta sah vielleicht schon von Anfang an ziemlich in die richtige Richtung aus, während man bei einem weniger begabten Pferd mehr Wissen - oder dann als Laie mehr Fantasie braucht, um zu sehen dass das in die richtig Richtung geht. Weisst du was ich meine?
Genau, es sind dann die kleineren Schritte - oder ganz banal die Einstiegselemente wie an der Hand übertreten lassen, die es für manche als "Übung" braucht, und die die "Talentierten" nicht brauchen, weil sie es von sich aus mitbringen.

Ich meinte also nur es ist dann der Weg ein anderer, über andere Zwischenschritte vielleicht, kleinschrittiger, noch mehr "Basics" zunächst. Nicht aber wollte ich damit sagen, dass es deshalb mit den nicht so "geeigneten" Pferden nicht so gehen kann.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
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