Alte Meister - sanft oder grob?

Rund um die klassische Reitkunst

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Nakim

Beitrag von Nakim »

Egon von Neindorff war nicht grob oder hart zu seinen Pferden. Ich war als Jugendliche lange und oft am Institut und habe nicht eine! Situation erlebt wo "herzhaft zugefaßt" wurde. Wir Jungen die Ehrgeizig waren hätten das sicher eher mal gerne getan. Aber wehe wenn es jemand gesehen hätte. Ihn selbst sah ich nie grob, unbeherrscht oder "hinlangend" in all den Jahren und bei sehr sehr vielen Pferden. Und er hatte viele Korrekturpferde, Pferde die keiner mehr wollte oder auch gefährliche Tiere. Beißer, Schläger, Steiger und Buckler.

Wie selten das war habe ich erst viel viel später verstanden.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@ Nakim: EvN war ein außergewöhnlicher Reiter, dem vieles gelang, wonach andere ihr Leben lang suchen und es trotzdem nie finden.

Ich "Ottonormalverbraucher" halte es so wie esge, und meine Pferde kommen gut damit klar. Der Ältere kennt mich lange genug, ihm lasse ich bestimmte Freiheiten, er weiß aber ganz genau, welche Grenze er nicht überschreiten darf. Der Große ist zwar schon 10, aber er testet noch immer gerne aus und muss ab und zu in seine Schranken verwiesen werden. Wir sind halt völlig normal :wink:
Viele Grüße
Sabine
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Barbara I
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Beitrag von Barbara I »

Ich finde, man muss "harte" Einwirkungen unterscheiden, je nachdem, wie sie angewendet werden.

-> Folgt die "harte" Einwirkung auf eine erklärende Hilfe, kann das Pferd verstehen, was es soll, und hört die Einwirkung augenblicklich auf, wenn es das Richtige tut?

-> Oder ist die Einwirkung mit Aggression verbunden, das Pferd versteht sie nicht, es resigniert, hat vielleicht Angst?


So kann eine für das Pferd unangenehme Einwirkung ganz unterschiedlich bewertet werden. Wenn ich zum Beispiel freundlich nach "vorwärts" frage und es kommt nicht die erwünschte Reaktion, kann ich eine für das Pferd unangenehme Einwirkung nachsetzen, muss es dann aber auch "vorwärts" lassen. Das ist fair, und effektiv.

Wenn man sich aber ärgert, weil etwas nicht klappt, holt aus und verpasst dem Pferd einen kräftigen Schlag, hat es nichts Positives gelernt, sondern auf Dauer eher die "erlernte Hilflosigkeit" (neben anderen unerwünschten Effekten).


:arrow: Ich vermute, dass die alten Meister genau wussten, wie sie das gewünschte Ziel erreichen, und daher in der Regel fair und effektiv gehandelt haben.


Irgendwo habe ich mal das Zitat gehört (vergessen, von wem): Je mehr Druck man ausübt, desto schneller lernt das Pferd. Aber leider auch das Falsche.

Ich für mich schließe daraus, dass ich lieber super-vorsichtig bin und im Schneckentempo neue Dinge erarbeite, weil ich nicht das Wissen und die Erfahrung habe, wie die "Großen" der klassischen Reitkunst. Deswegen verurteile ich aber nicht, wenn ein wirklicher Könner mit dem Pferd härter umgeht, als ich es würde.
Und da ist die gruselige Erklärung vom Steinbrecht zum blutig-Spornieren des Pferdes mit eingeschlossen. Es waren andere Zeiten, andere Pferde, andere Ziele.
Nakim

Beitrag von Nakim »

sicher war er ein außergewöhnlicher Reiter. Aber auch er arbeitete nur mit dem was andere auch haben. Seinem Sitz und seiner Einwirkung. Später dann nur noch am Boden. Aber das was ich sah war so außergewöhnlich nicht, daß ein durchschnittlich begabter Reiter es mit Fleiß und an sich arbeiten hin bekommen könnte. Gutes Handwerk kann jeder lernen. Die Kunst sicher nicht. Aber leider sieht man selten schon gutes Handwerk.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@ nakim
Das ist richtig. Einfaches Handwerk kann (fast) jeder erlernen.
Bei allen besonderen Talenten/Künstlern beruht der Erfolg zu 90 % auf harter Arbeit und Hingabe. Das unterscheidet sie auch von den meisten anderen (die nicht bereit sind, so hart zu arbeiten).
Trotzdem bin ich der Meinung, dass besondere Reiter ein besonderes Gefühl für das richtige Timing haben. Das ist etwas, was man sich zwar mit jahrelanger Erfahrung gut erarbeiten kann, das letzte kleine Bisschen beruht jedoch ausschließlich auf diesem besonderen Talent. Und das unterscheidet den Künster vom Handwerker.
Viele Grüße
Sabine
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atreju
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Beitrag von atreju »

Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen: Egal ob Guérinière, EvN, Oliveira oder z.B. Baucher. Sie kochten alle nur mit Wasser! (wie auch die neuzeitlichen Ausbilder)

Den Ausschlag bei der Pferdeausbildung gibt aber noch heute der Charakter des Ausbilders: Hat er sich unter Kontrolle? Ist er in der Lage ehrlich in den Spiegel zu schauen? Je nach der individuellen Fähigkeit zur Sensibilität wird demzufolge auch das Pferd in seiner Ausbildung immer sensibler werden können. Früher hat man zwar z.T. heftigste Gebisse gehabt, ich würde aber nicht soweit gehen, dass einfühlsames Reiten ausgeschlossen war.

War der Ausbilder jedoch nicht so einfühlsam, darf davon ausgegangen werden, dass er aufgrund seiner eingeschränkten sensorischen Möglichkeiten einfach eher die handwerkliche Seite dieses Berufes ausüben konnte.

Deswegen geben ja z.B. Baucher und Olivera offen zu, dass sie ihr System immer wieder überprüft haben und zu verbessern suchten. Nur kann man wie MAX1404 schon sagt auch hier nur die wirkliche Kunst erreichen, wenn man die Einfühlsamkeit für das Lebewesen, das ja auch eine Seele hat, stetig bewahrt und auch mal hinhört. Und je älter die Ausbilder wurden, desto eher waren sie bereit hinzuhören.

Ich stelle für mich fest, dass z.B. in der Literatur wie auch in den Videos von Oliveira zu merken ist, das er vor allem in den älteren Jahren noch mehr für das Pferd dachte. (Ich habe leider kein Interview und dokumentierten Reitunterricht aus seinen anfänglichen Jahren auf Video.)

Das empfand ich auch bei Baucher so. Allerdings war Baucher in meinen Augen nicht so einfühlsam wie Oliveira. Das mag an der Zeit gelegen haben aber auch sicher an seiner Persönlichkeit.

Am Anfang sind auch die 3 erwähnten alten Meister sicherlich davon beseelt gewesen, ein altes System zu verbessern. Und Baucher wie auch der neuzeitliche Oliveira haben in jungen Jahren ja die tollsten Sachen vollbracht. Und ich glaube dass sie gerade in dieser Zeit wie bereits erwähnt wohl nicht sehr zartfühlenden Umgang pflegten. Denn sie hatten sich enorm unter Druck bzw. ein hohes Ziel gesetzt. Man denke nur an die Auftritte im Zirkus und die abgeschlossenen Wetten. Und sie schafften es!

Doch die eigentlichen Erkenntnisse kamen erst mit den Jahren, so dass sie das Lebewesen und die Harmonie des Pferdes unter dem Sattel in den Vordergrund stellten.

Zitat von moreno: "Baucher hat sich ein Leben lang entwickelt, hat probiert, überlegt und gesucht und kam schließlich beim "Pantoffelreiten" und der Trense raus. "

Die Bemerkung das die Schüler von O. auch deftig hinlangen halte ich nicht für generalisierbar. Denn nur weil sich viele Schüler von irgendwem nennen, werden sie seine Lehren nur eingeschränkt anwenden können. Weil es eben jeder selber lernen muss! Das kann einem niemand abnehmen. Auch kein großer Meister!

Man kann sich an den Größen unserer Zeit und den berühmten Alten wohlwollend orientieren - ja natürlich! Warum auch nicht.

Aber ich würde es für sehr arrogant halten, wenn jemand sein Pferd wissentlich quält (!) mit dem Argument: das haben die früher auch so gemacht.

Denn wer so etwas behauptet, der hat nichts verstanden!

Gruß
atreju
„Hab also acht, Reiter, auf dich selbst.
Ist dein Pferd stützig, heftig, ungefügig, so dürfen wir kecklich die Behauptung aufstellen, dir gebricht es an liebenswürdigem Charakter und richtiger Methode.“
Francois Baucher
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