Augenschmaus-Ritte

Rund um die klassische Reitkunst

Moderatoren: Julia, ninischi, Janina

Zentaure

Beitrag von Zentaure »

Um hier auch mal was positives beizusteueren, denn es geht ja um den Augenschmaus:
http://www.youtube.com/watch?v=s-xYSsLC ... re=related

dieser Link wurde schon von Rosana eingestellt, auf Seite 70,
mir gefallen hier viele Momente sehr.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

An diesem Link sieht man sehr deutlich, dass sich das Bild der Reiterei in den letzten 40 Jahren sehr verändert hat, hin zur Bevorzugung der schwungvollen, stärker kadenzierten Gänge der Warmblüter.

Mir fällt auf, dass die Traversalen bei weitem nicht so stark gestellt und gebogen ausgeführt werden wie heute gemeinhin gefordert wird. Das kann mit dem unterschiedlichen Pferdetyp zu tun haben: Mein Max war vom Typ her eher ein "barockes" Pferd, er hat auf Grund seiner breiten Rippe und seines kurzen Rückens die Traversalen niemals so stark gebogen ausführen können wie es mein rahmiger Rocki kann (der vermutlich schon im Mutterleib traversieren konnte :lol: ).

Max' Trabverstärkung sah übrigens immer genau so "gelaufen" aus wie die der Lippizaner bei etwa 6.20, was bei Turnieren jedes Mal negativ im Protokoll stand. Ich habe ihn mit viel Mühe zu einer eher "warmblutmäßigen" Verstärkung gebracht, ich habe sie noch auf Videokassette und bin sehr stolz darauf. Diese Verstärkung war erheblich ausdrucksvoller als das, was er "von Natur aus" anbot, auch wenn er sie mühsam gelernt hat.

Ich kann mir jetzt nach diesem Video auch endlich vorstellen, was Plinzner meinte, als er schrieb: "Ich hatte den alten Herrn wohl öfters einmal im Tiergarten getroffen, wo man ihn in keineswegs sehr elegantem Kostüm in nachlässigen, losen Sitz mit tanzenden Händen meist in einer halben Schulterhereinstellung in einer Gangart zwischen Schritt und Trab sein Pferd arbeiten sah ..." @horsmän: in diesem Video sieht man wirklich keine Schwebephase im Trab! (nicht böse sein :wink: )

Ich denke, dass man diesen barocken Pferdetyp sicherlich unbeschadet über lange Jahre in diesen schwunglosen Gängen arbeiten kann, dass ein Warmblüter aber dauerhaft Schaden nehmen würde, weil er nicht im Rahmen seiner naturgegebenen Bewegungen gearbeitet wird.
Viele Grüße
Sabine
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esge
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Beitrag von esge »

Jein!

Ich glaube, dass es auch den meisten WBs gelegentlich gut täte, in kleinen Gängen gearbeitet zu werden. Mal richtig schlampert. Einfach nur losgelassen, locker, entspannt. Dann wieder mehr hintreten lassen. Immer im Wechsel.
Es kommt dann aufs Pferd an, welche "Dosierungen" in diesen Mix gelegt werden. Das eine Pferd braucht viel "schlamperte" Arbeit und wenig "hintreten", das andere genau das Gegenteil und ein drittes Pferd bittschön 50:50.
Ich glaube, dass diese dauerhaft schwung- und schubbetonte Arbeit die Pferde vorzeitig verschleißt. Losgelassenes Rückenschwingen kann ohne vermehrtes Hintreten erreicht werden, ist gelenkschonend und schafft eine ruhige Arbeitsathmosphäre, verbessert zudem ungemein die Balance und führt zu Leichtheit. Ist das erreicht, kann gern, je nach Talent und Ausbildungsstand des Pferdes, daraus zugelegt, bzw. kadenziert werden, mehr Ausdruck reingebracht werden. Aber nur wenn eben vorgenanntes erfüllt ist.
Loslassen hilft
Phanja

Beitrag von Phanja »

@esge
Das kann ich unterschreiben - Schwung kommt ja von mehr Schwingen und nicht von mehr Schieben
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Cubano
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Beitrag von Cubano »

Max1404 hat geschrieben: Ich denke, dass man diesen barocken Pferdetyp sicherlich unbeschadet über lange Jahre in diesen schwunglosen Gängen arbeiten kann, dass ein Warmblüter aber dauerhaft Schaden nehmen würde, weil er nicht im Rahmen seiner naturgegebenen Bewegungen gearbeitet wird.
Moins,
das sehe ich komplett anders: Ich denke, dass es GERADE für die barocken Kurzrücken extrem wichtig ist, in schwungvollen Gängen (im Rahmen ihrer Möglichkeiten, logischerweise) gearbeitet zu werden. Die Gefahr, dass die ohnehin oftmals "strammen" Rücken dieser Pferde sich sonst noch mehr festmachen, wäre mir viel zu groß. Und auch ein Iberer hat das in seinen naturgegebenen Bewegungen drin, die trippeln und latschen keineswegs von Haus aus. Kann man übrigens prima an den Bildern von den freilaufenden Jungiberern sehen, die Rapunzel hier mal eingestellt hat.
Das Video finde ich schön anzusehen, bemängle (außer der Tatsache, dass auch hier manchmal ein Pferd HdS kommt, was laut Meinung einiger hier ja früher nie passiert sein soll… :wink: ) aber exakt das Gleiche, wie bereits auf dem Lippi-Video: zu wenig schwungvoll, zu sehr gelaufen, zu sehr Schenkelgänger. Dass die Pferde damit übrigens steinalt werden können, glaube ich unbesehen, mein Ziel in der Reiterei wäre es dennoch nicht.
Max1404
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Beitrag von Max1404 »

@esge + phanja: Ja, da stimme ich zu: heute wird vielfach zu sehr schubbetont geritten, was ich ja auch immer kritisiere. Das bringt sehr hohen Verschleiß.
(Bitte belegt das Wort Schwung doch nicht immer mit dem Stigma "Vorwärtsscheuchen" - davon redet hier im Forum keiner!)

Ein ruhigeres Tempo ist notwendig, um die Hinterhand zu mehr Lastaufnahme zu bringen und daraus dann eine Versammlung zu erarbeiten. Wichtig dabei ist, dass das Hinterbein auch beim ruhigen Tempo immer fleißig bleibt und Richtung Schwerpunkt tritt - etwas, was ich ich vielen modern-pseudo-barocken-Schlurf-Videos nicht sehe (da ist nämlich die Vorhand in Stockholm, und die Hinterhand in Kapstadt :wink: ).

Wenn ich ein Pferd wirklich beurteilen möchte, sehe ich mir das Pferd lieber im Freilaufen als unter dem Reiter an. Nur da kann ich das Potential erahnen (sofern das Pferd nicht schon durch Jahre schlechter Reiterei so verspannt ist, dass man das auch in der freien Bewegung sieht). Für mich ist immer die natürliche Bewegung des Pferdes das Vorbild. Wenn ich es schaffe, dies unter dem Sattel genau so abzurufen und sogar noch zu verbessern, dann habe ich richtig gut gearbeitet. Ein gut gearbeitetes Pferd bewegt sich auch auf der Koppel beim Spielen mit gutem Gleichgewicht und gut untergesetzter Hinterhand.

@cubano:Bereits Pluvinel hat gesagt, dass man sich beim Reiten die Natur zum Vorbild nehmen muss. Die "Alten" haben aber auch ganz klar zwischen natürlichen Gängen und den Kunstgängen / Schulgängen unterschieden, die wir in dem Video gesehen haben. Das gefährliche bei diesen Videos ist es, dass weniger gute Reiter versuchen, dies zu imitieren, obwohl sie selbst als Reiter dazu nicht in der Lage sind und das Pferd sowieso nicht ausreichend darauf vorbereitet ist, Schulgänge zu gehen. So kommt es dann zu den Karikaturen aus unserer Zeit, die man in Youtube dann bewundern kann.
Wir beide haben auf jeden Fall die gleichen Ziele beim Reiten!
Viele Grüße
Sabine
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Phanja

Beitrag von Phanja »

@Max1404
Da gebe ich dir recht. Und ich wollte damit auch nicht "Vorwärtsscheuchen" ausdrücken, sondern einfach betonen, dass der Schwung nichts mit der Geschwindigkeit zu tun hat, sondern genau das Ergebnis davon ist, dass der Hinterfuß ZUM Schwerpunkt hinfußt und nicht VOM Schwerpunkt wegschiebt.
Vorhanden sind natürlich beide Extreme - die übereilt reitenden, bei denen das Pferd zwar hinten rausschiebt, aber trotzdem nicht richtig vorgreift und die, bei denen weder nach vorne noch nach hinten was passiert.
Genau deshalb denke ich, ist es eben nicht immer die Lösung einfach mehr Vorwärts zu reiten (sprich - Geschwindigkeitserhöhung), sondern dem Pferd verständlich zu machen, was ich mit dem Schenkel erreichen will. Der Schenkel soll ja nicht schneller machen, sondern den Hinterfuß nach vorne holen - und das muss das Pferd verstanden haben.
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Jen
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Beitrag von Jen »

Nur kurz:

je höher das Tempo, desto höher ist der Muskeltonus. Ein festes, verspanntes Pferd kann daher gut in ruhigerem Tempo (und trotzdem vor dem schenkel sein) gelöst werden, ein hypermobiles Pferd durch ein frischeres Tempo stabilisiert werden. Das sind einfach biomechanische Fakten, keine 'philosophischen'.
Liebe Grüesslis, Jen
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Unterdessen habe ich mir mal gleich den ganzen “Miracle of the White Stallions”-Film angesehen, und dabei ist mir Folgendes aufgefallen: Mal ganz abgesehen von der Diskussion darum, welche Ausbildung nun für die Pferde besser ist, unterscheiden sich für mich moderne Sportdressurpferde bei Turnieren von den Lipizzanern im Film etwa so wie Kunstturner (und manchmal auch Soldaten im Stechschritt) von klassisch ausgebildeten Schauspielern, die nicht gehen, sondern schreiten (ich denke da z.B. an eine Szene mit Stewart Granger im “Prisoner of Zenda”). Sowohl der Sportler wie der Schauspieler brauchen grosse Körperbeherrschung, aber die Ausstrahlung ist eine andere. Keine Ahnung, wie ich diese Wahrnehmung jetzt reittechnisch einordnen soll.

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ottilie
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Beitrag von ottilie »

@Gawan - besteht der Unterschied in einer gewissen Eleganz, die die einen haben, die anderen jedoch nicht? Wo dann dafür mehr "Kraft" durchschimmert?
Es grüsst ottilie
~~~~~~~~~
Wo die Kraft anfängt, hört das Gefühl auf (Moshe Feldenkrais)
Zentaure

Beitrag von Zentaure »

Schulgänge,der Schulgang, das ist die höchste Versammlungstufe der Grundgangarten.Die hohe Schule sozusagen.
Gut ist die Anmerkung man soll sich hüten das nachzureiten, es sei denn man könne das.Aber heute gibts sowas wie Respekt vor schwierigen Lektionen nicht mehr, da reitet Lieschen munter Schulterherein am Zirkel .
Aprops darüber sollte ich einen thread eröffnen.
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

ottilie hat geschrieben:@Gawan - besteht der Unterschied in einer gewissen Eleganz, die die einen haben, die anderen jedoch nicht? Wo dann dafür mehr "Kraft" durchschimmert?
Ja, so kann man es auch sagen. Die Lipizzaner wirken auf mich auch lässiger und souveräner (echt schwierig, die Worte zu finden, die meinen Eindruck passend beschreiben), als wäre das, was sie tun, eigentlich ganz einfach. Die "Sportler" dagegen haben ihre ganze Energie auf ein Ziel fokussiert, was dann anstrengend aussieht.
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Beitrag von Max1404 »

Gawan hat geschrieben:Die "Sportler" dagegen haben ihre ganze Energie auf ein Ziel fokussiert, was dann anstrengend aussieht.
Hat nicht Rainer Klimke gesagt, dass etwas richtig gut war, wenn es aussieht, als wäre es ganz einfach gewesen?

Aber Klimke ist bereits damals für seine "sportliche" Reiterei von den Klassikern kritisiert worden. Angeblich soll er, wenn er keine Prüfung geritten hat, in der Tradition feinster französischer Legerete geritten sein. Für die Prüfung kam dann wieder der Sportler zum Vorschein, weil genau das die Richter sehen wollten.

Es sind zwei verschiedene Stilrichtungen, auch wenn die Basis die gleiche ist (oder sein sollte - bei Klimke war es das noch, über AvG und IW lege ich lieber den Mantel des Schweigens :wink: ).
Viele Grüße
Sabine
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maurits

Beitrag von maurits »

das mit Klimke und der Legeretettee halt ich für ein Gerücht.
Und was für eins. :D
Selten so gelacht.

grüße
m
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Dass Klimke in den Prüfungen "deutlicher" geritten sein soll als privat, habe ich auch in den Neunzigern von Solinski gehört. Scheint also ein altes Gerücht zu sein.

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