Was bedeutet bzw beinhaltet klassisch Reiten?

Rund um die klassische Reitkunst

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Jen
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Re: Was bedeutet bzw beinhaltet klassisch Reiten?

Beitrag von Jen »

GingerCC hat geschrieben:Ok, die meisten die wohl hier sind sagen (so habe ich den Eindruck) sie reiten Klassisch.

Blos was heißt das genau?
ja, diese Frage ist gar nicht so einfach, wie sie scheint. Zeigen ja auch die diversen Diskussionen in den verschiedenen Foren.

Für mich ist klassisches Reiten im engeren Sinne schon an die zeitliche Epoche bzw. an wenige grosse Namen gebunden. Ich hoffe, ich erzähle da nun keinen historischen Quark, da jetzt nur aus dem Kopf: Guérinière ist sozusagen der Wegbereiter für das "klassische Reiten" und der Klassiker an sich für mich ist dann Gustav Steinbrecht. Alles was danach kommt bezieht sich zwar auf die "Quelle" des klassischen Reitens, allerdings hat es durchaus auch modernen Touch. Wenn wir zb. die FN-Richtlinien von den Anfangszeiten zu heute vergleichen (siehe dazu den excellenten Artikel von esge in den Dressurstudien *schleichwerbungmach*) so hat sich nur schon in den letzten knapp 100 Jahren sehr viel verändert. Deshalb kann ich jetzt nicht sagen, dass das was die FN heute als ihre Richtlinien hält *das* klassische Werk ist. Es ist ein modernes Werk, was auf der Klassik beruht. Aber es ist nicht *die* Klassik. Da ist für mich zb. ein Branderup, welcher sich explizit auf Guérinière und Steinbrecht bezieht "klassischer".

Nun kommt sicher die berechtigte Frage: ja und Baucher? Der ist ja Zeitgenosse von Steinbrecht. Hm. Ja, aber er hat eine starke Wende ausgelöst und viele Neuerungen in die Reitkunst eingebracht. Ich habe mich zuwenig mit ihm beschäftigt, weshalb ich nichts zu seinen Vorbildern sagen kann. Bezieht er sich denn auch auf Vorbilder? Wenn ja, welche? Wenn nein, dann kann ich das eigentlich nicht im gleichen Sinne als "klassisch" benennen. Oder?

Natürlich gibt es auch noch andere Linien in der Reiterei, mit anderen Quellen und anderen Vorbildern. Jedoch würde ich diese nicht als klassisch bezeichnen.

Dies möchte ich einfach mal wertungsfrei feststellen. Das hat nichts mit "gut" oder "böse", "richtig" oder "falsch" zu tun.

So, und was reite ich jetzt selber? Ehrlich gesagt, ich weiss nicht, wie ich "meinen" Reitstil nennen soll und komme auch immer wieder in Verlegenheit, wenn ich dazu gefragt werde. Meist sage ich einfach: Freizeitreiten mit Schwerpunkt auf der Dressur(-mässigen Gymnastizierung).

Ich probiere mich sowohl auf "alte Weisheiten" verschiedenster Richtungen zu stützen, grob gesagt: wie und was man macht (man muss ja nicht immer wieder das Rad neu erfinden) gleichzeitig aber auch moderne Erkenntnisse der Biomechanik, des Bewegungsapparates, sowie der Lern- und Verhaltenspsychologie miteinzubeziehen, grob gesagt: warum und wieso man was macht, mit den nötigen Anpassungen an das "wie" man's macht.
Reite ich mit den entsprechenden Geräten (Sättel und Zäumung) wie damals die Reiter?

Oder lehne ich mich an die Reiterei von damals an, egal welches Equipment (Zäumung, Sattel) ich benutze?

Wollen wir Kostümreiten?

Wollen wir wirklich versuchen in Orginal-Kleidung Spanisch / Portugiesisch oder a la Wiener Hofreitschule reiten? Aber nicht nur die Kleidung, sondern auch die Art und Weise.
Ausrüstung, Kleidung etc. definieren kein Reitstil. Allerdings kann es vielleicht gewissen Personen zur Identitätsfindung verhelfen, wer weiss. Es ist ja heutzutage nicht ganz einfach, in dem Wust an Reitphilosophien/Lehren und was es alles so gibt. Ich verurteile niemanden, der sich gerne speziell kleidet. Für mich steht jedoch bei der Ausrüstung die Nutzbarkeit im Vordergrund. Sprich: Wie ich mein Pferd zäume kommt darauf an, was ich damit bezwecken will, also ob Kandare oder Trense oder gebisslos oder.... Der Sattel orientiert sich auch am Verwendungszweck: will ich hauptsächlich im Gelände reiten, will ich Dressurreiten, will ich springen, will ich Rinder treiben etc. Also wähle ich den Sattel, der dazu passt, denn es hat einen tieferen Sinn hinter der konstruktionsweise der jeweiligen Stilrichtungen, das ist ja nicht nur die Ästhetik.

Wollen wir ein Bundesweites bzw Grenzüberschreitendes Regelwerk a la FN?
Regelwerke sind doch nur da, um in ein paar Jahren wieder veraltet zu sein... aber scheinbar können es die Menschen nicht ohne. Ich hätte lieber "Handbücher", "Nachschlagewerke" und "Lexika" oder ähnliches, statt Regelwerke.
Wollen wir Vergleichbare Turniere machen bzw Teilnehmen?

Oder wollen wir nur ein besseres Verständnis zwischen Reiter und seinem Pferd und wenn wir nur ins Gelände gehen?
Als ich anfing mich seriös mit Reiten zu befassen, standen natürlich auch Turniere im Vordergrund. Dann jedoch hat sich meine Einstellung vom Wettkampf weg geändert und ging mehr in Richtung Ausbildung und Gymnastizierung. Früher hat man zu einem bestimmten Zweck ausgebildet. Sei das für den Nahkampf, für die Kavallerie, für die Arbeit am Vieh etc. Ausbildung war Mittel zum Zweck und nicht der Zweck an sich, so wie es heutzutage eigentlich ist. Wir haben unseren Zweck in dem Sinne verloren und ich vermute auch, dass dies mit ein Grund für die grosse Orientierungslosigkeit bei den Reiter/innen sein könnte. Wir wissen gar nicht mehr für was eigentlich wir ausbilden. Und lassen uns darum auch sehr schnell von aussen beeinflussen. Aber wie immer gibt es nicht nur Schattenseiten: es hat doch auch etwas Gutes, nämlich, dass das Pferd nicht mehr für die Dressur(sprich Arbeit) da ist, sondern die Dressur v.a. auch für das Pferd. Deshalb bin ich dann mehr zu der Linie "der Weg ist das Ziel" gelangt und geniesse den Weg mit meinem Pferd. Und gerade erst gestern (da war's noch nicht so stürmisches Wetter wie heute ;) ) habe ich so eine schöne Runde im Wald mit meinem Pferd gedreht. Ich konnte völlig entspannt draufsitzen und es mit feinsten Hilfen lenken, leise Sitz oder auch nur stimmhilfen reichten um das Pferd die GAngart wechseln zu lassen, es war aufmerksam sowohl auf die Umwelt, als auch auf mich, wir haben es beide einfach nur total genossen. Deshalb denke ich schon, dass dieses bessere Verständnis zwischen REiter und Pferd im Gelände das Ergebnis der langen Ausbildung und Zusammenarbeit ist und das ist mir schlussendlich mehr Wert als schleifchen und Pokale.

Das sind jetzt einfach ein paar philosophische Gedanken von mir, ich habe nicht allzulange darüber nachgedacht, sondern einfach geschrieben, was mir gerade in den sinn kam ;)
Liebe Grüesslis, Jen
***
Das Maul des Pferdes ist kein Bremspedal! Martin Plewa
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Junito
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Beitrag von Junito »

An sich hat mich vor meinem eigenen Pferd "klassisches" Reiten nicht interessiert. Ich habe versucht, ihn als Jungpferd wie sein "Vorgängermodell" (Trakehner, habe ich mitausgebildet) auszubilden. Es ging nur gar nicht. Er hat sich gegen diese Methoden mit Händen und Füßen gewehrt. Tja, da hieß entweder Pferd abgeben oder die Verantwortung wahrnehmen und umdenken lernen.

Da habe ich dann im Laufe unserer 11 gemeinsamen Jahre schon meinen Stil gefunden. Mir war klar, dass diese Art der Reiterei einen Verkauf, den ich nie ganz ausgeschlossen habe, sehr schwierig machen würde.

Turniere als ernsthaften Wettkampf habe mich nie interessiert. Da dieses Pferd aber immer Abwechslung gerne hatte und hat, haben wir mit Elementen des Westernreitens und auch etwas Kunststückchen angefangen. Ist das nun klassisch? Dem Pferd tat es gut, also ist es für mich klassisch.

Klassik heißt für mich auch ein Stück weit, dass der Reiter es zuläßt, vom Pferd erzogen zu werden und bereit sein zu lernen. Sicher gibt es Pferd-Reiterpaare, die überhaupt nicht zu einander passen. Aber hellhörig würde ich werden, wenn das anfangs DAS Traumpferd war, und es nach etwa einem Jahr gar nicht mehr läuft und das liebe Tier abgegeben werden soll, weil es nicht so funktioniert wie geplant. Das ist für mich unklassisch.

Klassische ist für mich vielleicht auch der Versuch, den etwas romantischen Gedanken der Ritterlichkeit zu leben. Dies nicht nur beim Pferd, sondern auch ins tägliche Leben zu übernehmen. Klingt jetzt vielleicht kitschig, aber in letzter Konsequenz kann klassicher Umgang auch dem Reiter helfen, ein besserer Mensch zu werden.
Pferde sind wie guter Sekt - es braucht Zeit und Erfahrung, damit sie perlen können.
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Susanne
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Re: Was bedeutet bzw beinhaltet klassisch Reiten?

Beitrag von Susanne »

GingerCC hat geschrieben: Reite ich mit den entsprechenden Geräten (Sättel und Zäumung) wie damals die Reiter?
Nein, denn ich lebe nicht in dieser Zeit (da bin ich auch recht dankbar drum :wink: ). Reiten ist etwas lebendiges - und immer mit den entsprechenden Geräte von damals zu reiten hätte für mich etwas zu fixiertes, was keine Entwicklung zu läßt - so wie ein Trachtenverein modetechnisch, weil dort eben nur vergangenes am Leben erhalten wird. Ich will aber jetzt mit meinem Pferd Spaß haben und weiterkommen. Und warum sollte ich deshalb nicht die Vorzüge moderner Ausrüstung nutzen?
GingerCC hat geschrieben:Oder lehne ich mich an die Reiterei von damals an, egal welches Equipment (Zäumung, Sattel) ich benutze?
Genau. Soweit es mir eben möglich ist.
GingerCC hat geschrieben:Wollen wir Kostümreiten?
Ich für mich nicht unbedingt. Eine schöner Ritt ist schön egal, was der Reiter trägt. Sicher gibt es Showauftritte, die durch die passende Kleidung nochmal an Reiz und Eleganz gewinnen. Aber ich finde, das reiterliche Können sollte immer vor dem Outfit bewertet werden.
GingerCC hat geschrieben:Wollen wir wirklich versuchen in Orginal-Kleidung Spanisch / Portugiesisch oder a la Wiener Hofreitschule reiten? Aber nicht nur die Kleidung, sondern auch die Art und Weise.
Ich für mich will nur soweit ich kann in Anlehung an so manchen Meister reiten. Ich kann nicht so reiten, wie Spanier, Portugiese oder ein Bereiter der Hofreitschule oder ein Spanier, weil ich dort nicht gelernt habe, kein Mann bin, nicht aus der Kultur stamme, kein entsprechendes Pferd besitze... Ich kann immer nur meine Interpretation dessen was ich gelernt und gelesen habe versuchen für mich und mein Pferd umzusetzen.
Desweiteren sehe ich die Gefahr, daß ich, wenn ich versuche so wie jemand anders zu sein für das Pferd derartig unglaubwürdig rüberkomme, daß ich scheitern muß.
GingerCC hat geschrieben:Wollen wir ein Bundesweites bzw Grenzüberschreitendes Regelwerk a la FN?
Wozu? Es gibt ausreichend Literatur in der ich nachlesen kann. Es gibt einige sehr gute Ausbilder, bei denen ich mich weiterbilden kann...

GingerCC hat geschrieben:Wollen wir Vergleichbare Turniere machen bzw Teilnehmen?
Ich sehe da die Gefahr, daß die noch recht bunte Szene vereinheitlicht wird. Da bräuchte es schon sehr gute Richter, damit der Isi so fair gerichtet und bewertet wird wie der PRE...
GingerCC hat geschrieben:Oder wollen wir nur ein besseres Verständnis zwischen Reiter und seinem Pferd und wenn wir nur ins Gelände gehen?

Das ist doch sowieso mit einer Gründe das Pferd zu "dressieren".

Noch kurz ein paar eigene Gedanken:
Zur klassischen Dressur bin ich gekommen, obwohl ich gar nicht in diese Richtung wollte. Eigentlich wollte ich als ich Novaja gekauft habe nur ein bißchen nett ausreiten und ab und an mal ein paar Runden aufm Platz drehen. Nur so funktionierte das leider nicht. Und auf der Suche, nach einer Lösungsmöglichkeit für unsere diversen Probleme kam ich auf die "Klassiker". Und damit fahren wir bis heute recht gut.
Was ich an dieser Szene sehr schätze ist die Vielfalt und auch die Toleranz die (meistens) herrscht. Was ich an der Reitweise schätze, ist daß sie allen Pferden gut tut, auf Gesunderhaltung ausgelegt ist.

@ Ines: Sehr schön formuliert!
Liebe Grüße
Susanne
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

GingerCC hat geschrieben:Danke Sylliska,

aber die Gesunderhaltung und die guten Haltungsbedingungen setzte ich hier einfach vorraus und das ist hier nicht das Thema, da es sonst zu umfangreich wird, was es eh schon ist.
Nur noch kurz als Einwurf, weil auch andere dies so sehen und wie ich mit einbeziehen:
Aber der klassische Weg ist in meinen Auge "pro Pferd". Da gehört alles dazu: Umgang, Haltung, Gesundheit - Pferde halten mit Sachverstand eben.
Es gibt so viele Leute, die sich um das richtige Quentchen Schenkel oder Zügel einen riesen Kopf machen, das Pferd dann aber für die restlichen 23 Stunden am Tag in eine mehr als mäßige Haltung stellen. :cry:

Ich finde auch diesen Ansatz sehr gut:
Für mich hat in diesem Zusammenhang "klassisch" nichts mit der Epoche zu tun, sondern mit dem Wort "klassisch" im Sinne von "immer mode- und epochenunabhängig gut"
Denn es bedeutet zwar, seinen Horizont zu erweitern, sich weiterzuentwickeln, aber nicht allen "Trends" hinterherzulaufen, die man selbst nicht erklären kann.
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
Annie
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Beitrag von Annie »

Der weg ist das Ziel, Für mich ist Klassisch, dem Tier ein Leben lang das lernen zu ermöglichen , langsam (das kann mitunterJahre dauern) die ricthige Muskulatur aufzubauen, klassisch ist für mich kein bestimmter Weg, eher eine Geisteshaltung, das Pferd optimal gymnastizieren, fördern,veredeln und am Ende ein Kunstwerk vor sich zu haben, selbst geformt.
orest
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Re: Was bedeutet bzw beinhaltet klassisch Reiten?

Beitrag von orest »

Hallo,
GingerCC hat geschrieben:
Blos was heißt das genau?
Ich reagiere auf die Frage nach meiner Reitweise mit 'klassisch', da diese Antwort meine Einstellung zum Reiten am besten wiederspiegelt.
Konkret verstehe ich darunter eine sinnvoller Gymnastizierung zur Freude von Pferd und Reiter verschriebene Reiterei, zur Freunde und Gesunderhaltung von Pferd und Reiter.
Darüber hinaus berzeichne ich mich als Freizeitreiterin.
Ich stimme Annies schönem Ausdruck zu, dass es eher eine Geisteshaltung als ein bestimmter Weg ist.
GingerCC hat geschrieben: Reite ich mit den entsprechenden Geräten (Sättel und Zäumung) wie damals die Reiter?
Oder lehne ich mich an die Reiterei von damals an, egal welches Equipment (Zäumung, Sattel) ich benutze?

Wollen wir Kostümreiten?


Nein, die Ausrüstung sollte in meinen Augen zweckmäßig sein, das reicht aber auch schon aus. Kostümreiten hat für mich keine spezielle Bedeutung. Wenn Reiten in einer stilvollen, passenden Ausrüstung bei Pferd und Reiter erfolgt, finde ich das ästhetisch und kultiviert.
Ohne Reitjeans und T- Shirts verurteilen zu wollen ;-)
GingerCC hat geschrieben: Wollen wir wirklich versuchen in Orginal-Kleidung Spanisch / Portugiesisch oder a la Wiener Hofreitschule reiten? Aber nicht nur die Kleidung, sondern auch die Art und Weise.
Auch im Bereich des klassischen Reitens gibt es zahlreiche verschiedene Strömungen und Quellen. Solange das Ergebnis für Pferd und Reiter erfreulich ist, muss man nicht eines als falsch und etwas anderes als richtig festlegen. Jeder sollte individuell entscheiden, welche Details ihm mehr liegen als andere, und kombinieren sollte durchaus erlaubt sein.
So gibt es zwischen Steinbrecht und Baucher durchaus Unterschiede und Streitpunkte, und seitdem wird wohl darüber gestritten...
Kultivierter Streit über die Grundlagen des Reitens finde ich richtig und notwendig. Es muss keinen 'Klassikübergreifenden' 100% Konsens geben.
GingerCC hat geschrieben: Wollen wir ein Bundesweites bzw Grenzüberschreitendes Regelwerk a la FN?
Nein, auf gar keinen Fall! Wie in der Antwort zur letzten Frage geschrieben, reduziert ein solches 'Regelwerk' die Vielfalt und lässt die Reiterei verarmen. Nichts ist schlimmer, als dass man überall Reiter trifft, die irgendwelche Lehrinhalte der FN herunterbeten, ohne sich Gedanken über die Richtigkeit und Hintergründe zu machen... (Beispiel: Ein Pferd muss ich auf der Volte gleichmäßig von Kopf bis Schweif biegen...)
Jedes Regelwerk ist grundsätzlich fehlbar. Wissen entwickelt sich weiter. Die Reiterei ist zu vielfältig, um in einem einzigen Regelwerk beschrieben zu werden. Lieber informiere sich der Reiter vielfältig aus unterschiedlichen Quellen.
Ich persönliche finde in den 'Richtlinien' Bänden von Umgang, Haltung bis hin zum longieren und Reiten zahlreiche Dinge, die ich schlicht und einfach für mich ablehne und für falsch halte.
GingerCC hat geschrieben: Wollen wir Vergleichbare Turniere machen bzw Teilnehmen?

Ich persönlich habe kein Interesse am Turniersport und hatte auch noch nie welches. Ich reite zu meinem Vergnügen, in meiner Freizeit brauche ich alles, aber keinen Wettbewerbs- oder Leistungsdruck. Das gilt auch für andere Sportarten. Ich habe als Kind und Jugendliche recht erfolgreich Leichtathletik beschrieben, und dies aufgegeben, da es ein reiner 'Wettkampfsport' ist.

Darüber hinaus sehe ich Entwicklungen im Reitsport sehr kritisch. Wenn es um Ehrgeiz, Wettbewerb und Geld geht, tun Menschen vieles Schlechte. Das gibt es schon bei Sportarten ohne Beteiligung von Tieren zu genüge (z.B. Doping, das es beileibe nicht nur bei Profis gibt...). Im Reitsport kommt es besonders schnell zu Auswüchsen am Partner Pferd, der sich anders als der Mensch nicht willentlich für solche Wettbewerbe entscheiden kann.
Jeder weiss sicher, was ich hier meine, zieht sich übrigens quer durch alle Reitweisen und Arten des Pferdesports. Auf sog. Barockturnieren sieht man häufig die gleichen häßlichen Bilder wie bei den Reitern der Sport- Warmblüter.
Für mich scheint die 'Reitkunst' im heutigen Dressursport massive Rückschritte zu machen.

Wenn man eine 'klassische' Einstellung im obigen Sinne hat, finde ich nicht, dass es verwerflich ist, an Wettbewerben teilzunehmen. Leider sind solche Teilnehmer dann oft einsam auf weiter Flur... Das Pferd und der Spaß an der gemeinsamen Sache sollten im Vordergrund stehen, nicht das Gewinnen.
GingerCC hat geschrieben: Oder wollen wir nur ein besseres Verständnis zwischen Reiter und seinem Pferd und wenn wir nur ins Gelände gehen?


Auch, auf jeden Fall. Ich reite liebend gern und überwiegend im Gelände. Gymnastizierung und Dressurarbeit hat für mich auch den Zweck, im Gelände ein äußerst leichtrittes und zuverlässiges Pferd zu erhalten.

Für mich ist darüber hinaus eine auf Haltung und Umgang erweiterte Einstellung im Sinne der gesunderhaltung und Freude des Pferdes von entscheidender Bedeutung.

Hierbei berufe ich mich ausdrücklich nicht auf die Epoche Guerinieres +Co.
Wichtig ist für mich eine der Natur entsprechende Haltung (Artgenossen, Licht, Luft, Bewegung), und ein entsprechender Umgang (ich bin ein Freund des Natural Horsemanship).


Gruß Tina
Fuchsstute
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Die Frage ist sehr gut gestellt....

Beitrag von Fuchsstute »

...eine Antwort von meiner Seite aus um es kurz zu machen:

Kauft euch das Buch von Anja Beran ( Aus Respekt) u. Dr. G. Heuschmann ( Finger in der Wunde ) da wird es genau drin erklärt! :wink:

Es gibt Video´s von A. Beran und ihrer Arbeit wo auch Dr. G. Heuschmann zu Wort kommt ! :wink:

Letztes Jahr im September war Anja Beran und Dr. G. Heuschmann in Verden, es war einfach klasse und wenn man da zugeschaut hat, dann weiß jede / jeder was klassische Reitkunst bedeutet !

Man muß es einfach erleben und gesehen haben! :lol:

Ich habe es und ich habe das Glück bei einer RL Unterrricht zu bekommen, die auf dem Hof von Anja Beran lange Jahre gearbeitet und selbst ausgebildet hat! :)
Es gibt sicherlich noch viele RL die so das Reiten lehren, aber ich kenne halt nur diese !

Klassische Reitkunst ist unbeschreiblich man muß es erleben !!!

In diesem Sinne

L.G. :)
Reiten ist erst dann eine wahre Freude,wenn du durch eine lange Schule der Gedult, der Feinfühligkeit und der Energie gegangen bist, die dir das Pferd erteilt.

Rudolf G. Binding
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glovedrider
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Beitrag von glovedrider »

Ganz so einfach liegt der Fall nicht.
Jen:
Selbstverständlich ist Steinbrecht ein Klassiker. Er war Schüler von Seeger,
der an der spansichen Hofreitschule ausgebildet worden war.
Und den Fans des uneingeschränkten V/A könnte ein Blick in das Gymnasium des Pferdes nicht schaden. Lesen bildet, vorausgsetzt man liest die richtigen Bücher und nicht nur diejenigen, die dem Zeigeist hinterherlaufen.

SteinbrechtS. 55 Gymnasium des Pferdes:
"Im allgemeinen nimmt man zwar an, daß man nach dem Gange des Pferdes auch seine Gewichtsverteilung beurteilen könne, daß nämlich das stärkere Gewicht um so mehr auf den Schultern ruhe, je weiter die Hinterfüße im Schritt und Trab über die Huftritte der Vorderfüße hinwegtreten., daß es im Gleichgewicht
sei, wenn der Hinterfuß genau in die Spur des Vorderfußes tret, und daß das stärkere Gewicht um so mehr auf Hinterteile ruhe, je weiter die Hinterfüße mit ihren Huftritten hinter denen der Vorefüße zurückbleiben

Außerdem möchte Herr Heuschmann die Pferde sehr stark von hinten in die Hand hineintreten lassen . Eine Ansich t, die auch nicht von jedem getieilt wird . Für mich ist das eine Vorstufe zur Rollkur. Selbstverständlich nicht von Herrn H. beabsichtigt! Jeder Autor muß berücksichtigen, daß seine Ansichten von sienen Jüngern u.U. überinterpretiert werden .
Zuletzt geändert von glovedrider am Fr, 14. Mär 2008 08:21, insgesamt 3-mal geändert.
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Susanne
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Beitrag von Susanne »

@ Gloved: Kannst Du das näher ausführen?
Liebe Grüße
Susanne
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Beitrag von cremello »

@glovedrider:

ich finde deine ansätze sehr interessant und würde auch gern mehr darüber lesen.
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Beitrag von glovedrider »

Klassisch rieitet, wer die Anlehnung nach vorn gewinnt.

Das ist der schönste Satz , den die Reitkunst je hervorgebracht hat.
Fast eine ganze Reitlehre in einem Satz.
Wie einfach ein sich doch ein Meister seines Fachs (von Heydebreck) ausdrücken kann.
Alles andere ist höfisches reiten, Zirkusreiten, Barockreiten o.ä.

Falls noch Fragen offen sind, bitte genau Fragen. Über das Thema haben andere Leute ja schon ganze Bücher gefüllt.
Zuletzt geändert von glovedrider am Fr, 14. Mär 2008 08:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von cremello »

Meinst du, dass der Kopf immer von selbst kommt? Verstehe ich das richtig, dass man viel zu oft doch sehr handlastig ist und sich zuviele Gedanken um die Kopf/Halshaltung des Pferdes macht?
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glovedrider
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Beitrag von glovedrider »

cremello:
so ist es. Hängt auch mit Psychologie zusammen.
Ist sich jemand sicher , so ziemlich jedes Pferd an den Zügel reiten zu können, dann kann er , den guten Willen dazu vorausgesetzt, sich darauf konzentrieren bei ziemlich jedem Pferd die Anlehnung nach vorn zu gewinnen. Er reitet dann automatisch schwungvoll (kein jagen) , bleibt nicht in der Anlehnung stecken. Er hat echte Leichtheit, fast jedes Pferd kaut dabei,
ohne daß der Reiter sich bei dem Gedanken an der Leichtheit festfährt. Soll ja auch vorkommen. Schwung, tTkt , Fleiß, Rückentätigkeit alles ergibt sich fast von selbst oder wird nicht unbewußt zerstört.
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Beitrag von cremello »

Stimme dir zu. Ich bin da sehr kritisch mit mir selbst und ertappe mich immer wieder mal dabei, etwas zu fordernd mit meiner Hand zu sein - das typische einmal zuviel mit dem Finger gespielt, weil er doch schon die gewünschte Reaktion gezeigt hat, aber ich mich nicht gleich darauf eingelassen habe.

Meine Reaktion auf seine Aktion muss bewusster und schneller werden.
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Mela
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Beitrag von Mela »

Ich habe vorletztes Wochenende als Zuschauer bei einem Kurs eine sehr schöne Deffinition gehört, die für mich zutieftst klassische ist. Kursleiter war einer der ganz Großen.

Es ging um einen spanischen Hengst, der, sobald mehr von ihm gefordert wird sehr hibbelig und nervös wird. Er meinte, das Pferd ist eher schwach von seinem Gebäude her und hat daher kein Vertrauen in seinen Körper, daß wäre die Aufgabe des Reiters, ihn so zu gymnastizieren, daß er immer mehr Vertrauen bekommt, was von ihm verlangt wird auch leisten zu können. Die Kunst dabei ist in der Hand dabei möglichst leicht zu bleiben, denn jede Handaktion blockiert die Hinterhand.

Für mich selbst ist Klassisches Reiten eine Geisteshaltung, deren Ziel es ist, das Pferd zu befähigen, sein volles Potential zu erreichen und dabei täglich stärker, leichter und freudiger wird. Außerdem ist klassisch für mich eine Einstellung, die keinen Modeerscheinungen unterworfen ist, sondern seit langem bewährte Richtlinien beinhaltet und die ständige Suche nach dem "Echten" - (klingt pathetisch :oops: kann ich aber nicht besser ausdrücken) d. h. nicht auf eine gute Optik bedacht, sondern auf Balance und Zusammenarbeit ohne Wiederstände.
Liebe Grüße
Mela

Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
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