schlimme Ecke auf dem Reitplatz

Rund um die klassische Reitkunst

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Melli
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Beitrag von Melli »

hilahola hat geschrieben: [...]die "Entspannungsschiene" mit sich langsam etwas nähern, dann wieder weg usw [...]Die lange Zügel und Halstätscheln-Methode [...]
Nimmst du Bezug auf meinen Beitrag?
Wenn ja, dann hast du nicht genau gelesen. Halstätscheln kam darin nicht vor ;)
Wenn ich sobald ich merke, dass sie in diesem "Modus" kommt, Zügel lang und darauf warten, dass sich die "Entspannung" dann vom Himmel irgendwie einstellt, ist dann meiner Meinung nach tödlich, weil man selbst in so einer Situation viel zu lange braucht um in sich selbst eine Entspannung bewusst herzustellen. Man erstarrt dann gleich wie das Pferd, wird total Handlungsunfähig und reagiert viel zu spät auf alles. Wenn ich den Errstarrungs-Moment realtiv früh abfangen kann und ihr dann einen längeren Zügel gestatte mit Traben, dann ist es ok, aber ich brauche dann relativ lange, bis wir beide wieder in den konzentrierten "Arbeitsmodus" kommen. Wenn ich den Moment jedoch übersehe und sie sich schon in ein erstarrtes Pulverfass verwandelt hat [...]
Für die Bereiche zwischen Entspannung und Erstarrung/Pulverfass lohnt es sich, sich mit den verschiedenen Bereichen Komfortzone und den darüber hinausgehenden Bereichen zu beschäftigen. Das eingehend zu beschreiben sprengt den Rahmen hier.
Bild
Viele Menschen wissen gar nicht so genau, in welchem Bereich sie sich mit ihrem Pferd gerade befinden (also: beide Beteiligten, das muss ja nicht identisch sein), und in der Regel befindet sich das Pferd schon längst im "dunkelorangenen" Bereich kurz vor der Panikzone, wenn man noch glaubt, alles unter Kontrolle zu haben. Daher empfindet der Mensch die Reaktion des Pferdes, wenn man die Grenze in den roten Bereich überschreitet, oft als völlig überraschend.
In meiner Beschreibung ging es darum, über das Prinzip Annäherung und Rückzug häufige Wechsel zwischen Komfortzone und Lernzone zu erreichen, also im ganz "hellgelben" Bereich zu Beginn, später Wechsel innnerhalb der Lernzone. Diese Wechsel verschieben die Grenzen, vergrößern die Komfortzone, vergrößern die Lernzone. Der Schlüssel dazu ist die häufige Wiederholung (im Extremfall: bis sich so etwas wie Langeweile einstellt). Entspannung fällt nicht vom Himmel. Das wäre schön.
Arbeite ich zuviel im dunkelorangenen Bereich, ohne dafür genügend Wissen, Erfahrung, Skills, Weitsicht, vorausschauendes Denken, timing, feeling zu haben, dann mache ich die Lernzone eher kleiner, das Pferd unsicherer, die Fluchtreaktion extremer, ich verschenke jede Menge Vertrauen.
Wenn man´s kann, kann man das aber natürlich machen (und dann u.U. sehr schnell das Pferd tief beeindrucken und große Erfolge haben, egal ob am Boden oder im Sattel). Wenn ich mich längere Zeit mit einem solchen Thema erfolglos beschäftige, dann sehe ich aber irgendwann ein, dass ich noch nicht gut genug bin, um am äußeren Rand der Lernzone mit meinem Pferd zu arbeiten, und arbeite strukturiert und kleinschrittig und low level.

Wenn das Pferd den Rückwärtsgang einlegt, erstarrt oder tatsächlich flieht, dann ist es in der Panikzone oder unmittelbar davor.
Dann die Zügel lang zu lassen, ist natürlich eine sehr schlechte Idee.
Wenn ein Pferd ohne Führung durch den Zügel sich keine 15m an etwas annähert, dann sagt mir das sehr viel darüber, wo es emotional steht und wo ich an echter Entspannung arbeiten kann und wo nicht.
Ich glaube daher, dass man je nach Alter und konkretem Angstverhalten des Pferdes unterschiedliche Strategien fahren muss (und vor allem auch bereit sein muss, seine Strategie zu verändern, wenn man merkt, dass die bisherige nicht funktioniert). Bei einem jungen Pferd mag die "Entspannungsstrategie" mit schauenlassen und halstätscheln eher gut funktionieren, bei älteren Pferden wird man wohl eher über RUHIGEN Gehorsam auf die einzelnen Hilfen zur Neugierde auf verschiedene Bewegungen und das was man mit dem Reiter gemeinsam macht, die Angst langsam aber stetig abbauen.
Das ist ganz gut beschrieben.
Dass das Bestehen auf Gehorsam die Neugierde fördert, würde ich aber bezweifeln. Das Bestehen auf Gehorsam im zunehmenden Umfang lehrt das Pferd, dass der Mensch Entscheidungen trifft für das Pferd, die sich als ungefährlich erweisen. Wenn ich aus Sicht meines Pferdes viele gute und ungefährliche Entscheidungen ohne Ausreißer treffe, ist das eine großartige vertrauensbildende Maßnahme, die die Bereitschaft zum Gehorsam erhöht.

Wenn ich das Pferd ungewollt emotional "über die Klippe schubse", egal ob es dann vorwärts oder rückwärts eigenständig aus der Situation geht oder sich erstarrt ins mentale Lala-Land beamt, dann habe ich eine Menge Minuspunkte auf dem Konto, was meine Vertrauenswürdigkeit und Führungsqualitäten angeht.
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Na, die vielen Worte hier sprechen doch für meine These der Ignoranz und des Heranarbeitens in der Mutzone.


Also, was weiss ich, Volten in dem Bereich, in dem sich das Pferd entspannt anfühlt, möglichst nah an dem Gruselbereich.
Es ist ja zu spüren, ab wann das Pferd innerlich spannt, bzw. die Ecke ist ja bekannt.

Der Grundtenor bleibt, da Zepter selber in der Hand zu behalten; vielleicht ist es sogar eher ein Lernen des Reiters. Lernen, zu fühlen und sofort noch vor der Ecke anfangen, sinnvoll zu agieren. Das ist bei Euch ja scheinbar heute so und morgen so. Das erfordert ein hohes Mass an Fühlen und ein schnelles souveränes agieren, indem die Ecke heute hier und morgen ab da ignoriert wird.

LG Ulrike
Motte
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Beitrag von Motte »

Ergänzung:

Man sollte sich auch davor hüten, jetzt stundenlang an dem Problem rumzuarbeiten - damit wird das Problem nämlich auch immer größer. Erwartungshaltung Reiter -> Erfahrungshaltung Pferd.

Der Mensch hat ja bekanntermaßen ein etwas größeres Hirn als so'n Pferdetier. Das sollte er in solchen Situationen einsetzen. Je mehr ich die Gruselecke thematisiere, desto gefahrvoller wird sie für's Pferd.

Meist ist es hilfreich, das Pferd in den "sicheren" Aeras sehr auf mich zu konzentrieren (durch intensive Arbeit, schnelle Lektionenfolge etc). Und dann taste ich mich "nebenbei" in die "no-go-area" vor. Und zwar so, dass es das Pferd am besten gar nicht wirklich merkt ;-)
hilahola
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Beitrag von hilahola »

@ Melli: nein, das "Entspannung" und Halstätscheln war nicht auf deinen Beitrag bezogen, sondern nur generelle als eine der vielen "Methoden". Ich hab schon verstanden, wie du deinen Beitrag gemeint hast. Und auch den neuen unterschreibe ich zu 100 %.

Und ja, wie Ulrike schreibt, ist hier vermutlich der Reiter gefragt, dass er FÜR SICH SELBST eine LÖSUNGSTRATEGIE erarbeitet, herausfindet, was ihm als Reiter hilft, realtiv genau abzuschätzen in welchem "Modus" (wie in der Darstellung von Melli sehr auschaulich ersichtlich) sich sein Pferd gerade befindet und was er fordern kann, ohne das Pferd mental über die Klippe springt. Aber das ist halt auch eines der "höheren Ziele" und man kann es sich nicht vornehmen, das auf einmal zu erreichen, sondern dieses "Gefühl" entwickelt sich halt auch erst Schritt für Schritt.

Bei uns im Stall ist aktuell ein 3jähriges Jungpferd, welches relativ bald (ohne "wirklichen" Grund) in den Panik-Zustand springt und dann herrenlos auf dem Reitplatz herumdüst. Dabei will die PB eigentlich "nur" ganz entspannt ein paar Runden ganze Bahn gehen am Halfter mit Führstrick (also wirklich nur "Babyprogramm", welches das Pferd jetzt eigentlich "objektiv" auch ausführen können müsste). Ich hab mir das Baby letztens geschnappt und habe mit ihm gemeinsam meine Hütchen fürs Reiten aufgebaut und allein schon diese simple Maßnahme hat dazu geführt, dass wir gemütlich außen rum gekommen sind und dann auch ganz gemütlich und zivilisiert einige Quadrate und Zirkel gehen konnten, ohne dass er ausgezuckt ist. Es gab ein paar mal "Erstarrungszustände" und ich gestehe, dass ich da im ersten Moment dann auch immer ein kurzes flaues Gefühl im Magen hatte, aber dadurch, dass ich wusste welche "Linie" ich gehen will, war MEIN Fokus dann relativ schnell wieder bei meiner AUFGABE und auch das Pony, ist dann gar nicht in seinen Auszuck-Modus gekommen. Und ja, sogar bei diesem jungen Pferd habe ich bei dem simplen Herumführen gemerkt, wie sie da eine gewisse "Eigenmotivation" des Pferdes entwickelt hat und er ganz aufmerksam geschaut hat, wo wir jetzt langgehen, was als nächstes kommen könnte.

Das Hütchenaufstellen und konkrete Linine und diese genau gehen habe ich nicht als "Erziehungsmaßnahme für das Pferd" gemacht, sondern als "Hilfe für mich", damit ich konkret weiß, was ich zu TUN habe, damit ich beschäftigt bleibe, damit ich NICHT Zeit habe, darüber nachzudenken, was das Pony machen könnte, was es in der Vergangenheit gemacht hat usw. und wenn das Pony mal kurz kuckt, damit ich bei "meiner Aufgabe" bleibe und nicht gemeinsam mit dem Tierchen erstarre. Der gedanklich nächste Schritt ist dann, dass ich dabei das Pony beobachte was es auf den unterschiedlichen Linien macht (geht es lieber hinter mir, kann ich auf schulterhöhe bleiben, wann beginnt es "zu eilen", wann wirds langsamer und wie ist das ganze auf der anderen Hand) und dann kann ich meiner Meinung nach erst darüber nachdenken, am Pferd aktiv "einzugreifen" und es etappenweise zu irgendwas zu erziehen z.B. dass ich auf Schulterhöhe gehen auf beiden Händen. Das konkrete Pony ist rechts hohl und stützt sich auf die linke Schulter. Die PB in der Vergangenheit versucht, das Pferd wie üblich auf der linken Seite auf Schulterhöhe zu führen. Das mag das Pferd aber nicht sonderlich, weil es sich da offensichtlich "eingeeingt" fühlt (vielleicht weil seine natürliche Fluchtrichtung blockiert ist) und "verhält sich" eher, wenn man auf der linken Seite auf Schulterhöhe führt (rechts ist dies kein Problem...). Deshalb ist rechte Hand ganze Bahn, wo die Reitplatzumzeunung seine "Fluchtmöglichkeit" verhindert, insb. wenn da auch noch ein Mensch links neben ihm geht, auch eher schrecklich furchtbar für ihn, sodass er "sich verhält" und dann irgendwann wenns ihm zuviel wird explodiert. Sicher könnte ich jetzt darauf bestehen und ganze Bahn mit Führposition linke Schulter beibehalten - irgendwann wird er sich damit schon arrangieren (oder halt auch nicht), aber bis dahin hätte ich vermutlich massenweisen Frust und Pferdi auch. Ich finde es daher viel geschickter, das Pferd immer nur für ein paar Schritte mit seinem "Problem" zu konfrontieren, und dann z.B. auf eine freie Linie innerhalb der Bahn abzuwenden (z.B Schlangenlinien), sodass er dann nach und nach merkt, dass das ganze eigentlich nicht so furchtbar ist.

Ich bin mittlerweile deshalb so ein Fan vom Einhalten korrekter Linien (und ja, das ist im Grunde genommen ein sichtbare Grad von Gehorsam des Pferdes) geworden, weil man selbst als Reiter einfach viel früher und bewusster merkt, wenn die Dinge anfangen aus dem Ruder laufen und ich dann als Reiter ENTSCHEIDEN kann, ob dieses Maß an "Abweichung vom Gehorsam" für mich noch im Rahmen liegt (z.B. junges Pferd, Lösungsphase, neue schwierige Sachen usw) oder ob ich hier Handlungsbedarf sehe. Auch wenns anfangs schon sehr am Ego kratzt, wenn man sieht, dass man eigentlich nicht einmal einen Zirkel wirklich rund bekommt, so hat man eine Möglichkeit mögliche Ursachen und Lösungen für die Probleme zu finden und man hat als Reiter eine Aufgabe, etwas zu TUN (auch wenns anfangs halt eher grobmotorische Lösungsansätze mit viel Zügel und Schenkel sind, bis man sich andere, vielleicht feinere und subtilere Sachen überlegt hat - das ist halt eine Phase durch die man durch muss und in die man - auch wenn das eigentlich nicht will - oftmals wieder zurückfällt).

Und zum Gehorsam: Ich habe dieses Wort in Verbindung mit dem Pferd ewig lang aus meinem Gedächtnis gestrichen gehabt - eben weil es für mich Zwang bedeutet hat und ich diesen mit "schlecht" bewertet habe und ich wollte dass mein Pferd etwas "freiwillig" macht. Aber ich denke jetzt, dass Gehorsam eine Grundvoraussetzung für sämtliche weitere Entwicklung ist. Der Gehorsam ist eim Endeffekt, das Anerkenntnis des Pferdes, dass der Reiter der Chef ist - egal ob am Boden oder im Sattel. Und dieser Gehorsam, so wie ich in verstehe, ist nicht einmal und für alle Zeiten da, ist also nichts, das ich "einmal" klären könnte, und dann hat das Pferd auf ewig verstanden, dass ich der "Chef" bin, sondern diesen Gehorsam muss man sich als Reiter ständig erarbeiten und verdienen (u.a. durch in den Augen des Pferdes sinnvolle Entscheidungen).
Ein Pferd das wirklich an den Hilfen steht ist der höhste Ausdruck des so verstandenen Gehorsams - der Reiter kann mit einem solchen Pferd alles machen, was er will. Daber das ist das Ideal, das Endziel. Insofern sehe ich das wie Melli, ABER ich glaube auch, dass das Pferd, dadurch, dass der Reiter als Chef immer öfter "richtige" Entscheidungen triff und dem Pferd zu "Erfolgserlebnissen" verhilft, dadurch wächst dann mit der Zeit auch ein gewisses Eigeniteresse des Pferdes an der Sache. Und wenns auch nur eine private Einbildung von mir selber ist: Ich habe, wenn ich so ganz ins Reiten und mein Pferd versunken bin, oftmals das Gefühl, dass es bei meiner Stute gleich ist, dass sie auch so versunken ist, in das, was wir gerade machen, wie sich ihr eigener Körper anfühlt - wie wenn die Welt um ums herum untergehen könnte, und wir beide würden es nicht merken. Und bei meiner Stute entwickelt sich dieses "Gefühl" tatsächlich erstmal aus peniblem Gehorsam auf einelne Hilfen (z.B. linker Schenkel, rechter Schenkel, Sitz, linker Zügel, rechter Zügel usw.)

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man nicht alles auf einmal "reparieren" kann, damit man sofort bei seinem Endziel ist (das habe ich lange Zeit vergeblich versucht). Man muss einfach mit irgendwas anfangen, auch wenn das bedeutet, dass man in anderen Bereichen zuerst mal Abstriche machen muss. Und die Einhaltung (zuerst einmal) einer konkreten Linie (mit der das Pferd zuersteinmal auch keine mentalen Probleme (z.B. nicht die Gruselecke) haben sollte. z.B. nicht mal Halbe Bahn, sondern das Rechteck, schon bei den Zirkelpunkten enden lassen) - die der Reiter haben will - eignet sich meiner Meinung nach dafür hervorragend. Völlig wurscht, wie die Optik aussieht, oder ob das ganze harmonisch ist/aussieht. Der Reiter erkennt dann im Regelfall, dass er ziemlich viel arbeiten muss, damit er das Pferd dazu bringt, auf der von ihm gewünschten Linie zu bleiben.

Der nächste reiterliche "Entwicklungsschritt" wäre dann sich einen konkrete Linie auszuchen und ganz locker lässig mit hängenden Beinen lockerer Hüfte, relativ "leichter" aber nicht durchhängender Zügelverbindung (sonstige Haltung egal) diese im Schritt anfangen zu reiten, ohne besondere Ansprüche und dabei darauf zu achten, WANN und WO genau ich als reiter dann das Gefühl hätte, dass ich z.B. mehr Bein, mehr Zügelkontakt brauche um das Pferd auf Kurs zu halten. Und dann kann ich probieren: das passiert, wenn ich einfach locker bleibe und meine Hilfen NICHT verstärke, obwohl ich das müsste um auf meiner Linie zu bleiben - wohin weicht das Pferd dann aus, wirds schneller, wirds langsamer usw. Wenn ich bei meiner Beobachtung merke, dass das Pony z.B. nach links von der Linie abweichen will, dann lass ich es das zuerst machen und kehre dann wieder auf einem ganz stressfreien Weg wieder auf meine ursprüngliche Linie zurück und nehme sie ein zweites Mal so ganz locker in Angriff und vermutlich wird das Pferd von der Linie wieder nach links abweichen, vermutlich sogar relativ an der gleichen Stelle. Da man aber dann weiß, dass das Pferd vermutlich nach links wegdriften will, kann man versuchen noch weit vor der eingentlichen "Ausweichstelle" einfach mal auf der Linie stehen zu bleiben und eine Vorhandwendung nach rechts zu machen, sodass das Pony dem linken Schenkel weichen muss (also sensibilisiert wird auf den linken Schenkel). Dann mache ich wieder Vorhandwendung nach rechts, sodass ich wieder auf der Linie bin und es geht geradeaus wieder ganz locker weiter. Nachdem ich ja vermute, dass mein Pferdi nach links ausweichen wird, lasse ich dann zeitig (z.B. zwei Meter vor der ursprünglichen Ausweichstelle) den linken Schenkel einfach nur ein bisschen gefühlt deutlicher am Pferd liegen, sodass es da eine kleine Barriere fühlt. Wenns dann stehenbleibt, oder trotzdem nach links weg will, weil es die zarte Barriere nicht wahrgenommen/ignoriert hat und es mit seinem Bauch/Schulter gegen den linken Schenkel geht, dann könnte man z.B. auf eine Vorhandwendung nach rechts bestehen, sodass es dem linken Schenkel weichen muss, dass es dieser "Hilfe" des Reiters nachgeben muss uns so lernt, dass es auch dem linken Bein des Reiters gehorchen soll. Auch bei der Vorhandwendung kann man dann zuerst versuchen, das Pferd sachte dazu zu überreden, indem man den Brustkorb des Pferdes mit seinen lockeren Schenkeln nach rechts "wiegt" (wie wenn man den Brustkorb mitsamt Sattel und Reiterbecken nach rechts wiegen will, so wie wenn man die Lage des Sattels korrigiert). Wenns Pferdi dieser "Hilfe" gegenüber nicht empfänglich ist, dann muss man halt als Reiter wieder grobmotorischer und muskelkraftvoller werden: Gerte in linke Hand, Druck mit linkem Schenkel und wenn das nicht funktioniert, mit der Gerte penetrant bleiben, bis man eine 90 Grad Wendung hat. Danach wieder VH in die andere Richtung zurück auf die Linie und weiter auf dieser, bis man eben wieder merkt, dass das Pferd in eine Richtung ausweichen will. Und dann kann man das eben gleich z.B. wie mit den VH-Wendungen korrigieren und bleibt auf seiner eigentlichen Linie oder man lässt das Pferd wieder lässig ausweichen, kommt wieder lässig zurück auf die Linie und versucht es neuerlich vor der Ausweichstelle mit linkem Schenkel nur etwas deutlicher anlegen. Wenns diesmal funktioniert und Pferdi an dieser Ausweichstelle auf der Linie bleibt ist gut, ansonsten macht man halt wieder von vorne mit VH-Wendungen.

Ist eine mühsame Sisyphus-Arbeit, weil man - wenn man die Kraft über Zügel und Schenkel zum Halten der Linie aufgibt - erst merkt, wieviele Baustellen so ein Pferd überhaupt haben kann und man neigt dann vielleicht auch etwas zum Frustrieren, weil man entgegen seiner Absicht wieder zu grob war, seine Beine nicht einfach nur hängen lassen kann, mit den Zügel wieder zuviel herumfuhrwerkt (obwohl man es doch leicht machen will), seine Gesäßknochen nicht richtig spürt, sein eigenes Gewicht nicht sinnvoll eingesetzt hat usw. Aber und das ist meiner Meindung nach der wesentliche Punkt: Man lernt fühlen. Man lernt das Pferd zu fühlen und seine Reaktionen auf die Hilfen. Und man lernt seine Hilfen dosierter zu geben - von Gedanken über etwas deutlichere Führung bis hin zu grobmotorischem Einsatz, der manchmal durchaus auch notwendig sein kann (man glaubt manchmal gar nicht, wieviel Wiederstand sogar ein ansich braves Pferd ohne dass besondere externe Faktoren vorhanden sind, bei einer "einfachen" Vorhandwendung (welche ja eigentlich eine simple Grundlektion für Jungpferde ist) aufwenden kann.

Und das wichtigste am Ganzen: Man muss es halt einfach lernen und üben. Ein Kind, das schreiben lernt, von dem erwartet auch niemand, dass es gleich in wunderschöner Schreibschrift poetische Gedichte verfasst. Das macht auch erstmal grobmotorische Strichübungen, dann irgenwelche Krakel-Buchstaben und je nach persönlicher Hingabe wirds irgenwann eine schöne künstlersiche Handschrift entwickeln und vielleicht auch Gedichte schreiben. Beim Kind werden am Anfang auch zuerst nur die Qualität der einzelnen Striche, dann der Buchstaben, dann der Rechtschreibung/Grammatik, dann der sachlichen Denklogik (sachliche Erörterungen) und erst irgenwann der poetisch künstlerische Aspekt bewertet und zu verbessern versucht.

@ Fortissimo: Drannbleiben, ausprobieren und nicht aufgeben - es lohnt sich ungemein :wink:
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Melli
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Beitrag von Melli »

Motte, v.a. letzter Absatz: ja!

Ulrike, ich hab meist nicht die Zeit für so viele Worte, aber ich dachte es macht Sinn das mal zu erläutern, weil es eben nicht reicht, den Weg zu kennen/zu glauben verstanden zu haben, wenn man nicht weiß, wo man sich befindet.

hilahola
Deine Beiträge sind immer so lang....hab aber alles gelesen und klingt doch ganz vernünftig. Die Details sind immer individuell von Pferd zu Pferd. Ob das nun Linien sind mit Hütchen (generell korrekte Hufschlagfiguren und ausbildungsentsprechendes Geraderichten auf denselben habe ich mal vorausgesetzt) oder andere Lektionen ist glaube ich nicht kriegsentscheidend, aber ich gebe dir recht, das visuelle Markierungen für Pferd und Mensch enorm hilfreich sind, so lange man alle Linien nicht präzise und in jeder Lebenslage vor seinem inneren Auge hat.
nur dazu
Melli, ABER ich glaube auch, dass das Pferd, dadurch, dass der Reiter als Chef immer öfter "richtige" Entscheidungen triff und dem Pferd zu "Erfolgserlebnissen" verhilft, dadurch wächst dann mit der Zeit auch ein gewisses Eigeniteresse des Pferdes an der Sache.
Gute Arbeit am Pferd ist immer auch "selbstverstärkend". Mutiger werden, sich vertrauensvoll führen lassen können, athletischer, kräftiger, beweglicher werden, eine gute Körperhaltung, etwas können/gut hinbekommen.....natürlich hat das Pferd an all dem ein Eigeninteresse (und natürlich sind Pferde in der Lage zu fühlen, ob etwas gelungen ist oder nicht, auch wenn ich als Reiter das nicht kommentiere. Mein Pferd brummelt nach einer gelungenen schwierigen Übung oft schon bevor ich lobe :lol: ).
Nola
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Beitrag von Nola »

Mal ein ganz anderer Ansatz (und sorry, falls es schon geschrieben wurde, der Thread ist mittlerweile sehr lang): muß man das Thema denn unbedingt am konkreten Auslöser klären, und zwar gleich am schlimmsten Triggerpunkt?

Was wäre denn damit, die Ecke und auch den Platz erst mal zu meiden und in anderen Situationen an Mut und Vertrauen des Pferdes in den Reiter zu arbeiten?

Es werden sich schon auch noch woanders Situationen finden, die das Pferd zunächst etwas unheimlich findet. Die kann man ja auch selbst basteln oder zumindest einfach jede Menge Vertrauensarbeit mit dem Pferd machen. Nicht Gehorsam, Vertrauen. Oder einfach neues Zeugs, wobei sich das Pferd einlassen muß/darf und neugierig sein. Hütchen, Reifen, von der falschen Seite aufsteigen, Reiten ohne Sattel, Hunde, Kinder, was auch immer. Und dann, nach einigen Wochen oder Monaten, es noch mal mit der Ecke versuchen, ohne negative Erwartungshaltung auf beiden Seiten. Einfach durchreiten. Und schauen, was passiert.
Motte
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Beitrag von Motte »

Nola hat geschrieben:Mal ein ganz anderer Ansatz (und sorry, falls es schon geschrieben wurde, der Thread ist mittlerweile sehr lang): muß man das Thema denn unbedingt am konkreten Auslöser klären, und zwar gleich am schlimmsten Triggerpunkt?

Was wäre denn damit, die Ecke und auch den Platz erst mal zu meiden und in anderen Situationen an Mut und Vertrauen des Pferdes in den Reiter zu arbeiten?

Es werden sich schon auch noch woanders Situationen finden, die das Pferd zunächst etwas unheimlich findet. Die kann man ja auch selbst basteln oder zumindest einfach jede Menge Vertrauensarbeit mit dem Pferd machen. Nicht Gehorsam, Vertrauen. Oder einfach neues Zeugs, wobei sich das Pferd einlassen muß/darf und neugierig sein. Hütchen, Reifen, von der falschen Seite aufsteigen, Reiten ohne Sattel, Hunde, Kinder, was auch immer. Und dann, nach einigen Wochen oder Monaten, es noch mal mit der Ecke versuchen, ohne negative Erwartungshaltung auf beiden Seiten. Einfach durchreiten. Und schauen, was passiert.
Das hängt auch immer so ein bisschen vom Typ Pferd ab, wie man hier reagiert. Ein einigermaßen "pfiffiges" Pferd zählt dich mit solcher Maßnahme aus. Jedenfalls ist die Gefahr da ziemlich groß - da kannst du dann relativ schnell in einen Kreislauf kommen: Pferd findet etwas unheimlich, Reiter reagiert mit Vermeidung der Situation, Pferd fühlt sich bestätigt. Und wie gesagt - je nach Pfiffigkeit eines Pferdes, kann das dann schnell dazu führen, dass irgendwann alles Mögliche spooky wird. Auch Situationen, die vorher nicht spooky waren. Abgesehen davon hat man ja vielleicht einfach oft nicht die Möglichkeit auszuweichen - wenn man den Platz zum Arbeiten braucht. Die Alternative jetzt wochenlang/monatelang nicht auf dem Platz zu reiten, nur weil's Pferd an einer Ecke misstrauisch reagiert, ist jetzt ja auch nicht wirklich sinnvoll.

Ich hatte mal einen Wallach, der sich 4jährig an der Hallentür erschreckt hatte. Es hat ungelogen fast 2 Jahre gedauert, bis der wieder einigermaßen normal an der Hallentür vorbei ist. Dazu muss man sagen, dass dieses Pferd aber auch nicht wirklich "plietsch" war. Arbeiten/anstrengen fand der grundsätzlich doof, wenn er sich vor irgendetwas erschreckte, wollte der erstmal nur weg. Irgendwie hatte man bei dem immer den Eindruck, der Weg vom Hirn bis zu den Beinen war seeehr verschlungen mit einigen Sackgassen behaftet....
Bei dem hat tatsächlich letztendlich die tägliche Routine geholfen - das hat ihm Sicherheit gegeben. Der ist im Übrigen nachher ein supertolles Longenpferd geworden, der hat zahllosen Anfängern das Reiten beigebracht. Das passte zu ihm - an der Longe musste er den Kopf nicht einschalten, nur im Kreis laufen und gut war.
Meine Stutendame ist da ein ganz anderes Kaliber. Wenn die sich erschreckt, hüpft die zwar zur Seite oder macht nen Satz irgendwohin, dreht sich aber sofort danach zur Gefahr um, um zu wissen, was das war. Da würde man mit einer Vermeidungsstrategie nicht weiterkommen, die würde sich bestätigt fühlen. Wenn die nicht "gefordert"/beschäftigt wird, sucht die Dinge, auf die sie den Reiter aufmerksam macht...."DER Fleck an der Bande war gestern noch nicht da - Schau doch mal!" Wenn man darauf dann Rücksicht nimmt - in Form von Vermeidungsstrategie - steigert die sich da rein.

Ich finde die Trennung von Gehorsam und Vertrauen da auch etwas...unglücklich. Vertrauen muss man sich halt verdienen - und das geht bei einem Tier wie einem Pferd oft nur über den Gehorsam.
Nola
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Beitrag von Nola »

Naja, ich bin nun sicherlich keine Expertin...

Nun besitze ich seit einem Dreivierteljahr ein Pferd. Und wir haben eine Menge durch, Druck führte zu Verweigerungshaltung, im Gelände blockierte sie, rannte rückwärts, stieg... (Das hab ich nicht verbockt, das Pferd hat ja auch eine Vergangenheit.)

Ich konnte sie drüber weg reiten, aber es war immer wieder Theater.

Auch Ausbinder und Longe waren gefährlich (auch hier Steigen und Rückwärtsrennen), Zügel über den Kopf streifen war schon schlimm (schlechte Erfahrungen), überhaupt war sie sehr kopfscheu, die neue Halle war anfangs auch gruselig und drinnen aufsteigen ganz schlimm...

Wir haben den Druck rausgenommen, Pferd in einen anderen Stall mit Koppelgang gestellt. Longieren eben ohne Ausbinder - geht ja auch ohne. Und einfach immer weiter gemacht, natürlich nicht jeder schwierigen Situation ausgewichen, oft auch einfach drüber weg geritten, und natürlich auch überhaupt nicht alles durchgehen lassen und Gehorsam da geübt, wo es nicht so ein heftiges Problem gab (z. B. Stürmen an der Hand beim Führen), aber eben auch nicht da Streß gemacht, wo es Alternativen gab.

Vorwiegend bin ich sie also draußen auf dem Platz geritten. Eine Weile bin ich wenn, dann nur draußen vor der Halle aufgestiegen. Auch von Steinen und vom Geländer, von allen Seiten, mit und ohne Sattel... Nun geht das auch drinnen ohne Theater. Auch wenn sie es immer noch ein wenig unheimlich findet.

Mittlerweile reite ich ohne Sattel ins Gelände. Sie läßt sich nun auch betüddeln und überall am Kopf gerne anfassen. Und wenn sie neben mir herläuft, dann am durchhängenden Strick oder Zügel.

Ich dachte am Anfang auch: Da müssen Pferd und ich jetzt durch. Nö. Also klar: wenn es mal sein muß, dann müssen wir da auch mal durch, aber prinzipiell war ständiger Druck das Letzte, was dieses Pferd gebrauchen konnte. Mittlerweile habe ich ein entspanntes, vertrauensvolles Pferd - und sowohl Neuem wie auch Altem, was früher schlimm und streßbesetzt für sie war, begegnet sie meistenteils entspannt. Auch und gerade, wenn sie wochenlang gar nicht damit konfrontiert wurde (Halle zum Beispiel). Oder jedenfalls auf einem Streßlevel, das für uns beide zu händeln ist.

So meinte ich das...

LG Nola
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Beitrag von Motte »

Nola,

da bin ich ganz bei dir.

Vielleicht entsteht das Missverständnis durch das Wort "Druck" - wobei ich mir jetzt gar nicht sicher bin, ob ich es überhaupt verwendet habe.

"Arbeiten"/Beschäftigen muss ja nicht unbedingt mit Druck (im Sinne von Zwang) einher gehen. Sondern einfach nur wirklich "den Kopf anders beschäftigen", einen Kreislauf durchbrechen.

Wir hatten mal ein Korrekturpferd im Stall, welches große Schwierigkeiten beim Aufsteigen machte. Hatte mal die Besitzerin am Bügel ein paar Meter hinterhergeschleift und seitdem war Aufsitzen nur mit Panik verbunden.
Was haben wir gemacht?
Das Pferd in die Stallgasse gestellt und in eine Ponybox gucken lassen.
Und schwupps, saß der Reiter oben, während das Pferd noch begeistert mit dem kleinen Ponymann beschäftigt war. War überhaupt kein Problem und es brauchte noch nicht mal jemand gegenhalten.
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Beitrag von Nola »

Ja, anderweitig beschäftigen half bei meiner auch immer. Aber kaum war die Beschäftigung weg, waren Streß und Panik wieder da. Mittlerweile geht es auch ohne Beschäftigung oder Leckerli. Oder sagen wir: ich bin ihr (meistens) Beschäftigung und Beruhigung genug. :)

Ansonsten natürlich Zustimmung!
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Julia hat geschrieben:Ähm, ich unterrichte seit 20 Jahren auch Bodenarbeit und sorry, aber Du gehst hier gerade echt zu weit!

Alleine dieser Satz: "Was sicherlich auch daran liegt, dass ich selber und im Vermitteln der Dinge im Thema Menschen neben Pferd geübter und somit sicherer bin. "
... spricht dafür dass Du genau dieses eben nicht bist. Du erlaubst Dir ein urteil über andere Menschen die Du noch nie persönlich kennengelernt hast noch irgendetwas genaueres über sie weisst...
Wärest Du "geübter und sicherer und erfahrener" würdest Du es entweder nicht erwähnenswert finden sondern einfach mal fundiert helfen mit richtigen Tipps und nicht nur Phrasen oder es so vermitteln dass Du anderen nicht so frontal gegen den Kopf haust.

Ich bin hier raus, sorry.
Liest du eigentlich auch den Zusammenhang???? Wenn du den Satz als Vergleich zu wem auch immer, geschweige denn zu DIR liest, dann hast du das gründlich falsch verstanden.

Es ging darum, dass ICH so etwas eher nicht reiterlich löse, weil ICH am Boden geübter bin. Wie im Absatz davor erwähnt, weil ICH eben nicht REITEN unterrichte.

Und weil ich in dem Thema eben diese Erfahrung habe, sage ich, dass man durchaus das was am Boden an "Beziehung" erarbeitet wird mit in den Sattel nehmen kann.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
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Beitrag von Finchen »

Allgemein ist grob zwischen 2 Varianten zu entscheiden:

- abstellen des Scheuens in der einen Situation durch Gewöhnung in Kombi mit Ablenkung

- Erarbeiten der Beziehung, die dem Reiter/Menschen ermöglicht pauschal in allen ähnlichen auch zukünftigen Situationen ausreichend zu "regeln"


Da die Stimmung/Einstellung des Menschen eine nicht unwichtige Rolle spielt bei einigen Pferdetypen, kann selbst wenn eine immer wiederkehrende Situation wie im Beispiel diese eine Reitplatzecke bis zur völlig Akzeptanz trainiert wurde (Gewöhnung, Herantasten, Ablenkung etc.) dann doch wieder die Aufregung sich durchsetzen, wenn z.B. der Mensch oben drauf etwas mehr in Alarmbereitschaft ist (unbewusst, da reicht ja schon Stress von was ganz anderem aus, den man mitnimmt aufs Pferd).

Wenn man die zweite Variante nutzt, ist das was der Mensch ausstrahlt, wie seine innere Haltung ist, immer noch ein wenig entscheidender, so wird er sich dessen leichter bewusst und das hilft dann auch in zukünftigen Situationen.

Funktionieren tut beides, halt auf etwas unterschiedliche Art. Und je nach Pferdetyp besser oder schlechter wenn nicht der Mensch in dem was er ausstrahlt berücksichtigt wird.
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Beitrag von hilahola »

@ Melli: genau, solange man selbst noch nicht soviel Plan hat, muss man halt herausfinden, was einem selbst am besten hilft.

Und zur Länge der Beiträge: Ich weiß, dass es für jemanden, der das Problem ohnehin händeln kann, umständlich ist, soviele Details zu lesen. Ich schreibe nur deshalb so ausführlich, weil ich (so wie ich selbst auch oft bei einem Problem gemacht habe/mache) davon ausgehe, dass auch andere mit ähnlichen Problemen das irgendwie lesen und ich mir bei meinen eigenen "Recherchen" immer gewünscht habe, dass etwas "besser" erklärt wird, damit man sich das auch einwenig besser vorstellen kann. Und ja, reittechnisch bin ich ein Weltverbesserer und freue mich, wenn auch nur irgendwer irgendeine Idee oder neuen Imput durch meinen Beitrag hat (vermutlich weil ich mich selbst auch immer so über mich selbst wie ein Kind freue, wenn ich etwas neues herausgefunden habe, was funktioniert oder nicht und warum).
Nola
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Beitrag von Nola »

Ich hab noch über was nachgedacht:

Ich habe nicht viel, aber ein wenig Ahnung von Hirnforschung und Lernen. Tatsache ist: das, was man häufig wiederholt, prägt sich ein, mit jeder Wiederholung tiefer.

Wenn man immer wieder an einer bestimmten Stelle z. B. einen falschen Tanzschritt macht und den dann korrigiert, übt man genau das: meinetwegen erst den linken Fuß nehmen, sich ärgern, Streß haben, schnell zurückzucken, den rechten Fuß nehmen.

Warum sollte das bei Pferden anders sein? Wenn ein Pferd immer wieder an der gleichen Stelle Streß hat - dann "übt" = lernt es doch genau das: an der Stelle ist Streß. Und auch, wenn ich mit Voltengekringel etc. immer wieder reinreite - die Streßsituation bleibt ja und prägt sich mit jeder Wiederholung tiefer ein.

Es wird nicht nur das Endergebnis gelernt - das Pferd geht doch noch durch die Ecke - sondern auch die ganzen stressigen Begleitumstände. Das Scheuen, das Nervös-Gucken, das Seitwärts-weichen-Wollen, das Druck-bekommen-vom-Reiter. Völlig egal, ob man beim Tänzeln nicht lobt sondern erst beim Abschnauben. Also klar bringt die positive Verstärkung auch was, aber die erste Reiz-/Streßebene ist vorherrschend.

Ich denke, das ist mit einer der Gründe oder vielleicht der wesentlichste, warum ich nicht unbedingt in der Ecke selbst üben würde, sondern in einer anderen oder wo ganz anders was ganz anderes.

Also gerade, wenn das Verhalten da schon so eingeprägt ist und sich durch Gewöhnung an die Situation eben anscheinend NICHT abstellen läßt.
Vielleicht ist das Verhalten auch schon rituell. DAS wäre aber noch mal ein ganz anderer Ansatz - und da müßte man dann auch ganz anders ran. Alternativverhalten anbieten. Da fällt mir spontan jetzt aber nicht soviel zu ein.

Gruß Nola
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Melli
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Beitrag von Melli »

Nola
das gilt klaro für Pferde genauso wie für Menschen und andere Tiere! Schön, dass du das ansprichst!

Pferde, die sich nicht gut verladen lassen, tun das z.B. auch irgendwann nicht mehr nur, weil der Hänger ein dunkles enges Loch ohne Fluchtmöglichkeit ist, sondern weil sie durch viele schlechte Verladesituationen gelernt haben, dass der Hänger ein Ort ist, an dem es irgendwie Druck gibt, Diskussionen, "zanken", an dem der Mensch nicht so lieb und freundlich und geduldig ist wie sonst, oder wo er zu viel Erwartung hat alleine schon. Irgendwann ist es alleine das, was das Verladen schwer macht, es ist nicht mehr nur die Angst vor der Sache, sondern die unangenehme Situation als solche.

Das Pferd lernt _immer_. Alles was ich tue, macht es entweder besser oder schlechter, und dazu zählt neben einer bewirkten Verhaltensänderung auch: das Pferd fühlt sich darin bestätigt, sich genau so zu verhalten wie immer, sprich das Verhalten wird gefestigter (im Guten wie im Schlechten).
Es gibt nichts dazwischen.

Flucht ist ein Verhalten, das eine unangenehme Situation beenden soll, und damit für das Pferd "belohnend" (körpereigenes Belohnungssystem). Flucht belohnt das Gefühl Angst. Das ist überlebensrelevant und daher fest verankert.
Von Hunden weiß ich, dass z.B. das körpereigene Belohnungssystem für "Jagd" schon anspringt, wenn der Hund einer Beute nachsetzt, also nicht erst, wenn er die Beute gefangen hat. Auch schon, wenn er fixiert, zielt, an der Leine zieht o.ä. beginnt die Verhaltenskette, auf einen bestimmten Reiz das Programm "jagen" abzuspielen, was vom Körper belohnt wird.

Bei Flucht von Pferden ist das vermutlich nicht anders. Wenn das Pferd emotional im Fluchtmodus ist, dann hilft es auch nicht, wenn ich das Pferd mit meinen Hilfen nicht fliehen lasse. Es wird dennoch abgespeichert, dass das eine fluchtrelevante Situation war.
Ich kann durch fortwährendes Wiederholen in derselben Situation (Gehorsam) durch Gewöhnung eine Verbesserung erzielen.
Gewohnheit ist ein machtvolles Ding (im Guten wie im Schlechten).
ABER: dabei darf es keine Ausreißer (und daran scheitert der Plan "Gewöhnung" am häufigsten) in Form von "Flucht-Verhaltenskette gestartet" geben, sonst lernt das Pferd bloß (und mit jedem Ausreißer fester verankert), dass Folgsamkeit nur für gute Zeiten ist und es sich im Zweifel doch auf sich selbst verlässt. Jeder Ausreißer bestätigt dem Pferd mehr und eindringlicher, dass Misstrauen gegen menschliche Entscheidungen wichtig ist. Wenn dieses Misstrauen erstmal sehr gefestigt ist (ich hatte selbst einmal einen ganz schlimmen Durchgänger), kann es Wochen, Monate oder Jahre brauchen, in denen kein "Ausreißer" passieren darf, bis das Pferd auch unter Stress vorbehaltlos auf den Menschen hört.
Ich darf dieses Misstrauen ncht füttern.

Don´t make more pressure than you can handle.
Druck ist nicht nur das, was ich unmittelbar mit meinem Körper mache, sondern auch, in wieviel "Sorge", Unsicherheit oder Angst ich mein Pferd bringe. Situationsdruck.
Ich will meinem Pferd im besten Fall vermitteln, dass ich alle Situationen auf der Welt im Griff habe und es niemals was alleine entscheiden muss wenn ich dabei bin :) Also muss ich meine Grenzen kennen.

Darum ist es (mir) so wichtig, dass ich mein Pferd in einem Bereich arbeite, den ich sicher, d.h. souverän, innerlich gelöst, routiniert händeln kann. Immer in der Lernzone, aber ob im hellgelb-sicheren oder dunkelgelb-riskanten Bereich, das entscheiden meine eigenen Fähigkeiten (emotionale und mentale Selbstkontrolle, technische Fertigkeiten, Timing, Feeling...).

Wir haben den Luxus, dass wir tatsächlich mit wenig Aufwand recht gut planen können ,was wir dem Pferd zumuten und was nicht. Wir müssen nicht mit Ufos rechnen, die neben uns auf der Wiese landen, nicht mal mit Grizzlys, die plötzlich hinter einem Busch auftauchen. Die allermeisten Lernsituationen können wir so gestalten, dass wir sie souverän händeln können. Bonus für uns, nutzen wir ihn.
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