Wo fängt Rollkur an?

Rund um die klassische Reitkunst

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Donna
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Beitrag von Donna »

Mit Lob verdirbt man Reiter
Deshalb loben gute Trainer nur sehr selten
.Reiter sind wahrscheinlich ehr Narzissten die sich hinter ihrer Pferdeliebe verstecken
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Das sehe ich ein wenig anders.

Wenn die Pferdezucht Exemplare hervorbringt, die in so einer Manier geritten werden "müssen" (das will ich nicht behaupten, aber in dem Fall jetzt mal so angenommen, ohne diesen Punkt diskutieren zu wollen), dann ist da grundlegend was schief gelaufen. Das sollte nicht zur Rechtfertigung dieser Reitere dienen, sondern dazu führen, dass schnell und krass umgedacht und anders gezüchtet wird.

Zudem ist die hochgelobte Sportpferdezucht (allgemein, nicht von dir, hilahola) womöglich eher auf einem ganz schlechten Weg. :? Ich finde die Beiträge auf youtube zum Stichwort "Designerpferd" wenn auch teils etwas ... eigen in ihrer Formulierung, insgesamt sehr informativ. Und erschreckend.


@Donna:
Reiter sind Menschen. Und dass Menschen besser lernen und sich entwickeln mit Lob, ist ja nun keine so neue Erkenntnis. Daher halte ich diesen Satz für nicht zutreffend.
Dass man eine "Grundverdorbenheit" so ggf. noch negativ beeinflussen kann, das mag sein, aber allgemeingültig denke ich ist es so nicht richtig.
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hilahola
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Beitrag von hilahola »

@ finchen: ich glaube nicht, dass diese Pferde so geritten werden müssen, sondern dass dies offensichtlich Zeit- und geldtechnisch die einfachste Variante ist. Natürlich wird es auch andere Möglichkeiten geben. Mein Beitrag war auch nicht eine Verteidigung oder lobeshymne für die rollkur,sondern einfach der Versuch anhand meiner Beobachtung zu analysieren,WARUM sie verwendet wird, was der vermeintliche Vorteil ist, weil ich zugegebenermaßen schon entsetzt war wie ich das gereit meiner Bekannten gesehen habe und weiß wie es aussieht wenn sie sonst reitet - ich hatte da eine direkte vergleichsmögli hkeit in live und nicht nur Bilder oder Fotos von irgendwelchen sportreitern, welche natürlich auch wirtschaftlichen Zwängen unterliegen. Und auch meine Bekannte war beim reiten nicht unter dem Zwang, etwas supercool machen zu müssen oder das Pferd für die Besitzer zu bereiten, sondern es war reiten just for fünf. Deshalb hat mich das so nachdenklich gemacht.
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Ich wollte auch nicht unterstellen, dass es deine Meinung ist. Aber eben, auch diese Pferde haben nicht dazu geführt, sondern die Tatsache, dass mit Rollkur ein wie auch immer definiertes Ziel schneller (vielleicht einfacher auch) erreicht werden kann.
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geolina
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Beitrag von geolina »

hallo,

donna, da empfehle ich daniel kahneman (https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Kahneman). lob ist irgendwie in der reiterausbildung ein pfui bäh - weil es den charakter versaut. tut es nicht, es hilft nur positiv zu verstärken. man muss es halt können, also das loben, dann ist es ein perfektes schulungsmittel. wenn sinnfrei gelobt wird, dann isses halt - naja, sinnfrei. aber auch sinnfrei jeden zusammenstauchen (was in reiterkreisen ja gerne als "alte, harte schule" gelobt wird) ist nicht anderes außer sinnfrei.

es ist ein irrglaube, dass nur pferde für gute ansätze gelobt werden sollten, reiter ganz genauso.

das hat nun nix mit der rollkur zu tun ;), nur so als hinweis an sich.

und in einem stimme ich hilahola zu, die rollkur erscheint erstmal sehr effektiv. wie stabil, dann eine stabilität, die über rollkur erreicht wurde (gefühlsmäßig vom reiter gesehen) dann tatsächlich ist und wie hilfreich für eine reiter-pferd-kombi, die auf gemeinsamkeit fußt .... naja.

wenn ein junges pferd mit riesigen bewegungsmöglichkeiten nicht innerhalb von einer reiteinheit stabil wird ... naja, ist das verwunderlich? das pferd muss sich doch erstmal sortieren lernen. solange muss man halt den bewegungskünstler evtl. auch mal "ertragen".

alex
Zuletzt geändert von geolina am Di, 13. Jun 2017 22:30, insgesamt 1-mal geändert.
irgendwann wird`s schon nach reiten aussehen - irgendwann ...
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

geolina hat geschrieben: wenn ein junges pferd mit riesigen bewegungsmöglichkeiten nicht innerhalb von einer reiteinheit stabil wird ... naja, ist das verwunderlich? das pferd muss sich doch erstmal sortieren lernen. solange muss man halt den bewegungskünstler evtl. auch mal "ertragen".

alex
Eben. Da kommt dann wieder der Gedanke "Die Dressur ist für das Pferd da" - und leider tut die Zucht mit ihren aktuell geliebten Extremen den Reitern im Grunde nichts Gutes, denn wie du schreibst, für "schnell gut" ist das grade nix mehr, das sehr spezielle zum Teil schon was das Exterieur betrifft bräuchte EIGENTLICH genau das Gegenteil, viel sorgsamere Ausbildung und mehr Zeit.

Zucht ist leider zunehmend Perversion, und auch für die Sportreiter sollte gelten, was eigentlich ein Muss ist: nach vorhandenen Exterieurgegebenheiten ausbilden.
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hilahola
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Beitrag von hilahola »

Naja, die Dressur ist für das Pferd da... ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr, dass das der ursprüngliche Sinn des "Erfinders" war, sondern vermutlich eher ein "positives" Begleitprodukt.

Zuerst hat der Mensch wohl das Pferd nur gegessen. Dann ist er draufgekommen, dass er es auch zum Draufsitzen hernehmen kann, damit er selbst nicht mehr von A nach B zu Fuß gehen muss. Das war dann Anfangs wohl mit einigen Differenzen auch verbunden, die es dem Menschen anstengend gemacht haben. Nachdem der Mensch - wie jedes Lebewesen - ökonomisch veranlagt war, hat er halt versucht herauszufinden, wie ER (der oben sitzt) sich weniger anstrengen muss und hat dann eben verschiedene Sachen - mit mehr oder wenig guten Erfolg - ausprobiert. Irgendwer muss dann herausgefunden haben, dass je versammelter sich das Pferd bewegt, desto weniger Mühen (körperliche und auch Widerstände seitens des "Kopfs" des Pferdes) der Reiter hat und dann hat der Mensch halt versucht herauszufinden, wie er das Pferd schnellstmöglich in die "Versammlung" bringen kann. Die Menschen haben dann angefangen aufzuschreiben, welche Wege bei ihnen funktioniert haben, was sie herausgefunden haben, was gut funktioniert und was weniger gut funktioniert. Dabei dürften diese Menschen im Laufe der Zeit praktisch nebenbei auch draufgekommen sein, dass die Pferde durch "richtiges" Reiten, das auch für den Reiter angenehm ist, nicht so schnell kaputt gingen, weil der Reiter seine eigenen Bewegungen und die des Pferdes besser kontrollieren konnte. Wer einmal auf einem ehrlich versammelten Pferd gesessen ist und gespürt hat, wie fließend und weich diese Bewegungen sind und wie ruhig sich die Bewegungen für den Reiter anfühlen, der wird nachvollziehen können, dass es dem "Erfinder" primär um dieses angenehme Gefühl für den Reiter selbst gegangen sein muss (insbesondere wenn man das stoßende, holprige, steife und unbequeme Gefühl und die zeitweise Plagerrei auf den "normalen" Pferden kennt). Wie der Mensch nun mal ist, hat er sich dann auf die Suche begeben, wie er dieses abgenehme Gefühl möglichst rasch erreichen kann und wird dabei mitunter Fehler gemacht haben, die sich auf die Gesundheit der Pferde ausgewirkt hat. Nach und nach wird der Mensch auch (vermutlich zuerst unterbewusst) erkannt haben, dass die eigentliche Ursache der holprigen steifen, nicht lenk- und bremsbaren Pferde, in körperlichen Defiziten, Muskelverspannungen, falschen Bewegungsmustern usw. liegt und hat zur Behebung derselben "Dressuraufgaben" entwickelt, die das Pferd gymnastizieren sollen, damit es sich besser Bewegen lernt usw DAMIT es für den Reiter leichter und sicherer steuerbar wird. Der primäre Grund wird also immer die bestmögliche Kontrolle bei sehr angenehmen Bewegungen gewesen sein und die Gymnastizierung der Zweck dazu. Nachdem zunächst offensichtlich von den Menschen zuviel Fokus auf die bestmögliche Kontrolle verwendet wurde (mitunter mit nicht so pferdeverträglichen Methoden) hat das ganze dann einen dramatischen Schwenk in die andere Richtung genommen und es wurde/wird auch derzeit (zumindest in der breiten Masse), ausschließlich die Gymnastizierung fokusiert und sehr gut vermarktet. Wie kann es sein, dass es vermutlich heutzutage gleichviel (oder mehr) kaputte Pferde gibt, als früher, obwohl sich zumindest im Freizeitreiterbereich die Gymnastizierung des Pferdes (samt Massagen, Osteo, Sattelhype, Sitzschulungsmittel usw), die langsame Ausbildung (das zufriedengeben mit so wenigem, nicht leistungsbezogen, lieber 100 Jahre auf E/A Niveau herumgurken, damit das Pferd ja nicht überfordert wird, auch keine Turnierambitionen usw) von den Reitern ehrlich versucht wird, auf jedem Reitplatz mit RU die ganzen guten theoretischen Ansätze zu hören sind und die Reiter sich auch größtenteils offensichtlich bemühen, das korrekt umzusetzen. Das Problem mit Fokusierung auf einen Teilbereich ist bekannt: Man verliert den Überblick auf das "große Ganze".

Sämtliche wertvolle Reitliteratur aus den vorherigen Jahrhunderten hatte mit dem alten Pferdeschlag zu kämpfen, den stämmigen und kräftigen, die dem Reiter durchaus mehr Widerstand entgegensetzten. Das aus dieser Zeit niedergeschriebene hat mit diesem Pferdetyp offensichtlich auch einigermaßen gut funktioniert. Wendet man diese Stategien allerdings auf einen gänzlich anderen Pferdetyp (wie die modernen WB) an, welcher ganz andere Problembereiche hat, dann bekommt man unweigerlich Probleme.

Die HDV und darauf aufbauend die Richtlinien haben den "älteren" WB schlag in ihrem Kopf. Ich gehe davon aus, dass die Autoren bei der Erstellung der RL sowohl den gesundheitlichen Aspekt des Pferdes als auch die Kontrollierbarkeit des Pferdes berücksichtigen wollten, als sie ihre Ausbildungsprinzipien niedergeschrieben haben.
Wenn sich der Reiter aufs Pferd setzt, kann dieses (einfach betrachtet!) die Wirbelsäule (inb. Brustwirbelsäule wo man draufsitzt) einfach hängen lassen (auseinandergefallenes, entspanntes Pferd), nach unten versteifen (Hirschmodus über dem Zügel), nach oben feststellen (rückwärts abwärts mit dem Kopf zur Brust).
Die Bewegungsgeschwindigkeit hat zudem Einfluss auf den Muskeltonus: je schneller, desto höher der Muskeltonus, was ebenfalls zu Stabilität führt (z.B. Hirschmodus zur Flucht). Die Richtlinien wollen, dass das junge Pferd zunächst viel vorwärts, geradeaus, bei freier Kopfhaltung geht. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass die jungen Pferde zubeginn alle relativ dieselben Verhaltensmuster zeigen (auch wenn sie je nach Pferd unterschiedlich aussehen können) und die Autoren eben eine "Pauchallösung" für diese Standardproblemfälle anbieten wollen, dann ergibt sich folgendes Bild: Das (damalige Standard) junge Pferd wird, wenn es langsam an den Reiter gewöhnt wurde (und die Brustwirbelsäule nicht mehr krampfig nach unten versteift und ihm oben feststellen zu mühsam geworden ist), relativ bald damit anfangen seine Brustwirbelsäule einfach durchhängen zu lassen, was natürlich die Hilfengebung des Reiters erschwert und auch (je nach Pferd) den Reiter nicht so angenehm "getragen" sitzen lässt, sondern ihn relativ viel "durchschüttelt". Um jetzt in dieses Wackelige etwas Stabilität zu bringen, kann man das Tempo auf der Geraden erhöhen und so die Brustwirbelsäule stabilisieren. Allerdings hat man dabei den Nachteil, dass man ins leichttraben gezwungen wird, weil die Hinterbeine so viel schieben, dass man nicht mehr ordentlich Sitzen kann und das Pferd am Anfang - bis seine HB mehr tragen können - eine relativ harte Anlehnung nehmen wird, aber insgesamt ist das Pferd auf diese weise besser Beherrschbar, wie am Anfang mit der fallengelassenen, "entspannten" Brustwirbelsäule. Diese Methode funktioniert anscheindend auch bis ca. A-Niveau bei vielen Pferden gut.

Wenn ich jetzt so einen Bewegungskünstler habe, der mit einem Trabtritt schon die Wegstrecke von 3 Trabtritten eines "normalen" Pferdes zurücklegt, dann KANN ich ein derartiges Pferd auf dem Reitplatz/der Reithalle nicht lange genug gerade und in einem forscheren Tempo halten, weil ja immer sofort wieder eine Ecke, eine Wendung da ist, die unweigerlich Instabilität in das ganze Pferd bringt. Und ich weiß auch nicht, wie schnell vom Tempo her, man ein solches Pferd auch reiten will, weil ich denke mir, bis diese Pferde über die Geschwindigkeit einen höheren Muskeltonus (ein bisschen von Fluchtmodus) erreichen, ist man einfach schon aufgrund der Beinlänge ziemlich rasant unterwegs und selbst das Leichttraben wird bis man eine gewisse Stabilität in der Brustwirbelsäule erreicht hat, aufgrund des enormen Schwungs auch vermutlich alles andere als angenehm sein. Dazu kommt, dass diese Pferde auch sehr lose im Halsansatz sind. Bei einem "normalen" Pferd habe ich gute Chancen, dass durch die Geschwindigkeit das ganze Pferd bis zur Nasenspitez nach vorne Stabilisiert wird, sodass ich auch mit den Zügel (wenn auch nicht so fein, aber immerhin) einwirken kann und zumindest irgendeine Form von reiterliche Kontrolle da ist. Wenn dann bei den modernen Sportpferden aber auch noch einen losen Halsansatz und ein loses Genick vorhanden ist, und nicht man (aus vorher besprochenen Gründen) nicht mit genug Tempo reiten kann (ua. wegen der schon übergroßen unnatürlichen Übersetzung) dann bleibt die Nase hinter der Senkrechten und Pferdi kann wunderbar nach Hinten ausweichen und sich so den Zügelhilfen und dem restlichen Reiter entziehen und dann ist das ursprüngliche Ziel des Reitens, nämich auf dem Pferd anstatt mit den eigenen Füßen kontrolliert und sicher von A nach B zu kommen, auch nicht mehr realisierbar - von einer sinnvollen Gymnastizierung ganz zu schweigen.

Ich persönlich sehe auch nicht die Züchter als die "Bösen". Als nach dem Krieg die Sport- und Freizeitreiterei begonnen hat, haben meiner Meinung nach die damaligen RL, welche in unseren Breiten hauptsächlich militärischen Ursprungs waren - mit ihren Unterrichtsmethoden maßgeblich dazu beigetragen, dass die Reiter nicht vermittelt bekommen haben, dass es um die gemeinsame Ausbildung des Pferdes und des Reiters (nämlich die ewige Suche nach dem: Wie komme ich am besten, sichersten und bequemsten mit meinem Pferd von A nach B) geht, sondern um das Erreichen eines "Ergebnisses" (sei es Angaloppieren, Anhalten oder fliegender Wechsel) und das wird auch noch bewertet in "Gut" und "Schlecht". Wenn jetzt dem Pferdebesitzer vom RL nicht das "richtige" Ziel vor Augen gesetzt wird (nämlich, dass der Weg das Ziel ist), sondern den Wert seiner Person vom optischen Output seiner gezeigten Leistung (z.B. das Pferd durch das Genick reiten) abhängig gemacht wird, ist es verständlich, dass sich der Pferdebesitzer über kurz oder lang minderwertig fühlen wird und eben als "einfachste" Strategie sich ein "besseres" Pferd zulegen wird, das seine reiterlichen Mängel optisch verdeckt. Und über die Jahrzehnte führt das dazu, dass die reiterlichen Fähigkeiten selbst immer schlechter werden, das von den Züchtern gelieferte Pferdematerial immer "besser" im Sinne von es zeigt OPTISCH frei schon solche Bewegungen, wie sie normalerweise erst durch völlig "richtiges" Reiten ENTSTEHEN. Und dann ist man jetzt offensichtlich an einem Punkt angekommen, wo die Pferde zwar optisch bereits ohne lange Ausbildung ein "schönes" Bild abgeben, allerdings mühen sich die Reiter vermutlich mehr als jemals zuvor ab, diese Pferde zu einem bequemen und kontrollierbaren fahrbaren Untersatz zu formen. Den Sportreitern ist - vermutlich viel mehr als jedem Freizeitreiter - bewusst, dass Kontrolle über die Bewegung des Pferdes ausschlaggebend nicht nur für einen sportlichen Erfolg, sondern auch zur eigenen Sicherheit unablässlich ist (der Punkt, der meines Erachtens nach von vielen Freizeitreitern vergessen wird, weil man eine "zu" gefühlsbetonte Beziehung zu seinem Pferd aufbaut und den ursprünglichen Zweck des Reitens vergisst).

Das Problem der hypermobilen Pferde, welches sich derzeit offensichtlich am einfachsten und schnellsten durch die Rollkur beheben lässt, ist also die derzeitige "Lösungsaufgabe", die die Reiterwelt zu lösen haben wird. Man kann es sich einfach und schnell machen und die Rollkur verwenden, mit den entsprechenden Resultaten und Nachteilen oder man kann versuchen für dieses Problem eine andere Lösung zu suchen und sie vielleicht finden (so wie es die Reiter im Barock mit ihren vermutlich etwas zu strammen Tieren getan haben). Das witzigste war vermutlich, als die Rollkur thematisiert wurde und dann einige - um ja nicht in die böse Rollkur-Kategorie - gestopft zu werden, die Pferde gleich anfangs hoch eingestellt haben (um das Brustbeisen nicht zu zeigen) allerdings hat das dann eben halt auch nicht schön ausgesehen, wenn die das aufgekröpft und oben eng herumgelaufen sind. Das war halt auch ein Gegenversuch.

Die Rollkur selbst wird mit dem derzeitigen Pferdematerial vermutlich das Tapet nicht so schnell verlassen, weil die ganze (Sport)Reiterei verständlicherweise zeit-, geld- und leistungsorientiert ist. Aufgrund der Vorbildwirkung ist dies natürlich problematisch. Wenn allerdings an der Basis genügend RL vorhanden sind, die dem Reiter die Technik und die Theorie so vermitteln können, dass er sie auch verstehen und anwenden kann (und nicht sinnlos irgendwelches theoretisches Zeug von sich gibt ohne es verstanden und gefühlt zu haben), und die richtige Einstellung zum Reitenlernen vermitteln können, werden die einzelnen Freizeitreiter viel weniger Gefahr laufen, etwas zu machen, weil es jemand anderer auch tut, weil sie gelernt haben, in jeder Sekunde des Reitens auf ihr Pferd zu achten und nach dessen Bedürfnissen zu agieren und schneller zu entdecken, wenn man einen "Fehler" macht.

Ich denke also, dass man generell vorsichtig sein sollte, mit vorschnellen Urteilen. Es mag sein, dass etwas nicht ins Konzept passt und objektiv auch falsch ist - und jeder schreit dann gleich. Allerdings stelle ich mir dann immer die Frage, was könnte man stattdessen machen, wie könnte man es anders machen. Und dann hat man natürlich generell Ideen, wie man es selbst machen würde (z.B. langsamere Ausbildung usw.). Und dann sollte man aber nicht vergessen, sich selbst auch noch in die Lage der anderen Person zu versetzen mit demgleichen Zeit, Geld, Sicherheits usw - Druck. Da wird man dann sehr schnell realistisch und erkennt oftmals, dass das, was man ursprünglich als absolutes No-Go angesehen hat (und deshalb selbst "zur Sicherheit" mit ellenlangen Zügeln auf auseinandergefallenem Pferd hergefuhrwerkt hat, damit man ja nich in die Rollkur-Kategorie fällt), sich nach und nach relativiert und einfach ein Symptom dafür ist, dass in der Reiterei der Hund drinnen ist.

Zum Ertragen der Bewegeungen: ist natürlich schön zu sagen "ich geb dem Pferd die Zeit, die es braucht, um mit seinem Körper zurecht zu kommen" aber bis wann setzte ich da dann die Grenze? Ist es pferdeverträglicher ein solches Bewegungswunder in seiner ganzen Instabiliät zwei oder drei Jahre einfach nur im Leichtraben ganze Bahn außenrum gehen zu lassen oder beim Ausreiten geradeaus? Braucht es diese Zeit des Herumtorkelns und wird sich irgenwann von selbst stabilisieren oder fördere ich damit indirekt seinen instabilen Bewegungsablauf? Bei einem Pferd, das offen über dem Zügel geht und herumhirscht, versucht absolut jeder - und sei es der größte Reitanfänger - den Kopf "runter" zu bringen, weil diese Bewegungsmuster nicht grad förderlich für die Gesundheit ist. Bei einem Pferd, das wenn man aufsitzt, schon optisch schon "so perfekt in Selbsthaltung" läuft, wo setzt man da dann an? Kopf runterziehen obwohl er schon so schön getragen wird? Hinterbeine zum schwungvollen abstoßen bringen, obwohl sie schon so schön schwungvoll "unter den Schwerpunkt" treten? Am Takt arbeiten, der so regelmäßig wie ein Metronom schlägt? An der Rippenbiegung, die diese Tiere meist fast automatisch integriert "selbständig" anbieten? An der Schulterfreiheit arbeiten, obwohl sich die Schulter samt Vorderbein schon so frei bewegt wie ein Vogel seine Flügel? Aber dafür das wesentliche Problem, nämlich dass der Reiter absolut nicht sitzen kann auf diesen Tieren, weil es ihn bei jedem Tritt gegen den Himmel schießt, und eine Hilfengebung aus dem Becken/ganzen Körper nicht möglich ist, unbeachtet lassen und dem Reiter sagen, er muss mehr Sitzübungen (die natürlich ihre Berechtigung haben, aber irgendwo gibt es einfach anatomische Grenzen) machen?
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Also, bei uns im Stall ist so ein Bewegungswunder, das von seiner Besitzerin mit äußerster Vorsicht geritten und bloß nicht angefasst wird. Das Ergebnis ist, dass das Pferd jetzt nach 2 Jahren immer noch völlig haltlos durch die Gegen steppt, es trabt nicht, sondern "es trabt mit ihm davon", ohne Balance und ohne jedes Gefühl für seinen eigenen Körper, allerdings leider nicht in schöner Selbsthaltung und cremig durch den Körper, sondern fest, schief und mit steif vorgestrecktem Hals. Seine Tritte sind so groß und übertrieben, dass man das Gefühl hat, es ist ihnen hilflos ausgeliefert. Das ganze Pferd wackelt wie ein Lämmerschwanz, ist aber dabei knackfest in der ganzen Oberlinie. Das wäre für mich absolut ein Fall für "lieber erstmal ein bisschen enger, aber dafür wenigstens halbwegs koordiniert".
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Rapunzel hat geschrieben:Also, bei uns im Stall ist so ein Bewegungswunder, das von seiner Besitzerin mit äußerster Vorsicht geritten und bloß nicht angefasst wird. Das Ergebnis ist, dass das Pferd jetzt nach 2 Jahren immer noch völlig haltlos durch die Gegen steppt, es trabt nicht, sondern "es trabt mit ihm davon", ohne Balance und ohne jedes Gefühl für seinen eigenen Körper, allerdings leider nicht in schöner Selbsthaltung und cremig durch den Körper, sondern fest, schief und mit steif vorgestrecktem Hals. Seine Tritte sind so groß und übertrieben, dass man das Gefühl hat, es ist ihnen hilflos ausgeliefert. Das ganze Pferd wackelt wie ein Lämmerschwanz, ist aber dabei knackfest in der ganzen Oberlinie. Das wäre für mich absolut ein Fall für "lieber erstmal ein bisschen enger, aber dafür wenigstens halbwegs koordiniert".
Das wäre wohl vor allem ein Musterfall für "besser reittauglich züchten". :? Diese Perversionen sind ja zum Teil nicht mehr auszuhalten.

Ob ein Pferd nun "zu eng" geritten werden MUSS, um es in seine Balance zu bringen, es geradezurichten ... möchte ich auch nicht annehmen. Aber wenn man reiten will mit allem was dazu gehört, ist doch die Auswahl der Eignung des Pferdes auch nicht ganz verkehrt. Wenn die Biester aber inzwischen alle nicht mehr können was sie sollen, weil sie so mit ihren mistigen Proportionen beschäftigt sind und dem Gleichgewicht hinterherlaufen müssen ... puh.
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Julia
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Beitrag von Julia »

Finchen hat geschrieben:
Rapunzel hat geschrieben:Also, bei uns im Stall ist so ein Bewegungswunder, das von seiner Besitzerin mit äußerster Vorsicht geritten und bloß nicht angefasst wird. Das Ergebnis ist, dass das Pferd jetzt nach 2 Jahren immer noch völlig haltlos durch die Gegen steppt, es trabt nicht, sondern "es trabt mit ihm davon", ohne Balance und ohne jedes Gefühl für seinen eigenen Körper, allerdings leider nicht in schöner Selbsthaltung und cremig durch den Körper, sondern fest, schief und mit steif vorgestrecktem Hals. Seine Tritte sind so groß und übertrieben, dass man das Gefühl hat, es ist ihnen hilflos ausgeliefert. Das ganze Pferd wackelt wie ein Lämmerschwanz, ist aber dabei knackfest in der ganzen Oberlinie. Das wäre für mich absolut ein Fall für "lieber erstmal ein bisschen enger, aber dafür wenigstens halbwegs koordiniert".
Das wäre wohl vor allem ein Musterfall für "besser reittauglich züchten". :? Diese Perversionen sind ja zum Teil nicht mehr auszuhalten.
Öhm, das hat wohl eher was mit dem Reiter zu tun als mit der Zucht ?!
Sorry, aber ich muss kein Pferd "rollkuren" um es in Balance und Gleichgewicht zu bekommen. Für mich klingt der Fall eher nach Reiter der nicht gelernt hat und auch nicht in der Lage ist ein Pferd solide auszubilden...

EDIT: und jedes Pferd rennt erstmal seinem Gleichgewicht hinterher wenn man es nicht zuerst am Boden schult, das hat mit Zucht nix zu tun :roll:

Nur weil Bewegungswunder ist es nicht gleich ein untaugliches Zuchtprodukt welches nicht normal ausgebildet werden kann...
Liebe Grüße, Julia
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Kein Pferd muss eng geritten werden. Es ist ein Fehler, damit entzieht sich das Pferd korrekter Dehnung, einem korrekten Rückenschwung, der Einwirkungsmöglichkeit auf das Hinterbein. Natürlich KANN es passieren, aber es ist aus meiner Sicht niemals anzustreben und genausowenig zu tolerieren. Gerade und ganz besonders in der Grundausbildung entzieht sich das jeder Logik auf dem Weg zur Reitkunst.

Man spricht von "das Pferd soll die Anlehnung suchen" und "von hinten nach vorne", "federnder Verbindung" - und in der Praxis? Hauptsache ZUERST ist der Kopp unten und dann schaut man ob man es wieder richten kann. Ne, sorry, aber das ist ganz weit weg von meinem Verständnis von klassischer Dressur- völlig egal nach welcher Lehre. Als wäre es das gröbste Vergehen und ein unkalkulierbares Risiko zu WARTEN bis das Pferd die Anlehnung SUCHT. Diese Angst zu warten ist doch bei manchen schon fast krankhaft. Mal ganz abgesehen davon dass logische Ausbildung in vielen Fällen nicht mal unbedingt länger dauern muss.

Und wenn man eng einstellen muss um Kontrolle zu behalten, dann hängt es meistens schon wo ganz anders. Nämlich an der artgerechten Haltung. Ab mit den high- end- Sportpferden in 24h Offenstall im Herdenverbund, und wir schauen mal wieviel Problem noch bleibt.

Nein, das sind keine Mutmaßungen, sondern Schlußfolgerungen aus regelmäßigen Beobachtungen und meiner eigenen Erfahrung.

Ich bin verärgert darüber. Es gibt einen fairen Weg, für jedes Pferd und jedes Problem.
Motte
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Beitrag von Motte »

Hach ja....

Hier mal ein junger Hengst mit unglaublichen Bewegungen.
http://www.gestuet-wm.eu/secret.html

Mal nach unten scrollen, da ist auch ein Video.

Das ist ein Bild von Pferd, unglaublich schön mit wirklich abartigen Bewegungen.
Der schaufelt mal eben mit knapp 9 Galoppsprüngen die lange Seite runter, und man sieht, dass die Reiterin dabei schon versucht, ihn sachte bei sich zu behalten - sprich: der hätte wahrlich kein Problem, da mit 7 Galoppsprüngen die lange Seite abzumetern, ohne dass der Galopp dadurch an Qualität verlieren würde.
Der ist ja noch ganz wenig geritten und hat ganz viel Auslauf....
Es kann also nicht daran liegen, dass der so daher kommt - der hat das einfach von Haus aus.
Wer meint, sowas sei einfach zu bedienen, und der müsste nur V/A gearbeitet werden, kann sich da ja mal draufsetzen. ...

Die Frage ist halt: WIE arbeitet man ein solches Pferd, OHNE ihn zu verschlechtern? Der schaufelt mal eben im Trab die kurze Seite mit 10 Trabschritten ab - ohne dass der in irgendeiner Art und Weise geschickt wird, eher im Gegenteil! Ein "normales" Pferd braucht dafür 13-15 Trabschritte.

Irgendwie ist das putzig, früher wurden die Bewegungen der Pferde durch's Gerittenwerden besser. Und das galt eigentlich auch für "Otto-Normal-Verbraucher".
Bei so einem Pferd wie dem wunderschönen Hengst hier, kann die Bewegungsqualität durch's Reiten eigentlich nur noch schlechter werden. Jedenfalls wenn "Otto-Normal-Verbraucher" da drauf sitzt.
Irgendwie ist das schon verquer.
Rapunzel
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Beitrag von Rapunzel »

Wie gesagt, dass Pferd bei uns wurde zwei Jahre nur am halblangen Zügel versucht v/a zu reiten, sehr behutsam, sehr klassisch korrekt und mit aller Zeit der Welt - aber das Ergebnis ist kacke.

Nein, das ist beileibe kein "modernes Lampenaustret"-Zuchtprodukt, sondern ein Trakehner aus völlig unspektakulären Linien. Ich persönlich finde, dass seine Bewegungen sehr ungesund aussehen, aber nicht, weil der so schrecklich da hingezüchtet ist, sondern weil er irgendwie schon fast ataktisch wirkt und eben so gar keinen Bezug zu seinem eigenen Körper hat. Wenn der so gehen würde wie der junge Hengst da aus dem Video, würde ich auch keine Notwendigkeit sehen, den mehr anzufassen, aber das tut er leider nicht, sondern er eiert alleingelassen und haltlos durch die Gegend. Der bräuchte einfach sehr offensichtlich mehr Rahmen und bekommt ihn vor lauter "muss alles absolut klassisch sein und Pferd darf niemals hinter die Senkrechte kommen" nicht.
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Und um einem Pferd "Rahmen" zu geben ist es sinnvoll es eng einzustellen und mit deutlicheren Hilfen zu reiten? Dann ist es sinnvoll "unklassisch" vorzugehen?

Was für ein Quatscb. So ein Pferd brauch Balance, Losgelassenheit zwischen den Hilfen, Vertrauen in seinen Körper und seinen Ausbilder. Aber all das ist sehr klassisch und erfordert beim besten Willen weder enges reiten noch sonstige Zwangsmittel. Wer es nicht schafft ein solches Pferd vernünftig (klassisch orientiert) auszubilden, der kann (oder will?) es ganz einfach nicht. Ist ja auch nicht schlimm, ich perönlcih könnte ein solches Pferd wahrscheinlich auch niemals sitzen.. Aber "ich kann es nicht" ist eben etwas anderes als " es geht nicht anders" oder "das ist der richtige Weg".

HdS ist auf dem Weg zur Reitkunst vor allem SINNLOS. Es macht mehr kaputt als dass es hilft. Es kann passieren, aber muss korrigiert werden. Hier sind sich wohl auch (fast) alle alte und moderne Autoren der klassischen Reitkunst einig. Vielleicht gibt es einen Grund dafür.
Motte
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Beitrag von Motte »

Jeder versteht halt (nur) das, was er verstehen will..

Hat hier irgendwer gesagt, ein Pferd MUSS eng eingestellt werden und mit deutlichen Hilfen geritten werden, um ihm einen Rahmen zu geben?
Rapunzel schrieb nur davon, dass sie der Meinung ist, besagtes Pferd müsse einfach mehr Rahmen haben als es jetzt hat.
Dass Pferde in der Ausbildung auch mal hds kommen können (aus verschiedensten Gründen), darüber sind wir uns doch einig.
Auch der Hengst aus obigem Video hat ab und an Momente(!) innerhalb der Bewegung, in der er mal ganz kurz hds kommt. Dennoch wird er nicht hds “geritten“.
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