Wie geht ihr mit Rueckschritten um?

Rund um die klassische Reitkunst

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Ticari
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Wie geht ihr mit Rueckschritten um?

Beitrag von Ticari »

Hallo Ihr Lieben!
Bin schon seit längerer Zeit stiller Mitleser und hab gemerkt, dass hier richtig gute Reiter mit viel Erfahrung sind. Deshalb hoffe ich, ihr könnt mir bei meinem Problemchen etwas helfen.
Seit etwa einem Jahr besitze ich einen 6 Jahre alten Spanier und habe dank einer tollen Reitlehrerin, eine tolle "Rund-um-Versorgung". An sich klappt soweit alles gut, nur leider bin ich schnell unsicher, ob ich alles richtig mache und setze mich unter Druck, wenn ich alleine für mich reite, also ohne Aufsicht durch meine Reitlehrerin. Letzte Woche hat wirklich nichts funktioniert und ich hatte das Gefühl, ich stehe mit meinem Bub wieder ganz am Anfang :cry:
Das frustriert mich immer total und mir tut mein Bub furchtbar leid, das ich ihm mein "Gegurke" zumuten muss. Gestern hab ich mich dann ohne große Erwartungen drauf gesetzt und es war zum Glück wieder viel besser.
Ich weiß ja auch, dass es beim Reiten erst einen Schritt vor und dann wieder zwei zurück geht.
Wie geht ihr mit Rueckschritten um? Und wie kommt ihr aus dieser schrecklichen Depri-Spirale wieder raus? :(
Julia
Moderator
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Re: Wie geht ihr mit Rueckschritten um?

Beitrag von Julia »

Ticari hat geschrieben:Gestern hab ich mich dann ohne große Erwartungen drauf gesetzt und es war zum Glück wieder viel besser.
Ich denke genau DAS ist einer der Schlüssel zum Erfolg!

Natürlich haben die meisten Reiter einen "Ausbildungsplan" für ihr Pferd. Das macht auch viel Sinn denn so kann man davon ausgehen dass eine durchdachte Ausbildung erfolgt.

ABER es ist ein grober Plan, er verlangt nicht dass jeden Tag alles super klappt.

Ich merke das auch, immer wenn ich eigentlich nur zum dümpeln aufs Pony klettere oder ich eh gerade schwer verliebt bin ins Pony...dann fluppt es! Gehe ich aber schon mit gewissen Erwartungen ran - heute muss das klappen - heute lernen wir endlich....brauche ich gar nicht aufsteigen...

Und dazu kommt, wir haben Tagesformen und auch unsere Pferde. Manchmal will meiner einfach nicht das was ich gerade möchte. Also tue ich meinen Teil dazu bei und versuche sehr viel Abwechslung rein zu bringen (Ausreiten, Springen, Dressur, Longieren, Bodenarbeit, Spielen) und halt an einem Tag wo ich merke ich habe große Erwartungen - erst garnicht aufzusteigen.
Liebe Grüße, Julia
Kiruna Karmina
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Beitrag von Kiruna Karmina »

Ich mache ja nur noch Bodenarbeit, aber das gilt auch fürs Reiten:
Wichtig finde ich immer, die Entwicklung insgesamt zu betrachten. Ausschläge gibt es immer. So bin ich schon zufrieden, nach einem halben oder einem ganzen Jahr festzustellen, dass insgesamt die "Ausreißer" weniger geworden sind. Oder dass die Beziehung zum Pferd gewonnen hat.

Wichtig ist, einen Tag, an dem nichts zu klappen scheint, einfach als Erfahrung abzuhaken und nicht weiter darüber zu grübeln. Meistens gelingt es dann beim nächsten mal sogar besonders gut.

Den Punkt "Erwartungshaltung" finde ich auch sehr bedeutsam. Diese Erwartungshaltung schränkt ein und sorgt für negative Spannung.
Besser ist eine fragende, neugierige Einstellung: "mal sehen, was sich heute ergibt?"
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Hallo Ticari :D ( fröhlich winkt) .
Mir persönlich helfen da die Worte von Herrn Branderup sehr :

" Der einzige Grund, warum wir heute reiten ist es, Zeit schön zu verbringen".

Mir ist dieser Satz ein echter Leitsatz geworden, da ich auch zur Fraktion der ewigen Selbstzweifler gehöre, gerne mal als Alternative zum Reiten und Unterrichten die Zucht von Meerschweinchen erwäge... :wink:

oder auch : " ... und will man es erzwingen, so hat man es schon verloren..." ( von wem das stammt weiß ich gar nicht :oops: )

Freue dich an dem was klappt, gehe großzügig mit Dingen um, die nicht klappen und versuche diese mit Gelassenheit und Zuversicht zu verbessern !
"Aaaarbeeetn ( = arbeiten :wink: ), aaarbeeetn, wird schon !" sagte Herr von Neindorff in solchen Situationen gerne.

Und mein Leitsatz ist : " Kommt Zeit, kommt Reit!".

Selbstkritik ist wichtig, aber freundlich zugetane Gelassenheit mit sich selbst ist genauso wichtig.

Ein junges Pferd auszubilden, birgt deutlich mehr Frustpotential, als ein Pferd "zu retten"- das muss man sich immer wieder vor Augen führen - denn alles, was nicht klappt muss man bei sich selbst suchen. Da wächst man rein :D

...und um ganz pathetisch zu werden :
" Herr gib mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
die Gelassenheit Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann und
die Weisheit, zu unterscheiden, was was ist!" das stammt aus der Bibel :wink:

Aufstehen!
Kopf hoch!
Krönchen gerade rücken!
Und weiterschreiten !

So nun genug der geballten Lebensweisheiten :lol: :lol: :lol:
grisu
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Beitrag von grisu »

Dazu kommt, dass auch die Beurteilung der eigenen und der Pferdeleistung stark stimmungsabhängig ist.

Mal erfreut man sich am der freudigen Bewegung und dem schönen Schwingen, obwohl sich das Pferchen auch mal raushebt oder auch mal falsch angaloppiert ("Aber sie gibt sich so eine Mühe und es fühlt sich schon ganz prima an!")

Beim nächsten Mal läuft das alles prima, aber man hängt sich daran auf, dass das Pony sich rechts zweimal in der Ecke ein bisschen verwirft ("Katastrophe, was hab ich falsch gemacht!?!")

Am besten in Abständen immer mal wieder filmen (einfach auf die Bande stellen und mitlaufen lassen). Dann sieht man die erstaunlichsten Entwicklungen, die man sonst gar nicht mehr wahrnimmt, da alles, was eine Woche lang funktioniert, sofort selbstverständlich wird.
esge
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Beitrag von esge »

In Ergänzung zu den anderen:
Abschwünge darf man nicht im Vergleich zu den Aufschwüngen sehen, sondern muss sich vergleichen mit dem vorangegangenen Abschwung. Wenn der jetzige Tiefpunkt ein bisschen höher liegt als der letzte, hat man Fortschritte gemacht! :D
an den Highlight messen sich die Fortschritte sowieso nicht. Die stellen nur die Möhre dar, hinter der man immer weiter herläuft. :roll:
Loslassen hilft
esge
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Beitrag von esge »

Ich kenne es noch nicht. Aber vielleicht steht da das Richtige für dich drin?
Falles es schon jemand kennt - wie ist es?

https://www.amazon.de/Reite-Deiner-Freu ... ner+freude
Loslassen hilft
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Hallo,

ich bin leider ein sehr ehrgeiziger und ungeduldiger Mensch und war früher häufig unzufrieden mit mir und der Arbeit mit meinen Pferden. Es gab immer irgendetwas was nicht geklappt hat, worüber ich mich geärgert habe, woran ich gezweifelt habe oder womit ich einfach nicht weiter wusste. Zeitweise war dieses negative Gefühl so präsent dass mir das wovon SundP schreibt gar nicht mehr gelungen ist (Zeit schön zu verbringen).

Mit den Jahren konnte ich diesbezüglich aber größere Gelassenheit erlangen und vor allem: fast immer und nur noch Freude an der Arbeit mit meinen Pferden haben.
Dazu hat mir folgendes geholfen:

- Die richtigen Lehrer, die für jedes Problem eine Erklärung und damit auch Lösung haben. Hilflosigkeit und Unsicherheit können in der Pferdeausbildung nicht zum Ziel führen. Ich MUSS verstehen warum welcher Fehler passiert und wie ich daran arbeiten kann. Ich muss die Sicherheit haben auf dem richtigen Weg zu sein und die Fähigkeit erlangen das richtige Bild vor Augen zu haben, um Tendenzen in die richtige Richtung zu erkennen. Wir wollen Harmonie und Leichtigkeit, aber dafür muss man erst sicher verstehen wie man dahin kommt und wie man welches Problem ausschaltet. Ein guter Lehrer vermittelt seinem Schüler alle Fähigkeiten und Kenntnisse die er benötigt um selbstständig und sicher zu arbeiten, egal auf welchem Niveau. Ohne Plan keine funktionierende Ausbildung.

- Die Erkenntniss, dass wir nur durch Fehler lernen können. Jeder der erfolgreich Pferde ausbildet und behauptet er hätte diese Fähigkeit ohne Umwege erlangt der sagt nicht die Wahrheit. Nur probieren, Mut haben, sich sicher sein (auch wenns manchmal falsch ist!) bringt uns weiter. Man muss Fehler machen! Wichtig ist es nur sich zu reflektieren und Erkenntnisse aus Dingen die nicht geklappt haben zu erlangen.

- Mir hat es geholfen alles zuerst am Boden zu erarbeiten. Für mich war es viel leichter, die gelernten Dinge zuerst am Pferd sehen zu können, bevor ich mich im Sattel allein auf mein Gefühl verlassen muss. Heute gehe ich immer an den Boden zurück wenn etwas von oben Schwierigkeiten bereitet. Aus meiner Sicht gibt es kein Problem (ausser dem eigenen Sitz), welches sich nicht lösen lässt bevor man in den Sattel steigt. Ich persönlich kann am Boden mit viel mehr Ruhe arbeiten, auch mal anhalten, nachdenken, reflektieren, das gesehene meinem Gefühl zuordnen.
Das heisst natürlich nicht, dass es so für jeden der passende Weg wäre, es ist nur EINE Möglichkeit die helfen könnte wenn man mal mit einer Sache im Sattel nicht weiter kommt.

- Es hilft mir, mich sehr stark darauf zu fokussieren ob etwas auch nur im Ansatz gelingt, und dafür extrem häufig und überschwänglich zu loben(sofort ZadHk oder Pause oder absteigen oder Futterlob). Gerade wenn man sich noch nicht sicher ist läuft man Gefahr immer weiter und weiter zu machen und den Punkt an dem es "besser" wird zu überreiten. Das wiederum demotiviert meiner Erfahrung nach die Pferde, was es wiederum noch schwieriger macht. Man kann nie zu oft loben, ganz im Gegenteil. Je häufiger ich lobe, desto motivierter und wacher das Pferd, desto leichter wird es bemüht sein meine -Vllt nicht optimalen Ausführungen- zu verstehen.

- Entspannen, auch wenns mal wochenlang keinen Fortschritt oder sogar Rückschritt gibt. Bisher ging es bei mir immer irgendwann wieder vorwärts, mittlerweile weiss ich ganz sicher dass darauf Verlass ist. Ausbildung braucht einfach Zeit, viele Wiederholungen sind notwendig bevor sich etwas sichtbar und eindeutig verbessert. Einfach weiter machen, immer und immer wieder dran bleiben, und irgendwann kommt der Tag wo man selbst überrascht ist von der deutlichen Verbesserung. Fortschritte stellen sich nur sehr allmählich, manchmal von Tag zu Tag kaum wahrnehmbar, ein. Und wenns mal gar nicht klappen will versuch ich noch einen einigermassermassen annehmbaren Versuch zu bekommen, lobe mein Pferd als hätte es das beste der Welt geschafft und beende die Einheit. Hauptsache positiv, freundlich, motivierend. So wird es auch immer stetig weiter gehen.

Ich hoffe du bekommst hier ein paar gute Denkanstöße und wünsche dir noch viel Spaß mit deinem Pferdchen!

Viele Grüße
KZimmer
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Beitrag von KZimmer »

Hallo,

ich gehe gar nicht mit Rückschritten um. Das sind höchstens neue Erfahrungen. Es kommt manchmal auch auf die Sichtweise an!
Ich weiß ja nicht, mit welcher Ausbildung Du dein Pferd gekauft hast und mit welchem Ziel, aber ein Freizeitreiter hat doch alle Zeit der Welt, um an sich und dem Pferd zu "arbeiten". Arbeiten deshalb in Anführungszeichen, weil es die Freizeit ist, die man mit dem Pferd verbringt, und die sollte man tatsächlich, wie es hier schon geschrieben wurde, schön verbringen.
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

OHHH!!!

Ich kann das sehr gut nachvollziehen, Rückschritte lassen mich sofort an die tiefste Stelle im Jammertal abstürzen.
Da wälze ich mich dann in meinem Schmerz und wenn ich das genug getan habe, dann beginne ich nachzudenken und zu fühlen. Dann fange ich an auf dem Pferd in mich zu gehen und etwas zu verändern. Und dann ? Dann hat sich was verändert und mein Leben ist wieder ganz oben!


LG Ulrike
Ticari
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Beitrag von Ticari »

Vielen Dank erstmal für die vielen Antworten! Mit soviel Resonanz hab ich gar nicht gerechnet :)
@Rusty: Dieses Festbeissen an bestimmten Dingen ist oft mein Problem, finde nicht den richtigen Zeitpunkt um einen guten Schluss zu finden. Und reite Runde um Runde weiter, was es ja wirklich nicht besser macht.
Und entspannt bleiben, ist ein ganz großes Thema bei mir :wink:
@KZimmer: Hab mein Pferdchen nur zum Spass und somit wirklich alle Zeit der Welt
@Ulrike: Der Sturz ins Jammertal.Genau so fühlt es sich an :D
Auf alle Fälle habt ihr mir wieder ein bisschen geholfen. Ich schau nach vorne und warte gelassen auf den nächsten Durchhänger :wink:
Susanne3000
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Beiträge: 25
Registriert: Do, 21. Feb 2013 14:45
Wohnort: Stuttgart

Beitrag von Susanne3000 »

Interessantes Thema!

Ich versuche mir bei der Ausbildung einen Plan zu machen, der sehr viel Zeit und Spielräume ermöglicht. Bei neuen Übungen spreche ich die vorab mit meiner Reitöehrerin durch. Auch die Fehlermöglichkeiten und die unterschiedlichen Lösungswege, sodass man in der jeweiligen Situation schnell und individuell reagieren kann. Das verhindert meist Frust. Trotzdem kann er entstehen. Wenn wir ein Tag haben, an dem einfach nichts klappt, mache ich 1-2 einfache Übungen und beende das Training. Diese Frusttage liegen meistens daran, wenn ich schon einen stressigen Tag hatte oder gereizt bin. Da wäre es besser erst gar nicht aufzusteigen...

Viele Grüße

Susanne
Respekt gegenüber Mensch und Tier!
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