Praxisbeispiele unserer Jungpferdeausbildung

Rund um die klassische Reitkunst

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Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Hallo zusammen,

hier also noch mal ein paar Infos zu unserer Geschichte.

Ursprünglich haben wir Rusty als Pferd für meine Freundin gekauft, weil ich nicht mehr wollte dass sie meins mitreitet (dressurmäßig wenig geschulte/ ambitionierte Reiterin). Sie wollte ein nettes Pferdchen um etwas Platzarbeit und irgendwann ein paar kleine Sprünge zu machen. Auf der Suche nach einem Zweitpferd sind wir zufällig auf Rusty gestoßen- dreijährig, fett ohne Ende, lies sich nicht berühren oder aufhalftern, konnte kaum laufen und hat gelernt dass er alles bekommt wenn er sich nur entschlossen genug auf die Hinterbeine stellt und mit den Vorderbeinen rudert. Er sollte zum Schlachtpreis abgegeben werden und wir haben ihn genommen. Der Plan war ihn anzureiten, zu schauen wie er sich charakterlich entwickelt und –falls es für meine Freundin nicht passen sollte- ihn ggf. wieder abzugeben. Dass das dumm war, braucht mir heute keiner mehr erzählen…

Nach einiger Zeit vertrauensbildender Maßnahmen, Desensibilisierung, Sozialisierung, Bodenarbeit und ähnlichem haben wir begonnen ihn gelegentlich zu longieren und später auch zu reiten, das vordergründige Ziel dabei war dabei Anfangs dass er für meine Freundin brav und lenkbar wird. Schnell stellte sich aber heraus, dass vielleicht doch nicht alles so einfach wird wie geplant. Wir kämpften mit wechselnden unklaren Lahmheiten, massives stolpern bis zum Sturz, ständiges wegknicken der Hinterbeine, Verspannungen, selbst im Freilaufen extreme Probleme sich zu koordinieren (bremsen, wenden, Gas geben), dazu massive Problemen beim Urin lassen etc. Osteopathen und Tierärzte gingen ein und aus, etwas handfestes gefunden wurde aber von keinem. Die Diagnosen lauteten: Verspannung im LWS/ ISG Bereich, Blockade in der Hüfte, erhöhte Muskelwerte und ähnlich diffuse Dinge. Die Idee (und der Rat) war ihn trotzdem/ deshalb zügig in Arbeit zu bringen, damit sich seine körperliche Situation verbessert.

Anfangs arbeitete ich ihn noch zusammen mit meiner Freundin, im Grundsatz nach den Prinzipien der klassisch-deutschen Lehre. Das körperliche Problem war von Anfang an: das Pferd war massiv schief und konnte nicht vorwärts gehen. Damit meine ich NICHT dass er nicht auf die vortreibende Hilfe reagiert hat, sondern dass er wenn er vorwärts ging mit all seiner Energie auf die rechte Schulter drängte. Beim reiten gab es das Problem dass es unmöglich war gerade/ links zu sitzen, jeder Sattel und Reiter (auch ein FN Bereiter hat sich versucht) rutsche immer wieder nach rechts, man musste sogar zwischendrin absteigen und neu satteln. An der Longe bewegte sich jeder Versuch zwischen „Energie ins Pferd bringen“ und „gegenhalten bis der Arm schmerzt“, und zwar unabhängig davon ob mit oder ohne Ausbinder. Beim reiten kam es bei den ersten Versuchen die Schulter zu mobilisieren (unter Anleitung einer mAn sehr kompetenten Trainerin der EdL) zum Zähneknirschen. Deshalb haben wir ihn ziemlich direkt nach dem anreiten auf gebisslos umgestellt, immerhin lief das Pferd ab diesem Zeitpunkt einigermaßen entspannt und lenkbar unterm Sattel: https://youtu.be/MRYlEtaWk5k
Die oben genannten Probleme verbesserten sich tlw. etwas, andere blieben. Das Video an der Longe welches ich im Beitrag weiter oben schon gepostet habe zeigt ihn 4,5 jährig ( https://www.youtube.com/watch?v=xr81SfHsO2A ), es repräsentiert keine „Arbeitseinheit“ sondern wurde für eine Osteopathin gedreht, hier wegen dem weiterhin bestehenden Problem dass das Pferd nur schwer Urin absetzen konnte (Klinikaufenthalt ohne Befund). Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt mussten wir leider eins unserer beiden Pferde abgeben, weil die Kosten für tierärztliche Behandlungen u.ä. unser Budget überstiegen haben. Dass Rusty bei uns bleibt war klar, ein krankes Pferd zu verkaufen kam nicht in Frage. Ab diesem Zeitpunkt war Rusty also auch „mein“ Pferd und rückte etwas mehr in den Mittelpunkt meiner Bemühungen.

Ab hier begann ich ihn auch intensiver am Boden zu arbeiten, sowie Unterricht bei einer Trainerin der AR zu nehmen. Ihr Vorschlag: das Pferd muss lernen sich zu versammeln, die Hüfte zu winkeln um die Hinterbeine in Richtung Schwerpunkt bewegen zu können. Sie sah in diesem Problem den Dreh- und Angelpunkt der gesamten Problematik. „Manche Pferde müssen erst piaffieren um danach (vorwärts) traben zu lernen“ war ihre Idee. Das ist nun fast 2 Jahre her, in denen ich weitestgehend konsequent so gearbeitet habe, und die gesamte körperliche Problematik des Pferdes hat sich in dieser Zeit verbessert bis aufgelöst. Er hat gelernt sich zu koordinieren und zu bewegen, kann sogar galoppieren, stolpert und knickt nicht mehr weg, keine verhärtete Muskulatur, selbst die Problematik mit dem Urin lassen ist quasi weg. Seine mentale Entwicklung hat einen riesigen Sprung gemacht, vom introvertierten Pferd (zu dem weder Pferd noch Mensch einen Zugang fand, soziale Interaktion lehnte er gänzlich ab), zum aufgeweckten- oft zu lustigen- Spielmatz. Ich habe ein sehr feines Gespür dafür entwickelt mit welchen Dingen ich an seine Grenze komme, was ihm gut tut und was nicht. Er ist sehr sensibel und verkriecht sich sehr schnell wieder in seinem Schneckenhaus, wenn man seine leisen Äußerungen nicht ernst nimmt. Damit meine ich zB die Art wie er seine Augen zukneift, wenn man mal „einen deutlichen Impuls“ am Kappzaum gibt (in der Hoffnung das außen wegbrechen damit korrigieren zu können). Oder wie er sich im ganzen Körper verkrampft wenn man trotz Balanceverlust Impulsion fordert. Das möchte ich für ihn nicht mehr, und auch nie wieder. Seine Geschichte hat mich in meiner Ausbildung und Betrachtungsweise sehr geprägt, und vor allem sehr eng mit diesem Pferd zusammen wachsen lassen. „Die Dressur ist für das Pferd da, nicht das Pferd für die Dressur“ bedeutet für mich, nicht Ziele erreichen zu wollen „weil sie mir so gefallen“, sondern einen Weg zu gehen der dem Pferd auch kurzfristig gut tut und den es gerne mit mir geht. Und „anhaltend Vorwärts mit mehr go“ tut ihm in der Reitbahn eindeutig NICHT gut, egal wie sehr ich mir dieses Bild wünsche.

Wir wissen bis heute nicht so wirklich, woher seine Probleme kommen. Außer dem „schwierigen Exterieur“ (überbaut, steile HH, tief angesetzter Hals, langer Rücken, unterschiedlich lange Beine links/ rechts) kann kein Fachmann eine klare Ursache finden. Aber letzendlich habe ich auch nicht mehr viel Lust mir ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, zumal sich die Probleme zunehmend reduzieren und wir demzufolge hoffentlich auf einem guten Weg sind.

Parallel zu dieser Arbeit haben wir ihn im Frühjahr des letzten Jahres vorsichtig eingefahren, mussten über den Winter noch mal eine krankheitsbedingte Pause einlegen (schwere Lungenentzündung des Pferdes und in Folge anhaltende Lungenproblematik), haben aber im Frühjahr diesen Jahres wieder damit angefangen. Vorm Wagen (geradeaus) gibt es weniger Probleme, aber auch da dosieren wir die Belastung vorsichtig, fahren nur gebisslos und ich bin ebenso bemüht mich an den Grundsatz "erst Balance, dann vorwärts" zu halten so gut das möglich ist (Rusty will im Gelände meist viel lieber rennen und Halli Galli machen :lol: ).

Sinsa: Mein Ziel ist es nicht, eine bestimmte Art von reiten repräsentieren oder ausüben zu können. Mein Ziel ist einerseits, das Pferd gesund zu halten / zu machen, andererseits die gemeinsame Zeit in möglichst großer mentaler und körperlicher Harmonie miteinander zu verbringen. Dafür orientieren wir uns an der AR, die sich in ihren Zielen wiederum ans Barockreiten anlehnt. Die WE verwendet vielleicht Elemente daraus, ist aber dennoch nicht so ganz das gleiche. Ich denke ich weiß was du mir verdeutlichen willst: du meinst Stabilität im Sinne von „energisch gerade nach vorn ziehen/tragen können“ (auch auf der Wendung), kann das sein? In der Barockreiterei werden/ wurden i.d.R. keine Verstärkungen gearbeitet- vielleicht liegt hier die Wurzel unserer ganzen Diskussion?


Gruß
Zuletzt geändert von Rusty072009 am Sa, 23. Jan 2016 19:25, insgesamt 2-mal geändert.
Lilith79
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Beitrag von Lilith79 »

Danke für die umfangreichen Hintergrund-Erklärungen, Rusty!

Mein Verständnis von Stabilität vs. Festigkeit wäre (für mich hat das mit Verstärkungen nichts zu tun):

Stabilität wäre für mich im fortgeschrittenen Zustand, dass das Pferd losgelassen (Muskulatur spannt sich rhythmisch an und ab) in Balance vorwärts und geradegerichtet (spurig) gehen kann während die Bewegung durch den ganzen Körper geht, ohne dass es sich das Pferd z.B. durch Überbeweglichkeit entzieht oder weil es sich noch nicht richtig koordinieren kann oder wegen gesundheitlicher oder Körperbauliche Schwächen.
Besser kann ich das nicht erklären, vielleicht jemand anders?

Festigkeit hingehen ist für mich das totale Gegenteil des Gewünschten, da da die Losgelassenheit fehlt. Fest wäre angespannte Muskulatur, die sich nicht rhythmisch an- und abspannt, sondern einfach nur dauerhaft angespannt und festgehalten ist.

Meiner Maus mangelt es übrigens definitiv oft an Stabilität, sie neigt z.B. auch dazu auf die rechte Schulter zu fallen und sie kann sich dazu noch auf mannigfaltige Art und Weise wie eine Schlange entziehen. Dazu ist sie noch sehr klein und leicht, so dass man sie durch Reiterfehler sehr leicht aus der Balance bringen kann und dann kommt auch noch eine Gangveranlagung (Isländer) dazu. Für mich definitiv eine Herausforderung :)
Zuletzt geändert von Lilith79 am Sa, 23. Jan 2016 14:19, insgesamt 2-mal geändert.
charona
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Beitrag von charona »

@rusty, kannst du mal den youtube-link prüfen? Ich kann mir das video leider nicht anschauen. Danke!
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Nun müsste es klappen...
sinsa
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Beitrag von sinsa »

Nein, das klappt leider nicht.

Vielen Dank für die Mühe Euren gemeinsamen Weg mit uns zu teilen :D

Ich muß gestehen, dass ich einige Dinge in den Filmen nicht erkennen kann.
Dass der Kerl unterschiedlich lange Beine hat, kann man ja so schlecht erkennen oder auch nur erahnen. Ein wenig ungleich sind vermutlich die Beine von allen Lebewesen, aber gleich so, dass es sich doll bemerkbar macht ist natürlich wirklich fies.
Andere Dinge, die Du anführst, finde ich nun nicht so gravierend/besonders. Der tiefe Halsansatz findet sich bei vielen Rassen und für Criollos ist das ja sogar auch genau so gewollt. Auf dem Video von 2014 kann man aber tatsächlich gut erkennen, dass er so ganz grundsätzlich nicht unbedingt ein Kanditat für den Eleganzpreis ist. Macht ja nix, ein Süßer scheint es ja dennoch zu sein und es gibt von der Sorte viel mehr als andere (ich hab auch so einen, der bei Eleganz ausgesetzt hat und stattdessen den Schlumpi mitgenommen hat, deshalb darf ich das hoffentlich so sagen, ohne dass es falsch verstanden wird ). :D
Vielleicht macht ihm daher die ganz spezielle Mischung der Gene deutlich mehr Probleme als normal üblich. Das möchte ich mit meiner Äußerung auf keinen Fall abstreiten. Nur bin ich selber keine Mensch, der sich anmaßen würde in solchen gravierenden Fällen irgendwas fundiertes beitragen zu können. Normal-gesunde Pferde, kein Problem - aber alleine bei unterschiedlich langen Beinen muß ich passen, wenn es um Ideen geht, wie man damit umgeht.

@Stabilität. Irgendwie gibt es hier ein merkwürdiges Problem, bei dem ich zugebe, dass ich langsam passen muß. Gerade die AR hat sich doch in riesen Lettern die Biomechanik auf die Fahne geschrieben. Mir ist daher vollkommen unklar, wie man von einem Begriff wie z.B. Tiefenmuskulatur darauf kommen kann, dass das was mit der übelsten FN Reiterei zu tun haben könnte und dann noch jedesmal daraus zu folgern, dass man Pferde über Tempo schruppen muß/soll.
Eigentlich hätte Dir im Zusammenhang mit der Biomechanik doch schon die Erklärungen von Jen zum Thema Tiefenmuskulatur etwas sagen müssen und es gab nun auch von vielen verschiedenen Leuten diverse Versuche, zu erklären, was mit Stabilität gemeint ist. Das hat mit Reitweisen echt überhaupt gar nichts zu tun!

Ich ziehe mich aus dieser Diskussion daher lieber erstmal ein wenig zurück.
Mal ab davon, das mir langsam die Ideen ausgehen, Dir das gemeinte zu erklären, ohne dass das mit Vorurteilen zur klassischen Reiterei beantwortet wird. Ich sehe außerdem bisher durchaus ein paar Problemchen, kann aber die Schwere der "Exterieurmängel" nicht nachvollziehen. Vermutlich kein Wunder, da ich einen Isi habe. Schwerer, tief angesetzter Hals, fester Rücken und eine HH für vollen Schub etc. ist bei ihm eben Rassetypisch und kein Exterieurmangel. So ein Isi gehört schließlich (ebenso wie ein Criollo) zu den Arbeits-/Gebrauchs- und nicht zu den Dressurpferden.
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Welcher Link funktioniert denn nicht?

Ich habe hier nie über "üble FN Reiterei" geschimpft und auch sonst keine mögliche andere Vorgehensweise schlecht gemacht. Ich habe auch nie behauptet, dass dabei Pferde über Tempo geschruppt werden. Wenn ich schreibe, mit meinem Pferd weniger km Arbeit zu betreiben und es weniger anhaltend vorwärts zu arbeiten, dann weil ich völlig wertfrei unsere Arbeitsweise aufzeigen möchte: kurze Sequenzen, immer nur wenige Meter bis zur nächsten Pause, Herstellung der Balance erfolgt bevor ich Energie hinzufüge. Daraus ist nicht zu schlussfolgern dass ich dies als einzig richtige Mögkichkeit sehe. Es gab eine Zeit in der bin ich selbst nach "FN" geritten- ohne ziehen, und ohne über Tempo reiten. Ich weiß dass und wie es funktionieren kann. Tut mir leid wenn irgendetwas meiner Ausführungen diesbzüglich falsch zu verstehen war.

Ich sehe, dass sich Rusty in den GGA besser vorwärts aufwärts tragen könnte, bei besserer Dehnung der Oberlinie und mit dem Ziel ausgeprägteren Rückenschwung zu entwickeln. Ich sehe auch, dass es wünschenswert wäre wenn er dieses Bewegungsmuster über eine weitere Strecke beibehalten könnte ohne ständiger Korrektur zu bedürfen oder auszuweichen. Im besten Fall bekommt er mit der Zeit eine Bewegungskompetenz, mit der er seine Balance beim hinzufügen von Energie selbständig hält oder sogar korrigiert. Wenn dies alles erreicht wäre, würde ihm dann immer noch "Stabilität" fehlen?

Gruß
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Max Hase
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Beitrag von Max Hase »

@ Rusty
Kann sein, dass es eine Schnapsidee ist.
Mir ist bei Eurem Longenvideo das Stichwort gelockte Seitengänge eingefallen. Habe ich mal auf einem Videokanal oder in einem Forum gesehen.

Soll heißen: Pferd weicht nicht nur schulterhereinartig vor Dir sondern lernt genauso auf Dich zu zu kommen (traversartig haben die auch gezeigt), und Du weichst gegebenenfalls etwas zurück. Die Bewegung entspricht dabei einer eher einer (Voll-)Traversale, aber innen bleibt damit innen und außen außen. Pferd muss sich also nicht alle halbe Runde vollständig umkrempeln, kann stabiler in seiner Muskulatur und seinem Bewegungsmuster bleiben.

Wenn Du das erst ohne Longe üben kannst, sollte das Bewegungsmuster soweit verstanden sein, dass er Dir folgen kann, ohne auf die innere Schulter zu fallen. Dann könntest Du versuchen, das schrittweise in die Longenarbeit einzubauen.

Da Du schon viel probiert hast, hast Du vielleicht auch diesen Weg schon probiert, und ich habe es überlesen. Dann vergiss meinen Beitrag.
sinsa
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Beitrag von sinsa »

Ich lass den ersten Teil mal weg, weil ich wirklich gerade nicht formulieren kann, ohne dass es zu einem falschen Bild führt. Ich mag wirklich nicht streiten, angreifen oder pro und contra über irgendwelche Reitweisen diskutieren. Das ist absolut nicht irgendwie böse oder angreifend gemeint. Ich finde momentan dafür einfach keine richtigen Worte oder Formulierungen.

Aber hierzu mag ich mich gerne äußern :D
Rusty072009 hat geschrieben: Ich sehe, dass sich Rusty in den GGA besser vorwärts aufwärts tragen könnte, bei besserer Dehnung der Oberlinie und mit dem Ziel ausgeprägteren Rückenschwung zu entwickeln. Ich sehe auch, dass es wünschenswert wäre wenn er dieses Bewegungsmuster über eine weitere Strecke beibehalten könnte ohne ständiger Korrektur zu bedürfen oder auszuweichen. Im besten Fall bekommt er mit der Zeit eine Bewegungskompetenz, mit der er seine Balance beim hinzufügen von Energie selbständig hält oder sogar korrigiert. Wenn dies alles erreicht wäre, würde ihm dann immer noch "Stabilität" fehlen?
Vorneweg: Nur falls das bisher nicht so rüberkam: Ich finde durchaus, dass ihr in der Zeit von 2014 bis jetzt schon ganz viele tolle Fortschritte gemacht habt. Die Zusammenarbeit ist eine ganz andere und gerade im Galopp wird viel schon erahnbar :D

@Stabilität Bei den fett markierten Teilen würde ich jederzeit unterschreiben. Ja, richtig. Das geht in die Richtung der Stabilität die gemeint ist. Nur bei der Sache mit dem Rückeschwung befürchte ich, dass wir beide etwas unterschiedliches meinen. Hierzu finde ich den Beitrag von Lillith ganz toll passend:
Gemeint ist nicht, das der Rücken sich festmacht, um nicht nach vorne zu kippen, sodern dass die Rücken- und Bauchmuskeln sollen zum Tragen (der VH) gestärkt werden und dabei/zusätzlich geschmeidig werden. Beides wird gebraucht, um die Ballancesituation zu verbessern und um am Ende die Oberlinie verlängern zu können. Oder eben als vereinfachtes Bild: Der Rumpf soll mehr Stabilität und Geschmeidigkeit erlangen, um es den Beinen zu ermöglichen freier nach vorne pendeln zu können.
Dazu muß das Pferd irgendwie ein wenig mehr "in Wallung" kommen. Nicht schneller sondern wenn sich die HH vom Boden abstößt, dann soll die Energie der Bewegung über Muskeln und Bänder von ganz unten über den Rücken bis zu den Ohren "durchfließen".
Ein letzes Bild, das vielleicht jeder schon mal gesehen hat und die Beschreibungen sind natürlich alle stark übertrieben und ins ideal gedacht.
Also: Mal angenommen, man reitet in der Bahnecke eine schicke kleine Volte im Trab und entläßt das Pferd daraus auf die Gerade/die langen Seite, dann wird im allgemeinen mindestens für die ersten Tritte etwas mehr "Go", "Wuppdich", wie auch immer man das nennen soll, in die Bewegung kommen. Völlig ohne dass man "schneller" angewiesen oder gewollt hat. Dennoch sind vorallem die ersten Tritte dann plötzlich ein wenig länger, was einem den Eindruck gibt, dass das Pferd schneller geworden ist. Schaut man aber auf die Beine, dann ist hier der Takt der Beinfolge eher langsamer und dennoch "frischt" das den Gang ein wenig auf. Das hat zur Folge, dass die HH etwas weiter vortritt, "dynamischer" Abfußt, der Rücken sich ein wenig "aufwölbt" und somit die VH mitnimmt. Übertrieben gesagt schwingt der Rücken dann nicht zwischen Halsbasis und HH von oben nach unten, sondern die Bewegung des Rückens und Bauches nehmen das gesamte Pferd mit in die Schwingung.

Die Nummer kann nur funktionieren, wenn das Pferd dabei eben genau nicht [zu] schnell gemacht wird, da sich dann die HH irgendwann zu weit ins Schieben begibt und dann wird der Energiefluß wieder ab der Hüfte abgebrochen und dann passiert auch genau das, was Du nicht möchtest. Dann nämlich muß der Brustbereich sich festmachen, um auf dem Weg nach vorne nicht wie ein Fähnchen im Wind zu schwanken und genau dann brummt es das Pferd auch wieder auf die VH.

Nun hoffe ich einfach, dass diese Beschreibung uns ein wenig mehr zusammen bringt, was die Stabilität betrifft. :D
Wuschel

Beitrag von Wuschel »

@minou
Wie man jemanden trägt. Bzw. Nein, wie ICH, langrumpfiger, kurzbeiniger, krummer Mensch jemanden auf den Schultern trage. Und wie ich das verändern muss, dass ich ökonomisch trage, und so energie- und verspannungsarm, dass ich das Kind nicht nach ner halben Stunde in den Dreck buckle. Mit Ausprobieren dieser Haltungsänderungen auf dem Pferd und der Idee des Tragenlassens, praktisch mit den Bewegungsbildern, die ich von mir als Tragtier mitbringe, verändert sich die Haltung meines Ponys. Ganz ohne alle geraderichtende oder sonstige Elemente. Nicht in "superwow! " aber spürbar. Und das ist eine spannende Suche. Und drauf kam ich, dass ihr vielleicht deswegen aneinander vorbei redet, weil ich Rustys beschriebene Arbeitsanweisungen an ihr Pferd mit Kind uffm Buckel ausprobiert und gemerkt habe, dass sie nichts mit Tragen zu tun haben. Dann hat Rusty aber geschrieben, zumindest las ich das so, dass Tragen gar nicht ihr Hauptfokus ist, und somit schliesse ich nun leicht beschämt und verwirrt wieder den Mund. Weil ich dachte, das wäre immer irgendwie der Hauptfokus...

Aber, Rusty, was ich noch erwähnen wollte, weil ich selbst fahre, allerdings hast dus auch nicht explizit geschrieben, aber, wenn sich die 50 km in der Woche Gelände zum grössten Teil um Kutschefahren handeln, dann wären das 4-5x in der Woche ca 2 Stunden. Mein noch schiefes Pferd zieht immer in seiner Schiefe, und trainiert sich dadurch ja auch, falls das bei Rusty ähnlich wäre, meine ich, könntste doch kaum dagegen an arbeiten in der knapperen Bahnzeit?
So schief, wie meine zieht, läuft sie nicht unter dem Sattel, ich war erschrocken, wie ich letzten Sonntag draufsass, und einen Rodel ziehen liess.
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Wuschel, erst mal willkommen !
Ich finde deinen Einlass sehr interessant und ja, mir geht es darum, dass ein Pferd "leicht" trägt. Denn nur wenn es leicht trägt, kann es tanzen und die Bewegungen bekommen die Ausformung, die ich anstrebe.
Bin ich in der Lage, einem Pferd eine Haltung zu vermitteln, in der es mich leicht tragen kann, motiviere ich es auch , denn einer der - nach meiner Ansicht-ganz wichtigen Punkte im Hinblick auf Motivation ist, es das Pferd zu befähigen, die Aufgabe leicht zu lösen.
Oder, um in deiner Übertragung zu bleiben, ich werde einem Kind sehr viel lieber gestatten, auf meinen Schultern zu sitzen, wenn es mir leicht fällt :P .
In sofern ich z.B. eine meiner Grundkorrekturen immer folgende : " Sitze ruhig ! Stell dir vor, du trägst ein Kind auf deinen Schultern, das ständig herumzappelt, und/oder versucht mit deutlichen Gewichtsverlagerungen zu lenken... nach 10 m, sagst du : "entweder du sitzt jetzt ruhig, oder du steigst ab!"... - Pferde sind nett, die denken das nur..." :lol:
Rusty072009
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Beitrag von Rusty072009 »

Guten Morgen,

@Max Hase: Rusty beherrscht alles Seitengänge sowohl von mir weg als auch auf mich zu. Je größer der Abstand wird und je mehr Energie ich hinzufüge, desto schwerer wird es auf diese Art die äußere Schulter sicher zu kontrollieren (ohne zusätzlich die Peitsche an der äußeren Schulter einzusetzen). Aber grundsätzlich ist es mein Ziel, diese Korrektur nur per Körpersprache auslösen zu können.

@Sinsa: Ich glaube wir meinen das Gleiche, das was du beschreibst verstehe ich unter "Vergrößerung des Rückenschwungs". Weit geschult würde es zur Passage führen (mit der Möglichkeit jederzeit in eine getragene Verstärkung über zu gehen).

@Wuschel: Das ist durchaus ein Problem. Wir fahren i.d.R. Sa/So längere Touren und zusätzlich unter der Woche eine etwas kürzere. Ich versuche zwar ihn auch vorm Wagen einigermaßen durch Seitengänge gerade zu halten/ zu machen, aber das ist je nach Boden und Steigung nur bedingt möglich und natürlich auch zusätzlich durch die geringe Bewegungsfreiheit in der Schere begrenzt. Ich versuche wenns geht bessere Wege immer wieder für Schulter-mobilisierende Übungen, Hinterbeine zum Schwerpunkt oder dehnende Reprisen zu nutzen. Wenn du selbst fährst magst du bestimmt mal schauen wie wir unterwegs sind https://www.youtube.com/watch?v=7hBdtL_bcto
Je nachdem wie viel/ intensiv wir fahren ist es dennoch manchmal so, dass sich die gymnastizierende Arbeit in der Bahn wochenlang auf "Stand erhalten" beschränkt. Dann kämpfe ich auch immer mit meinem Gewissen, aber andererseits sehe ich wie sehr er auch vom Ausdauertraining im Gelände profitiert, insbesondere im Hinblick auf das zusätzliche Lungenproblem (mittlerweile beschwerdefrei) sowie das Übergewicht.

Viele Grüße und allen einen schönen Sonntag !
Kiruna Karmina
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Beitrag von Kiruna Karmina »

Zum Fahren: Wenn jemand in 5x2=10 h Fahren nur 50km fährt, ist er langsamer unterwegs als ein Spaziergänger (6km/h). Ich denke aber, dass bei Rusty auch - und besonders - Trab dabei sein wird. Da kommt man mit ca. 3x/Wo locker hin. (Viele Fahrer, die ich kenne, spannen für weniger als 20km gar nicht erst an.)

So genau, wie Rusty ihr Pferd beobachtet, wie differenziert sie es beschreibt und wie das in ihren Videos rüber kommt, gehe ich davon aus, dass ihr eine auftretende Schiefe auch vom Bock aus auffallen würde und sie das mit der Bogenpeitsche korrigiert. Die Erfahrungen aus ihrer ausgefeilten Bodenarbeit werden ihr das ermöglichen. (Aber auch für mich als Fahrer immer wieder ein Anstoß, ständig darauf zu achten.)

Rusty, ich finde klasse, was Du bei diesem äußerst problembeladenen Pferd schon alles erreicht hast. Vor allem, die ständige Sturzgefahr in den Griff zu bekommen, ist schon eine stramme Leistung!
Und, wie hier schon anklang, bei manch einem Pferd ist der Weg zum Normalen hin ein Riesenerfolg, während ein anderes Pferde, welches vom Körperbau her besonders begünstigt ist, nicht einmal Training dafür braucht. Das ist zwar ungerecht, zeigt aber wieder, wie wichtig ist, die Relationen zu betrachten.
Kiruna Karmina
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Beitrag von Kiruna Karmina »

Oh, überschnitten.
Wiebs

Beitrag von Wiebs »

Ich hatte gestern abend schon verfasst, aber irgendwie hat es den Beitrag nicht gepostet...

Das, was du beschreibst, Wuschel, ist für mich der Kern der Arbeit mit dem / am Reitpferd und an mir als Reiter.
(Vielleicht ist es anders, wenn man das Pferd nicht reitet. Für mich bleibt das Zielbild aber dasselbe, auch wenn das Pferd nicht reitbar sein sollte.)

Für mein Empfinden muss sich das Pferd für diese Stabilität quasi aus seiner Körpermitte heraus bewegen - und zwar mit einem gewissen Maß an positiver Spannung, die den Brustkorb anhebt, die Beine freier werden lässt, das Pferd in sich 'hält', ohne die Beweglichkeit einzuschränken.

Die Bewegungsqualität des Menschen ändert sich ja auch zum Positiven, wenn man einen guten Muskeltonus in der Körpermitte hat (und nicht beispielsweise in den Schultern) - man trägt besser, es ist gesünder, man fühlt sich besser.
Da gibts schon Parallelen zum Pferd, auch wenn es ein Gesamtbild bleibt, was ich schlecht in allgemeingültige Einzelparameter zerlegen könnte (so nach dem Motto: Wenn auf Fotos/Videos X oder Y sichtbar, dann ist es definitiv so - dazu sind die Körper der Pferde einfach zu individuell verschieden).

Für mich (aber ich kann auch nicht viel) besteht die Schwierigkeit ein bisschen darin, dass man diese Stabilität oder diese Bewegungsqualität nur begrenzt von außen herbeiführen kann.
Natürlich kann und sollte man dem Pferd durch Hilfen, Lektionen etc. Ideen geben oder bessere Voraussetzungen schaffen, aber am Ende muss das Pferd das selbst ausführen.
Donna
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Beitrag von Donna »

Rusty seh ich das richtig sitzt du rechts hinter dem Pferd?
Wie gleicht die Kutsche den Fahrer aus ,damit das gezogene Gefährt nicht unwuchtig ist?
Und wie genau äußerte sich seine Schiefe?
Antworten