Stefan Stammer: Das Pferd in positiver Spannung

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Josatianma
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Stefan Stammer: Das Pferd in positiver Spannung

Beitrag von Josatianma »

Stefan Stammer: Das Pferd in positiver Spannung. Biomechanik und Reitlehre in Bewegung

Gebundene Ausgabe: 187 Seiten
Verlag: FN-Verlag (Oktober 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-88542-787-2
Preis: 27,90 Euro

Klappentext
Wieso kann ein wenige Stunden altes Fohlen mit der gleichen Grundgeschwindigkeit galoppieren wie seine Mutter?
Wenn ein talentiertes Springpferd 4jährig 1,80 Meter hoch springen kann – was muss es eigentlich lernen bis zur Bewältigung eines Olympiaparcours, der höchstens 1,65 Meter hoch ist?
Wenn ein Freizeitpferd über viele Jahre nur sehr wenig belastet wird und viel auf der Weide steht – wieso kann es genau dieselben Erkrankungen entwickeln wie ein Pferd aus dem Spitzensport mit chronischen Überlastungssyndromen?
Warum entwickeln manche talentierten Dressurpferde schnell Muskulatur – und andere kaum, obwohl sie von erfahrenen Reitern ausgebildet werden?
Seriöse Antworten auf diese Fragen sind nur möglich, wenn man den speziellen Bewegungsapparat des Pferdes unter funktionalen Gesichtspunkten analysiert. Stefan Stammer hat sich in diesem Buch unter Berücksichtigung jüngster Forschungsergebnisse die Frage gestellt, auf welche Weise die Bewegungsenergie des Pferdes entsteht und mit welchen Strukturen sie in Bewegung übertragen wird – sei es im Dressurviereck, auf der Rennbahn oder über dem Sprung. Dabei rücken die Fasziensysteme als Strukturen, die in den letzten Jahren mehr und mehr in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtung gelangt sind, auch in diesem ins Zentrum der Bewegungsanalyse.
Zudem hat sich der Autor die Frage gestellt, ob die Klassische Reitlehre mit der Skala der Ausbildung als Herzstück dem aktuellen Wissen über die biomechanischen Zusammenhänge der Pferdebewegung standhalten kann.
Die Antworten, die dieses Buch gibt, sind ebenso einfach wie komplex: Die Entwicklung von positiver Körperspannung ist der Schlüssel zur Gesundheit und Leitungsfähigkeit eines jeden Reitpferdes. Die klassische Reitlehre liest sich unter dieser Prämisse als perfekte Grundlage einer Trainingslehre für den Aufbau und die Steuerung der positiven Spannung.
Dieses Wissen geht jeden Reiter an, der fundiert und kompetent über die richtigen Massnahmen zur Ausbildung seines Pferdes entscheiden möchte.

Rezensionstext
Als ich diesen Sommer per Zufall im Internet die Vorankündigung für dieses Buch entdeckte, schickte ich sofort eine Vorbestellung ab – und so lag es schliesslich bereits wenige Tage nach seinem Erscheinungstermin Anfang Oktober in meinem Briefkasten.
Ich gehe nicht ganz unvoreingenommen an die Lektüre heran: behandelte Herr Stammer doch vor einem Jahr mein Pferd und lernte ich ihn als sehr kompetenten Osteopathen kennen, der nicht nur ein enormes Theorie- und Praxiswissen hat, sondern auch sehr gut erklären kann. Der Zeitpunkt, als ich das Buch diesen Herbst zugeschickt bekomme, ist für mich dann auch besonders brisant im Hinblick auf die Thematik und den Autor, da ich gerade sehr gespannt und durchaus auch etwas nervös auf unseren nächsten Behandlungstermin warte, der für Mitte Oktober angesetzt ist.
Schon der Titel des Buches zitiert DAS Thema an, das ich bei Herrn Stammer in unserem Gespräch vergangenen Sommer als seine zentrale Botschaft kennengelernt hatte: Nur, wenn das Pferd in einer positiven Spannung gearbeitet wird, kann es sich selber und seinen Reiter tragen und langfristig nicht nur gesundheitserhaltend, sondern sogar gesundheitsfördernd gearbeitet werden. Von dieser positiven Spannung abweichende Positionen der VERspannung und der ENTspannung (als zwei Extrempositionen auf einer Skala) sind hingegen unbedingt zu vermeiden und können beide vergleichbare krankhafte Auswirkungen haben.
Die positive Spannung des Pferdes muss, gemäss Stammer, durch die Ausbildung als Reitpferd aufgebaut und dann immer erhalten werden. Dazu sind die beiden Bewegungszentren des Pferdes – das vordere Bewegungszentrum (VBZ) in der Vorhand, das hintere Bewegungszentrum (HBZ) in der Hinterhand – aufeinander abzustimmen.
Im Buch sind die beiden Bewegungszentren konzeptionell sehr anschaulich durch zwei Zahnräder symbolisiert, die in der Vorhand und der Hinterhand des Pferdes positioniert sind und sich gegeneinander bewegen. In diversen Illustrationen und den dazugehörigen Erklärungen wird deutlich, wie das VBZ nach vorne oben rotieren muss, um die Brust anzuheben, während das HBZ nach hinten unten dreht, sodass sich das Becken abkippt. In der Abstimmung dieser Bewegungen, die vom Reiter aktiv beinflusst werden können, ergibt sich die angestrebte positive Spannung, durch die das Pferd sich selber und seinen Reiter tragen kann. Die Abstimmung der beiden Bewegungszentren aufeinander geschieht durch das Erarbeiten der ersten drei Punkte auf der Skala der Ausbildung. Takt, Losgelassenheit und Anlehnung sind in diesem Sinne von zentraler Bedeutung für jedes Reiter-Pferd-Paar – unabhängig von ihren weiteren Zielen, jedoch Grundlage für alles andere.
Aufbauend auf das Erreichen der ersten drei Punkte auf der Skala der Ausbildung muss die Weiterbildung des Pferdes dann aber in unterschiedliche Richtungen gehen – abgestimmt auf das individuelle Ziel beziehungsweise die sportliche Disziplin, in der ein Pferd-Reiter-Paar sich bewegen möchte. So wird anschaulich erklärt, wie je nach Einsatz des Reitpferdes in einer bestimmten Disziplin verschiedene Strukturen in Körper trainiert und stabilisiert werden müssen, um den Belastungen standzuhalten und eine optimale Leistung zu erreichen. Ein Springpferd muss anders gestärkt sein als ein Distanzpferd, ein Dressurpferd braucht eine andere Ausbildung als ein Vielseitigkeitspferd. Dieses Wissen ist natürlich nicht neu, doch bringt Stammer es sehr verständlich und unter ständigem Rückgriff auf die biomechanischen Grundlagen von Pferd und Reiter in der Bewegung auf den Punkt.
Das Buch macht auch deutlich, dass die genetische Veranlagung eines Pferdes sehr wichtig ist für seinen Einsatz im (Leistungs-)Sport. Ein junges, talentiertes Pferd muss allerdings sorgfältig vorbereitet und aufgebaut werden, um seine Fähigkeiten auch unter dem Reiter zu zeigen und auszubauen. Während mit der falschen Ausbildung seine Leistung abnehmen wird, ist, gemäss Stammer, mit einer korrekten Ausbildung auch Leistungssport für Pferde nie gesundheitsschädigend, sondern sogar gesundheitsfördernd, denn das Pferd wird durch seinen Reiter in Strukturen gebracht, die seinem Körper gut tun. Diese Perspektive war mir neu, doch finde ich sie sehr einleuchtend.
Überhaupt hat das Buch mir viele Aha-Erlebnisse beschert und nicht zuletzt meine bisher doch eher skeptische Haltung gegenüber der „Sportreiterei“ etwas zum Positiven hin verändert.
Die vielen Bilder – fotografische, grafische und sprachliche – sind in ihrer Gesamtheit sehr wertvoll. Sie veranschaulichen Stammers Aussagen auch dort, wo der Text bisweilen etwas gar akademisch geschrieben ist. Allerdings sind manche Fotos meiner Meinung nach nicht so glücklich gewählt: So wird beispielsweise auf S. 108 eine in meinen Augen viel zu wenig gesetzte Piaffe gezeigt; ausserdem sind mehrere Trab-Fotos zu stark Vorhand-lastig.
Insgesamt bleibt mir nach der Lektüre aber ein sehr positives Bild eines Buches, das mir das Zusammenspiel von Biomechanik und Reiten nochmals ganz neu vor Augen geführt hat. Neben diesem allgemeinen Verständnis hat mir das Buch zudem diverse Anregungen gegeben, die ich direkt in den Alltag mit meinem Pferd übernehmen kann – und dies wohl nicht nur, weil Stammer mein Pferd kennt und uns auch beim nun wieder stattgefundenen Termin neue Trainingstipps gegeben hat. Wer die Biomechanik des Pferdes in der Bewegung und besonders unter dem Reiter besser verstehen möchte, wird in diesem Buch diverse Anregungen und Bilder finden. Ich kann die Lektüre wirklich wärmstens empfehlen!


AUTOR: bea
Ulrike
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Beitrag von Ulrike »

Bea,


dieses Buch ist ein sehr wertvoller Hinweis gewesen, danke!

Mit großer Spannung lese und denke ich es gerade!

LG
Ulrike
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bea
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Beitrag von bea »

Schön, dass dir das Buch gefällt, Ulrike! Mir hat es wirklich auch viele Denkanstösse, Inputs und Bilder gegeben.
Reiten heisst: sitzen - fühlen - denken.
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Finchen
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Beitrag von Finchen »

Durch Tanjas Post und Beas Hinweis im Widerristthread habe ich grade hierher gefunden. Danke, Bea, das macht Lust auf mehr.
"Das Herz mit dem Verstand begreifen zu wollen, ist so ähnlich, wie mit den Ohren sehen zu wollen." Safi Nidiaye
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-Tanja-
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Beitrag von -Tanja- »

Ich habe das Buch aktuell auch gelesen, finde es sehr gut, hätte mir allerdings noch etwas mehr biomechanische Erklärungen gewünscht. Total interessant fand ich die Ausführungen zu Springpferden. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Gut, ich springe auch nicht. Aber es war trotzdem sehr erhellend. Die inneren Bilder, die mir das Buch vermittelt hat, helfen mir sehr gut. Mich würde mal eine Trainingseinschätzung von ihm interessieren, die er ja glaube ich auch anbietet. Er ist ja gar nicht soweit weg von uns. Vielleicht behalte ich das mal fürs nächste Jahr im Hinterkopf.

Und in der 2. Auflage ist auch eine kurze Empfehlung von s&p im Nachwort. :wink:
lg, Tanja

Reiten ist nicht weiter schwierig, solange man nichts davon versteht.
Aus: "Vollendete Reitkunst", Dr. Udo Bürger, 1959
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