Trägt das Nackenband den Reiter oder nicht?

Rund um die klassische Reitkunst

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Lilith79
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Beitrag von Lilith79 »

Blumee82 hat geschrieben: Und auch wenn ich mich jetzt vielleicht weit aus dem Fenster lehne könnte ich mir vorstellen, dass man Aufgrund der von dir beschrieben Reiterei deines Pferdes im Bereich der Wirbelsäule bleibende Schäden feststellen könnte.
Das kann schon sein, aber ich denke auch, dass man bei ganz vielen Pferden über einem gewissen Alter (meins ist jetzt z.B. 13) beim Durchröntgen irgendwas finden würde, da jeweils einen direkten kausalen Zusammenhang zum Reiten zu Finden stelle ich mir ganz schön schwierig vor.

Von dem her hätte ich in so einem Vortrag in dem etwas wie "eine Studie hat gezeigt..." in den Raum geworfen wird, schon deutlich mehr Hintergrundinfos über das Wie und den Umfang der Studie benötigt um so was wirklich ernst zu nehmen.

Und ich mein man sitzt ja auf dem Pferd drauf, auf den Rückenmuskeln, auf dem Brustkorb, auf der Wirbelsäule, auf dem Nackenband, ...
dass da der gesamte Pferdekörper irgendwie am Tragen beteiligt ist und nicht nur irgendwelche Einzelkompenenten sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand, oder nicht? Das Pferd braucht zum Fortbewegen ja auch das Zusammenspiel seiner Einzelteile und nicht nur die Muskeln oder nur die Bänder oder nur sein Skelett.
esge
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Beitrag von esge »

Entscheidend finde ich, dass das Nackenband dazu beiträgt, den Reiter (weitgehend...) KRAFTLOS zu tragen. Also ohne, dass Muskeln Arbeit leisten müssen.
Genau darum geht es doch im Laufe der Pferdeausbildung: Was anfangs in der Dehnungshaltung weitgehend mechanisch erledigt wird, wird nach und nach durch Muskelarbeit ergänzt.
Außerdem entscheidend ist die Erkenntnis, dass kein Körperteil isoliert irgendwas macht - weder den Reiter tragen noch das Pferd irgendwohin bewegen. Wer schon mal einen gebrochenen Zeh hatte weiß, wie schon eine solche Winzigkeit den gesamten Bewegungsablauf verändert. Darum ist jede Reitlehre, die immer nur einen teil vom Pferd anguckt und zu optimieren sucht, immer eine defizitäre.

Jetzt stelle ich mal die weiterführende Frage: Welche Schlüsse hat diese Referentin denn in Bezug auf die Reitlehre aus ihrer Aussage "Nackenband ist unwichtig" gezogen?


Über die perversen Versuche mit durchtrennten Nackenbändern etc denke ich mal lieber nicht nach.
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saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

esge hat geschrieben: Darum ist jede Reitlehre, die immer nur einen teil vom Pferd anguckt und zu optimieren sucht, immer eine defizitäre.
Wenn man das hervorhebt, absolut ! Dennoch ist es sehr wichtig, die einzelnen Teile seperat zu betrachten, um sie dann in den Gesamtkomplex richtig einordnen zu können.
Das ist ein bisserl wie bei einer Uhr :
Man schaut sie an und denkt : ein Wunderwerk der Technik, unfassabar als Ganzes !
Aber wenn man sie Rädchen für Rädchen auseinanderpflückt und jedes Rädchen auf seine Funktion überprüft und diese versteht, dann ( wenn man sie wieder zusammengesetzt bekommt :lol: :lol: :lol: ) ist eine Uhrwerk anschließend absolut logisch und verständlich.

Obwohl man weiß daß alle Räder zusammengehören und obwohl es die gleiche Konstruktion ist, die man vorher fassungslos-ahnungslos betrachtet hat. :wink:
le_bai
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Beitrag von le_bai »

für mich ist diese Frage entscheidend im Bezug auf die Tendenzen im Freizeitbereich ... welche sich auf "Birne runter" beschränken.
Dann lieber das Pferd am losen Zügel in Wohlfühlhaltung.

Das Bild vom aufgewölbten rücken und reiten auf dem Nackenband halte ich für schädlich isoliert betrachtet.
Leider hat z.b. Herr Heuschmann da mit "nett gemeinter Vereinfachung" ziemlich viel Schaden (in die andere Richtung) angerichtet ...

Gerade die kleine und großen skelettnahen Muskeln sind sehr schlecht erforscht und unterliegen in Ihrer "nötigen Wirkung" sehr vielen Faktoren.

Ein Großteil der Pferde, welche gern tief eingestellt werden, arbeiten dauerhaft in einer Fehlhaltung, da hilft das Nackenband oder ein aufgefächerter Rist (oder die Idee dahin) nur bedingt ...
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

ja, le-bai, das sehe ich auch so....
esge
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Beitrag von esge »

IM Freizeitbereich, le bai?????????
Über die Aussage staune ich aber. "Hauptsache Birne runter" gilt ganz sicher nicht vor allem im Freizeitbereich.

S&P, seufz, ich hatte genau darüber noch einen langen Absatz geschrieben, ihn dann aber gelöscht, weil ich fand, dass wir das schon so oft erläutert haben. *zwinker*
NATÜRLICH ist es wichtig, auch Einzelteile gezielt bearbeiten zu können. Aber nur, wenn man das GANZE dabei im Auge hat - was ich aber jetzt nur der Vollständigkeit halber schreibe, nicht weil das an deine Adresse gehört. *EulennachAthen*
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le_bai
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Beitrag von le_bai »

esge hat geschrieben:IM Freizeitbereich, le bai?????????
Über die Aussage staune ich aber. "Hauptsache Birne runter" gilt ganz sicher nicht vor allem im Freizeitbereich.
an anderer Stelle natürlich auch.
Aber Heuschmann hat im Freizeitbereich viele "über dem Zügel Reiter" auch erreicht - mit dem Resultat, dass sie vermehrt in die Tiefe arbeiten und da ohne RL/Hilfe nicht drüber hinaus kommen.
Diese Pferde sind letztlich auch gern schnell platt ... noch schneller, als mit festem Rücken über dem Zügel oder ohne Beizäumung in lockerer Haltung am losen Zügel.
Diese Entwicklung habe ich in einigen Ställen beobachtet ...
esge
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Beitrag von esge »

Hm, da bin ich immer skeptisch mit Pauchalia.
Trotzdem kann ich z.T. nachvollziehen, was du meinst.
Es bleibt halt leider dabei: Falsch ist falsch und zu viel ist zu viel. Es gibt Pferde, die halten über dem Zügel mit festem rücken wunderbar aus. Andere überhaupt nicht. Kann beliebig fortgesetzt werden mit zu tief, zu hoch, zu lang, zu kurz, zu schnell, zu langsam...
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Blumee82
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Beitrag von Blumee82 »

Also hier mal kurz meine ganz persönliche Einschätzung des Vortrages... zu dem ich, zugegebener Maßen, mit anderen Erwartungen hin gegangen bin:

Anfangs noch sehr schön aufgebaut wurden einzelne Muskelgruppen, sowie ihre Funktion im Pferdekörper erklärt (Stichworte: Muskel (Agonist) und Muskelgegenspieler (Antagonist) sowie Hinweise zu Muskeltonus und Bindegewebe).
Dann der Schwenk zu den Pferden, die wie le_bai schon sagte, in lockerer Haltung am losen Zügel geritten werden können, ohne allzu großen Schaden zu nehmen. Hierzu ein paar Erläuterungen zu den verschiedenen Gebäude und deren Auswirkungen.

Dann aber fing es für mich persönlich an irgendwie in eine Veranstalltung zu enden, die eine "neue" Methode anpreist. mit der man Pferde gesunderhaltend reiten kann. Und noch viel schlimmer für mich, allein durch eine Behandlung eines Pferdechiropraktikers.
Die Behandlung hebt den Brsutkorb/Rumpf des Pferdes an. Die Pferde seien so froh über die neu gewonnene Bewegungs-/Haltungserfahrung, dass sie diese freiwillig halten.
Auf meine Frage, wie denn der Halter/Reiter dahingehend geschult wird, dass er sein Pferd auch so trainieren kann, damit das Pferd diese neue Haltung des Körpers auch langfristig halten kann, bekam ich dich die Antwort das wäre nicht nötig, da die Pferde es selber tun :shock:
Als es dann auf diese Stutien zu sprechen kam hatte ich, zugegebener Maßen keine Lust mehr und hab mir deshalb weitere Fragen erspart.

Ich spreche Frau Danckert ihr Wissen und ihre Erfahrungen nicht ab, fand es aber recht fragwürdig und auch gefährlich, dem Freizeitreiterpublikum mit solchen Aussagen Dinge zu versprechen, die nach meiner Meinung so einfach eben nicht funktionieren.


Hier nochmal eine Seite, die einige Inhalte des Vortrags beschreibt (leider ohne Hinweise auf die erwähnten Studien in den USA): http://www.pferde-magazin.info/gesundhe ... inetics-86




Nachtrag
@Lilith79: das sollte kein Angriff in deine Richtung sein und selbstverständlich lässt sich bei, wahrscheinlich sogar jedem Pferd ein Befund feststellen. Dennoch bin ich der Meinung, dass eben falsches Reiten einen Einfluss auf den Pferdekörper hat.
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Beitrag von Lilith79 »

Blumee82 hat geschrieben:
Nachtrag
@Lilith79: das sollte kein Angriff in deine Richtung sein und selbstverständlich lässt sich bei, wahrscheinlich sogar jedem Pferd ein Befund feststellen. Dennoch bin ich der Meinung, dass eben falsches Reiten einen Einfluss auf den Pferdekörper hat.
Keine Sorge, ich hatte das überhaupt nicht als Angriff verstanden.
Und dass falsches Reiten einen Einfluss auf den Pferdekörper hat, glaubt hier sicher jeder, aber es ist halt selten so, dass man falsch reitet und das Pferd ist dann innerhalb kurzer Zeit total platt, was das mit der genauen Definition von "schadlos" halt doch recht schwierig macht, finde ich.

Danke für die weiteren Erläuterungen zum Vortrag!
Ich finde Vorträge, die darauf hinauslaufen, dass irgendeinen bestimmte neue tolle Methode (oder ein sonstiges Produkt) als Lösung rauskommt, haben eh immer ein bisschen einen "Beigeschmack".

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es eine Methode gibt, mit der das Pferd lernt "den Brustkorb/Rumpf anzuheben", mit der das Pferd lernt seinen und das dann auch noch freiwillig tut, weil es so toll ist (im Stall und auf der Weide dann auch, oder wie?). Außerdem ist es doch wohl kaum sinnvoll, dass ein Pferd ständig mit "angehobenem Rumpf" in der Gegend rumläuft.

Ich hab mal nach diesem "Stammer Kinetics" gegoogelt, dass da erwähnt ist und die Webseite gefunden:
http://www.stefan-stammer.de/stammer-kinetics.html

Aber da steht ja mal überhaupt gar nichts Substantielles irgendwo, nur allgemeines Blabla. Und was soll einem dieses grüne Gekräusel auf dem rechten Bild bei "Tragetier" bitte sagen? Dass beim ausgebildeten Reitpferd alles schön gespannt ist und beim Tragetier alles rumschlabbert? Da fehlen bei allen Grafiken Erläuterungen.

Dann hab ich noch die Seite gefunden:
http://www.dressur-design.de/reha-nach-stammer.html
Das ist deutlich praxisorientierter erklärt, aber für mich sieht es da aus als ob das Ziel einfach die Erarbeitung einer stinknormale klassischen korrekte Dehnungshaltung ist? Da steht ja nirgends was anderes als sonst auch.
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Blumee82
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Beitrag von Blumee82 »

@Lilith79: dann bin ich ja beruhigt :wink:

Ja, den Eindruck den du schilderst hatte ich auch. Nur dass man eben nicht "anheben des Widerristes" sagen sollte, sondern eben Anheben des Rumpfes.... aber im tiefen Grunde ist doch das Gleiche gemeint.


Das System als solches Stelle ich in keinster Weise in Frage... dafür kenne ich Stammer zu wenig.... aber die Behauptung, dass dies die Lösung aller Probleme ist und zwar nach einer bzw. sehr weniger Behandlungen, halte ich doch für Fragwürdig und mit unter auch gefährlich.
saltandpepper

Beitrag von saltandpepper »

Zum einen glaube ich auch daran, daß ein Pferd, bekommt es neues Körpergefühl vermittelt, die dazu führenden Muster verinnerlicht und diese "mit auf die Weide nimmt" und dort auch anwendet. In diesem Fall bedeutet "Glaube" tatsächlich nicht "wissen", aber "aus der der Erfahrung zu dieser Überzeugung gelangt".
Zum zweiten sollte der Rumpf angehoben UND der Wiederrist angehoben / aufgefächert ( dieses Wort bevorzuge ich !) werden. Was nicht das gleiche ist. Und nicht immer miteinander einhergeht.
Der Rumpf kann gehoben werden, ohne daß dabei der Wiederrist aufgefächert wird - z.B. bei einem "Sprung ohne Rücken", daneben kann der Wiederrist aufgefächert werden, ohne daß der Rumpf angehoben wird : in tiefer Halshaltung im stehen ud bei Bewegung ohne Schwungentwicklung/ dynamischen Auftrieb.
Man muß also genauer formulieren, nicht entweder/ oder.
Gruß S&P
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Gawan
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Beitrag von Gawan »

Unterdessen habe ich von Frau Danckert folgende Antwort auf die Nachfrage nach den Quellen bekommen:
im Vortrag habe ich von zwei Untersuchungen erzählt, weil die Diskussion darauf kam. Sie sind noch nicht Teil des offiziellen Vortrags, da ich die Quelle der einen Untersuchung beim Kollegen Nowak, der sie vorgetragen hat, noch nicht nachgefragt habe. Die andere erwähnte Untersuchung war im AM J Vet Res. 2002Feb; 63(2): 282-8.
Hier der Abstract der zweiten Studie:
http://avmajournals.avma.org/doi/abs/10 ... 002.63.282
(Danach waren es 5, nicht 70 Pferde.)
"Der Reitlehrer sei unser eigenes Pferd" SGS
(und der Schüler zeige Geduld, Demut und Hingabe)
Draussen bin ich 4:0 unterwegs, in der Halle 3:1, manchmal 1:3.
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