Mein Weg zum Reittherapeuten - Wege und Irrwege

Rund ums Thema Pferd und die klassische Reitkunst

Moderator: Josatianma

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dshengis
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Mein Weg zum Reittherapeuten - Wege und Irrwege

Beitrag von dshengis »

Am ersten September 2006 habe ich mit einer Ausbildung zum Reittherapeuten am Plennschützer Institut für Reiten und Therapie (PIRT) begonnen. Es ist Freitag Nachmittag und ich sitze mit meinen 12 Mit-Auszubildenden und dem Institutsleiter in einem Raum im ehemaligen Pfarrhaus dieses kleinen Dorfes kurz hinter Leipzig und wir reden darüber, was uns hierher geführt hat und natürlich über unsere Pferde. Die Runde ist illuster: Westernreiter, FN-Reitlehrerin, Feld,-Wald- und Wiesenreiter, Englisch-Reiter, Klassisch-barocke Reiter, Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen, Ergotherapeutinnen, Psychologen – viele Berufe, Reitweisen und ebenso viele Gründe, jetzt hier zu sitzen und diese Ausbildung anzufangen.
Warum sitze ich hier?

Ich komme ja aus einem Elternhaus, in dem die Tierwelt durch Abwesenheit glänzte (von den üblichen Insekten mal abgesehen). Trotz allem Drängen wurde Tierhaltung von meinen Erziehungsberechtigten & Ernährern nicht erlaubt. Weswegen mir Jahre später eine gute Freundin zum 24. Geburtstag einen Hamster schenken musste, damit ich dieses Trauma mal verarbeiten konnte. Kurz danach kam Kater Paul dazu (der wenig später den Hamster erlegte – nur im Spiel, war nicht ernst – für den Kater). Und nach einem deprimierenden Ritt um die Pyramiden von Giseh beschloss ich 1995, jetzt auch noch Reiten zu lernen. Jahrelang war das ein Hobby unter mehreren, nicht wichtiger als Paddeln oder Klettern. Bis dann Dynamit zuerst mein RB-Pferd und dann mein, nunja, Pflegepferd wurde. Dann wurde ernsthafter Unterricht nötig.

Inzwischen hatte ich das Studium beendet und war bereits einige Jahre als Sozialarbeiter im ambulant-psychiatrischen Bereich tätig. Eine erste Weiterbildung (Mediation) hatte ich hinter mir, die hatte mir auch einiges gebracht, vor allem was die Gesprächsführung angeht.
Und so langsam konzentrierte sich mein Interesse auf Kommunikation, Interaktion und Wahrnehmung. Da liegt ja bei psychisch Kranken einiges im Argen:
- eigene und fremde Gefühle können nicht erkannt und gedeutet werden;
- die Fähigkeit, das eigene Tun und die dahinterstehenden Motive zu reflektieren, ist begrenzt;
- die Wahrnehmung des ICHs ist ebenso verschoben wie die Wahrnehmung der (sozialen) Umwelt;
- die eigene Rolle ist mehr oder weniger diffus und im häufigen Wandel.
Daraus resultiert eine oftmals sehr „schräge“ Kommunikation. Zunehmend geriet ich daher in meiner beruflichen Praxis an die Grenzen meiner Fähigkeiten, was mich durchaus auch frustrierte.
Da eine verbale Verständigung ja immer auch mehr oder weniger abstrakt ist, kam der Gedanke auf, hier durch direkte Sinneserfahrungen zu intervenieren. Wenn eine Beziehung zu einem Menschen gefährlich ist, weil Absichten und Gefühle des Gegenübers nicht zu deuten sind, weil dessen Nähe nicht erträglich ist, wenn auch körperliche Nähe nicht möglich ist, weil einfach zu nahe am eigenen verletzlichen ICH, dann kann unter Umständen vielleicht ein Tier die Rolle des „Beziehungspartners“ übernehmen, Nähe zulassen, Kontakt und auch vielleicht Auseinandersetzung ermöglichen.
Als langjähriger Tierhalter weiß ich, wie sehr darüber hinaus der Umgang mit Tieren die eigene emotionale Stabilität fördert und wie beruhigend die Anwesenheit eines Tieres sein kann. All das brachte mich zu der Überlegung, in meine Berufspraxis Tiere einzubringen, als Medium für den Klienten, als Unterstützung für mich und zu meiner Freude.
Dass meine Wahl auf das Tier „Pferd“ fiel, ist wohl nicht weiter verwunderlich. Dazu kam, dass sich auch eine Freundin aus unserem Stall (aus privaten Motiven heraus) mit ähnlichen Gedanken trug und trägt.
Somit ging es „nur“ noch um die Wahl eines Ausbildungsinstituts. „Reittherapie“ ist ein weitgehend ungeregelter Bereich in Deutschland, wenn man von der Hippotherapie (Physiotherapie zu Pferde) mal absieht. Die meisten Anbieter entsprechender Ausbildungen sind im Deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten vereint bzw. dort vertreten. Zumeist bestehen hier die Zugangskriterien aus dem Nachweis reiterlicher Fähigkeiten wie dem Reitabzeichen Klasse IV, dem Longierabzeichen oder gar einem Trainer C-Schein. Allesamt Kriterien, die ich nicht erfülle. Und all die Abzeichen zu machen, hätte nicht nur jede Menge Geld gekostet, sondern auch Zeit gefordert. Ich wollte aber möglichst schnell mit einer Ausbildung beginnen!
Über eine Kollegin aus einem anderen Verein kam ich auf das PIRT. Dort wird vor allem Wert auf die berufliche Qualifikation gelegt, das heißt, man sollte schon einen sozialen, therapeutischen oder pädagogischen Hintergrund haben. Die reiterliche Qualifikation wird nicht vernachlässigt, doch ist es möglich, sie im Verlaufe der Ausbildung nachzuweisen. Übergangsweise reicht dazu auch das Einreichen eines Videos aus, auf dem man mit seinem Pferd in Aktion zu sehen ist.
Vorsichtig nahm ich Kontakt auf mit dieser Einrichtung. Es folgten mehrere Telefonate, bis ich mich dann am 10. März per e-mail anmeldete (genau richtig für mich online-Menschen).

Dann noch ein Sommer mit langsam sich steigernder Spannung, schließlich ein Freitagvormittag im Auto: A 9 nach Leipzig, Schkeuditzer Kreuz, Kreuz Rippachtal, Abfahrt Weißenfels: Jetzt muss ich runter! Mist – gesperrt! Also bis zur Abfahrt Naumburg, gleich an der ersten größeren Kreuzung wieder rechts. Durch ein paar Dörfer, hm, komisch, die B 87, muss ich jetzt rechts oder links? Ich entscheide mich für rechts, halte nach wenigen hundert Metern und blicke in die Karte: War falsch. Also wenden, geradeaus, da ist das Dorf – Plennschütz, langsam durch und schon vorbei? Schon bin ich im Nachbarort – Plotha. Also wieder wenden und die einzige abzweigende Straße untersuchen. „An der Kirche“ – kann doch nicht so schwer zu finden sein, eine Kirche in diesem winzigen Dorf. Ortsausgangsschild. Also wieder wenden, jetzt mal nach Plotha rein. Die erste Abzweigung links, ja da ist eine Kirche zu sehen. Eine kleine Brücke, ein kleiner Bach, ein Straßenschild „An der Kirche“. Das muss es sein, obwohl, ich bin ja in Plotha. Egal, hier ist ein Weidezaun, eine Hofeinfahrt, andere Autos, aus Gera, aus Torgau, aus Bamberg. Richtig, gefunden (ohne Navi :D)
Des Rätsels Lösung: Der Bach teilt Plennschütz und Plotha und da die Kirche hinter dem Bach liegt, gehört sie also zu Plennschütz. Die letzten 5 km haben eine halbe Stunde gedauert, aber ich bin bei weitem noch nicht der letzte: Andere irren noch durch die Straßen von Weißenfels auf der Suche nach der richtigen Umleitung. Aber irgendwann sind alle da und das Abenteuer beginnt...

Im zweiten Teil erzähle ich dann, wie wir ein paar Fellnasen kennenlernen und uns an Bodenarbeit versuchen...
Zuletzt geändert von dshengis am Do, 12. Okt 2006 23:22, insgesamt 1-mal geändert.
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