Wie sag ich's meinem Pferde?

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Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Padruga, ich kann mir ehrlichgesagt kaum vorstellen, dass die Arbeit nach Solinski rasseabhängig ist.

Rosana, meine RL hat mir das Verständnis Solinskis nahe gebracht, sie hat mir beigebracht, wie "Parallelführen" funktioniert. Die Frau hat auch ein Buch herausgebracht (Marie Symbill, Reiten ist ganz leicht...) aber ich selber brauche immer eine praktische Erfahrung, um Dinge umsetzen zu können, also sprich, jemanden der neben mir steht und jeden Handgriff und jede Einwirkung betrachtet und ggf. korrigiert bzw. die Wirkung erklärt; die Fehler, die man macht, sind einem selbst ja nicht bewußt, wie soll man sie also selber abstellen können... Gerade in der Lernphase braucht man einen guten Lehrer, der einen nicht etwas von außen überstülpt, sondern das Spüren erweckt...

Angefangen haben wir damals so, dass ich ein Pferd nur mit Kappzaum an der Longe und Gerte arbeiten sollte: das Pferd wurde mit leichtem touchieren (in Kombination mit Stimmkommando "raus", auf welches es letztlich ganz reduziert werden soll) auf den Hufschlag geschickt, der Abstand von Schulter des Pferdes zum Menschen soll dabei Stück für Stück vergrößert werden, ohne, dass das Pferd sich dabei auf die Schulter des Menschen "lehnt" bzw. nach innen drängt, sozusagen Anlehnung an der Bande (später äußerer Zügel) sucht. Der Abstand wird dann (über Tage oder gar Wochen) erhöht, auch die Position zum Pferd verlagert sich nach hinten (zunächst Schwerpunkt, dann hinter HH), so dass sich daraus zunächst ein Führen mit Biegung (korrektes Durchschreiten einer Ecke=Viertel Volte, daraus ganze Volten) dann ein Longieren auf dem Zirkel ergibt; durch diese drei Positionen am Pferd korrekt ausgeführt läuft das Pferd dann bereits mit schöner Biegung.

Was sich jetzt vielleicht sehr banal anhört, ist aus meiner Sicht und Erfahrung bereits eine schwierige Arbeit. Alleine die Position an der Schulter erfordert schon ein schnelles reagieren und Wissen, wenige Zentimeter an der falschen Stelle und schon entzieht sich das Pferd; dieses definieren des Abstandes zur Schulter ist aus Pferdesicht bereits Kommunikation und wird - gerade von schwierigen Pferden - genau hinterfragt... Hier ist bereits ein großes Maß an Körperbewußtsein des Menschen gefragt, sonst beginnt schon da die mögliche Fehlerquelle. Es reicht schon, wenn die Ausrichtung der Schultern falsch bzw. unklar ist, um eine Reaktion beim Pferd (wendet dann vielleicht ab) hervorzurufen.

Nach kurzer Zeit unter der Anleitung dieser Arbeit konnte ich bemerken, wie sich ein "unsichtbarer" Kontakt zum Pferdekörper herstellte, so dass ein "Lenken" des Pferdes nur durch eine Drehbewegung meines Beckens möglich wurde, so dass sämtliche Hufschlagfiguren (und Seitengänge) vom Boden aus daraus erarbeitet werden können.

Meine RL sagte damals zu mir, dass sie Schüler habe, die viele Jahre brauchen, um dieses Gefühl zu entwickeln, es ist also eine Frage der eigenen organischen Lernfähigkeit.

Ich denke, wenn man diesen Weg jetzt weiterdenkt, kann man sich vorstellen, wie fein und kunstvoll diese Arbeit sich entwickelt. Je nach Reife und Zustand des Pferdes kommt irgendwann der Reiter auf das Pferd, der zunächst nur als reines Gewicht oben sitzt; die Hilfen werden weiterhin von unten gegeben, wodurch sich passive Hilfen von oben einstellen, d.h. ein von unten durch Körpersprache durchpariertes Pferd wird das Becken des (durchlässigen) Reiters von oben in die "richtige" Position bringen, was später aktiv als Hilfe eingesetzt wird.

Leider gibt es nur sehr wenige Ausbilder (zumindest hier in meiner Umgebung) die so differenziert arbeiten und einem diesen Weg mit Pferden nahebringen können; für mich ist dieser Zugang zum Pferd unglaublich wertvoll, da selbst schwierige Pferde anfangen sich mit dieser Arbeit wohlzufühlen, Vertrauen zu fassen, sich loslassen...

LG
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Rosana
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Beitrag von Rosana »

@Belfigor, danke für die ausführliche Erklärung. Das klingt sehr spannend! Da scheint es mir einige Parallelen zu geben zu der "bewussten" Art zu longieren, wie es hier viele praktizieren, am Kappzaum ohne HZ, wo man (anfangs) mit dem Pferd auf geringer Disstanz mitgeht, auch durch Körpersprache, Gertensignale die Schulter kontrolliert, Stellung und Biegung verlangt etc.
Dies Arbeit erfordert wirklich eine enorme Konzentration, man muss jede Milli-Sekunde beim Pferd sein.
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cinnamon
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Re: Wie sag ich's meinem Pferde?

Beitrag von cinnamon »

Rosana hat geschrieben: In wie weit ist es möglich, dem Pferd zu sagen was es tun soll, anstatt/ohne ihm zu sagen, was es NICHT tun soll.
man kann jedem tier über rein positives training jedes verhalten beibringen, zu dem es geistig + körperlich in der lage ist.
wer sich das nicht vorstellen kann, besuche mal ein chicken camp und trainieren ein huhn - da funst das schummeln über die konventionelle schiene nämlich nicht mehr :wink:
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Jen
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Beitrag von Jen »

haha, chicken camp? lustig! Aber gute idee...! :D

Als Ergänzung möchte ich noch etwas einwerfen, was ich in den letzten Jahren beobachtet habe: die Rolle der eigenen Durchlässigkeit.

Beispiel: ein Pferd das das Kopfsenken mit dem Kappzaum noch nciht kennt.

Ich nehme den Karabiner der Longe/des Strickes in die Hand. Dabei halte ich meine Körperhaltung ganz entspannt, den Arm und die Hand möglichst weich und atme normal weiter (bitte mal auf sich achten, wie oft man den Atem anhält, wenn man vom pferd etwas verlangt ;) ).

Dann führe ich den Kopf etwas zur Seite. Das heisst, das pferd soll einfach den Kopf etwas bewegen lassen. Lob. Wiederholung.

Das Ziel: Ich führe mit absolut weicher hand den Kopf wohin ich will, das Pferd lässt den Kopf willig in jede Position mit leichtester Hilfe verschieben. Das geht nur, wenn das Pferd seine Muskulatur loslässt und weich hält (-> Voraussetzung für die durchlässigkeit jeder Hilfe! ein pferd das z.b. zu eng od zu hoch geht, hat bestimmte Muskeln übermässig angespannt, die es loslassen muss, um wieder durchlässig zu werden).

Je angespannter meine eigene muskulatur ist, je mehr Druck ich mache, desto mehr Gegendruck kommt vom Pferd. ich kann da öfters recht eindrucksvolle Demonstrationen machen, wenn ich mit stärkerem Druck den Kappzaum anfasse, machen gerade unnachgiebige die Pferde sofort zu und drücken mit der Unterhalsmuskulatur mächtig dagegen und den Hals total steif. sobald ich durchatme, meinen Arm und die Hand weich lasse, lassen sich die pferde wieder führen. Das ist fast wie ein "An" und "Aus"-Knopf, ich staune jedesmal selber wieder.

Nun führe ich etwas nach unten und gebe dabei weiter nach. Was ich nicht will: dass das Pferd einfach den Kopf nach unten sacken lässt. Ich will dass es sich führen lässt, genau an die position auf den cm genau, wo ich will. Jeden Ansatz dazu lobe ich. Geht das Pferd zu weit nach unten führe ich es einfach wieder nach oben. Ich will keine "überreaktionen", im sinne von "zu tief", "zu stark gebogen", "zu hoch". sondern ich will einfach bestimmen können, egal wie tief oder wie hoch oder wie stark gestellt oder gebogen.

Viele Pferde lassen das Führen zuerst nur in einem ganz kleinen Radius zu und man stösst schnell an Grenzen, zb. nach unten. Dann frage ich einfach immer wieder nach (ich verstärke das signal dabei nicht!) und gebe dann sofort wieder nach, auch wenn das Pferd noch nicht reagiert hat, atme durch, löse meine Muskulatur und probiere nochmals. Ganz wichtig! Bevor ich nochmals probiere achte ich immer auf MICH und lasse meine eigene Muskulatur los. Dann erneut das Signal, das führen des Kopfes am Kappzaum. Ev. zuerst wieder etwas zur Seite in die Stellung/biegung, ev. etwas schräg nach unten... halt nach Gefühl. Dieses Gefühl muss man sich erarbeiten, das geht nicht so von heute auf morgen. Das eigene Loslassen ist dabei essentiell, ich kann es nicht genug oft sagen ;) Das ist weder Passivität noch ist es spannungslosigkeit noch ist es kontaktlosigkeit... sondern eine elastische, weiche Aktivität. Viele meiner Kunden wundern sich, warum das Pferd bei ihnen nicht das gewünschte macht, und wenn ich es probiere funktionierts, obwohl sie doch scheinbar genau das gleiche machen. Aber meistens fehlt dann eben genau diese eigene Losgelassenheit, die eigene Weichheit, welche dem Pferd vermittelt, was es tun soll. Tönt vielleicht komisch, aber es funktioniert! ich frage dann immer 1cm mehr an, als das Pferd mir bereit ist von sich aus zu geben und damit habe ich innerhalb weniger Einheiten die gewünschte Durchlässigkeit dieser Hilfe. Diese so scheinbar simple Übung birgt sehr viel Potential in sich und ist deshalb äusserst wichtig für mich.
Liebe Grüesslis, Jen
***
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Belfigor
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Beitrag von Belfigor »

Pferde sind "Körperspannungsleser"... und nehmen daher jede Muskelspannung eines Menschen wahr, egal ob nun von unten (Bodenarbeit) oder oben (Hilfengebung)...

Die Crux mit dem eigenen Körpergefühl ist ja, dass wir unnötige Muskelspannung oder ungünstige Verknüpfungen von Atem und Muskeltätigkeit i.d.R. nicht wahrnehmen, Reaktionen des Pferdes oftmals nicht darauf zurückführen, bzw. letztlich erst über das persönliche Unwohlsein oder Schmerz im eigenen Körper darauf aufmerksam werden...

Pferde spiegeln diesen unbewußten Bereich.

Um ungünstige, kontraproduktive Muster im Bewegungsablauf, was sich auf alle Bereiche des Handelns auswirkt, wirklich in der Tiefe verändern zu können benötigen wir meist einen Lehrer ("Körperschulen" wie z.B. Alexander Technik, Feldenkrais, Rolfing ...), der hier ausgebildet ist, da z.B. ein chronisch verkürzter Muskel (oftmals im Bereich des Brustbeins) nicht einfach so wieder "aufgerichtet" werden kann, leider.
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Rosana
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Re: Wie sag ich's meinem Pferde?

Beitrag von Rosana »

cinnamon hat geschrieben: man kann jedem tier über rein positives training jedes verhalten beibringen, zu dem es geistig + körperlich in der lage ist.
wer sich das nicht vorstellen kann, besuche mal ein chicken camp und trainieren ein huhn - da funst das schummeln über die konventionelle schiene nämlich nicht mehr :wink:
Hihi, das ist ein gutes Beispiel! Ich habe auf youtube auch schon total abgefahren Videos mit Mäusen gesehen, die durch einen Trailparcours (!) gingen - da kommt man mit Druck wahrscheinlich auch nicht weit... Ich stelle mir gerade vor, wie man vesucht, die Maus mit einer Gerte zu treiben...:lol:
Das heißt, letztlich ist alles eine Frage der eigenen Kreativität, Geduld, Fantasie, Geschicklichkeit...

Ich weiß eigentlich auch selbst, dass ich immer dann zu Druck greife, wenn ich noch nicht geschickt genug bin, etwas anders zu vermitteln oder das Vertrauen des Pferdes noch nicht ausreicht, dass es sich mir anvertraut.
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Beitrag von Rosana »

@ Jen, das ist genau die "Geheimtechnik" von der ich die ganze Zeit vermutet hatte, dass du sie irgendwo versteckt hast und die ich dir entlocken wollte :wink:
Scherz beiseite - das klingt superspannend, das muss ich unbedingt probieren bzw. mich mal genau beobachten! Das ist wirklich eine echte Alternative zum "Kopf senken" beibringen!
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cinnamon
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Re: Wie sag ich's meinem Pferde?

Beitrag von cinnamon »

Rosana hat geschrieben: Das heißt, letztlich ist alles eine Frage der eigenen Kreativität, Geduld, Fantasie, Geschicklichkeit...

Ich weiß eigentlich auch selbst, dass ich immer dann zu Druck greife, wenn ich noch nicht geschickt genug bin, etwas anders zu vermitteln oder das Vertrauen des Pferdes noch nicht ausreicht, dass es sich mir anvertraut.
sehr schön geschrieben *keks* :D
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Rioja
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Beitrag von Rioja »

Zur Körperspannung bzw. Präsenz einer Person kann ich auch noch 'was hinzufügen. Ich hatte letzten Sommer ein Kommunikationsseminar mitgemacht, bei dem man mit der nonverbalen Kommunikation arbeitete. War recht interessant zu sehen, wie die einzelnen Pferde auf die unterschiedlichen Teilnehmer reagierten. Ich selbst habe ja eher sehr sensible blütige Pferde. Da ich keinen so großen, nennen wir es mal Energiehaushalt habe und paßt das wunderbar.
Zur Arbeit bekam ich dann aber mal ein frustriertes desinteressiertes Shetlandpony ... Ihr könnt Euch sicherlich vorstellen, daß wir beide wenig glücklich miteinander wurden :lol:
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